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Griechischer Schuldenstreit
"Nicht gegenseitig in den Schwitzkasten nehmen"

Der deutsch-griechische Politiker Jorgo Chatzimarkakis hat ein Vorankommen im Schuldenstreit angemahnt. Es müsse darum gehen, "die nächsten vier Monate zu gestalten", sagte Griechenlands Sonderbotschafter für europäische Wirtschaftsfragen im DLF. Athen habe schon viel erreicht.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Der deutsch-griechische Politiker Georgios "Jorgo" Chatzimarkakis.
    Der deutsch-griechische Politiker Georgios "Jorgo" Chatzimarkakis. (Imago / Sven Simon)
    So habe Athen bereits eine Liste mit Maßnahmen vorgelegt, sagte der frühere FDP-Europaparlamentarier im Deutschlandfunk. Als Beispiel nannte Chatzimarkakis die Besteuerung des Internetglücksspiels. Das bringe 500 Millionen Euro im Jahr ein. Dieser Schritt sei jedoch in Europa kaum diskutiert, sondern lapidar abgetan worden, kritisierte er. Zudem wies er auf Vorstöße zur Verbesserung der Steuermoral im Land hin.
    "Hinter uns liegen Wochen der Selbstfindung", so Chatzimarkakis. Jetzt müsse man sehen, wie man die nächsten vier Monate gestalten könne und sich dabei nicht in "Klein-Klein verhakeln" und "gegenseitig nicht in den Schwitzkasten nehmen." Andernfalls drohe ein "dickes Ende".
    Nur wenn das aktuelle Reformprogramm erfolgreich abgeschlossen wird, soll Athen die restlichen Finanzhilfen aus dem Hilfspaket der EU erhalten. Das kann spätestens Ende Juni/Anfang Juli sein oder - sollte Athen schneller fertig sein - auch vorher. Es geht um 1,8 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF sowie Gewinne der EZB aus dem Verkauf griechischer Staatsanleihen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro. Im Juli und August steht Griechenland vor enormen Rückzahlungsverpflichtungen, so werden insgesamt 6,7 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) fällig.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Nach nur 20 Minuten war man sich gestern einig. Bevor Griechenland eine neue Geldspritze erhalten soll, muss es die Geldgeber in seine Bücher schauen lassen. Morgen soll es wieder ein Treffen mit der alten Troika geben, die allerdings nicht mehr so heißen darf. Die Eurogruppe sagt, morgen Gespräche mit der Troika; Griechenlands Finanzminister Varoufakis kontert, die Troika gibt es nicht mehr. Was gilt jetzt?
    Georgios Chatzimarkakis war Europaabgeordneter für die FDP. Er hat sowohl einen deutschen Pass als auch einen griechischen. Jetzt arbeitet er als Sonderbotschafter der griechischen Regierung. Wir erreichen ihn im Moment in Brüssel. Guten Morgen, Herr Chatzimarkakis.
    Georgios Chatzimarkakis: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Sind das morgen jetzt Gespräche mit der Troika oder nicht?
    Chatzimarkakis: Ja gut, das ist ja im Grunde letztendlich Wortklauberei. Die Institutionen bestehen weiter fort und Herr Schäuble hat ja gestern die Institutionen auch Troika wieder genannt. Ob das ein Rückfall in alte Sitten war, oder ob das eine gezielte Provokation war, weiß ich nicht. De facto ist es so, dass die Eurogruppe gestern erkannt hat, ohne dass wir in die Bücher gucken, wie wir das früher gemacht haben, kommen wir offenbar nicht weiter, und dass die griechische Regierung das jetzt auch akzeptiert. Hinter uns liegen ja Wochen der Selbstfindung, sowohl der Regierung als auch der Eurogruppe mit den Griechen, mit der neuen Regierung. Das geht jetzt offenbar vorbei. Jetzt muss man die nächsten vier Monate gestalten. Aber das viel Wichtigere ist: Was kommt eigentlich danach? Die Frage stellt sich keiner. Wir verhaken uns wieder im Klein-Klein und das ist eigentlich unerfreulich, denn das dicke Ende könnte im Juni kommen, wenn ein neues Paket - Fragezeichen - ansteht. Es darf kein Hilfspaket sein, es müsste ein Investitionspaket sein.
    "Troika ist eine undemokratische, technokratische, gesichtslose Truppe"
    Meurer: Die Troika ist ja deswegen so wichtig, weil viele Griechen sie offenbar als Provokation erleben oder erlebt haben. Wie schwer wird es der Regierung in Griechenland fallen, ihren Landsleuten zu erklären, die Troika kommt wieder unter anderem Namen?
    Chatzimarkakis: Zunächst mal: Zur Troika hat es gestern in der ARD eine ganz vorzügliche Dokumentation gegeben vom Autorenpaar Schumann-Bondy. Da wird sehr klar dargestellt, dass die Troika im Grunde eine völlig undemokratische, technokratische, fast staatenlose, gesichtslose Truppe ist, die sehr schwierige Dinge über ein Land bringt. In Griechenland zeigt sich das so, dass die Wirtschaftsleistung um 25 Prozent geschrumpft ist. Ist doch klar, dass die Menschen sagen, nach fünf Jahren "Rettungspolitik", das wollen wir nicht mehr. 55 Prozent Jugendarbeitslosigkeit - die Zahlen sind vielleicht bekannt, aber man macht sich das nicht bewusst. Drei Millionen Griechen sind ohne Krankenversicherung. Das sind Folgen einer sogenannten Troika-Politik, und da ist klar, dass die Regierung sagt, das wollen wir so nicht, und die Chance, die sich mit Herrn Varoufakis ergeben hat, dass da jemand kommt, der unkonventionell ist, unkonventionell denkt, das auch sagt, dass das gesehen wird als Chance, er will das, das ist nicht als Chance ergriffen worden.
    Meurer: Sie wissen natürlich auch, dass man das in Deutschland anders sieht: Nicht die Troika ist schuld, sondern die griechische Politik war schuld gewesen. Und der Punkt ist jetzt: Ist Griechenland bereit zu den geforderten Reformen?
    Chatzimarkakis: Ja. Griechenland hat ja schon eine Liste vorgelegt. Zunächst mal: Dass das in Deutschland anders gesehen wird, das ist klar. Schon in Holland und in Belgien werden ja Dinge anders gesehen. Wir haben Mentalitätsunterschiede. Nur was in Deutschland geklappt hat mit dem Sparen 1999 bis 2001, die Hartz-Reformen und was dann kam, das klappt in anderen Ländern nicht, weil die nicht so eine hohe Exportquote haben. Das Sparen allein reicht nicht.
    Was haben die Griechen vorgelegt? Die Griechen haben ja gestern schon vorgelegt gehabt, dass man zum Beispiel die Internet-Glücksspiele jetzt besteuert. Das sind 500 Millionen Euro im Jahr. Wurde nicht groß diskutiert, wurde lapidar abgetan. - Die Griechen haben präsentiert eine Liste von Kernschulden. Insgesamt haben sich in den letzten fünf Jahren 76 Milliarden Steuerrückstände aufgelistet. Das ist sehr viel. Viele davon werden niemals bezahlt werden können, weil die Firmen, die hier schulden, Pleite sind. Aber die griechische Regierung hat einen konkreten Vorschlag gemacht, wie sie den Kern dieser Schulden eintreibt, ohne die Strafen zu zahlen. Sie hat Amateurfahnder präsentiert. Das wurde überall belächelt. In Wirklichkeit handelt es sich hier aber um den Versuch, die fehlende Steuermentalität tatsächlich durch die Beteiligung der Gesamtbevölkerung zu verändern.
    "Oligarchen hatten das Land im Würgegriff"
    Meurer: Das ist in der Tat schwer nachvollziehbar. Was sollen Privatleute als Steuerfahnder bringen?
    Chatzimarkakis: Na ja, gut. Hier geht es im Grunde darum, dass eine alte Mentalität, wo man natürlich keine Quittung ausgestellt hat für jeden Kauf und die Mehrwertsteuer nicht zahlen brauchte, dass das aufhört und dass man sozusagen die ermuntert, die das auch anzeigen, und zwar auch auf kleinster Ebene. Nichts anderes steckt dahinter. Neu ist jetzt ein Vorschlag, der in Portugal und in der Slowakei funktioniert. Da geht es um eine Lotterie für Quittungen. Jeder der eine Quittung verlangt, kann mit der Nummer der Quittung an einer Lotterie teilnehmen. Auch das ermuntert die Leute, tatsächlich danach zu fragen. Die Mentalität war anders, das haben sie bisher nicht getan. Dann soll es - das ist das Wichtigste meines Erachtens - eine Teilamnestie für ins Ausland transferierte Mittel geben. Hier ergibt sich eine neue Chance, weil die neue Regierung oligarchiefrei ist. Die Superreichen und vor allem die Oligarchen hatten das Land bisher im Würgegriff und da macht jetzt die Regierung sehr konkrete Vorschläge. Sie braucht die Amtshilfe der anderen Europäer. Die Mittel lagern in den anderen EU-Ländern und da sollte die Amtshilfe nicht nur erfolgen, sondern da sollte man auch die Gelegenheit beim Schopfe packen.
    "Dublin-II-Konvention ist nicht tragbar für den Süden Europas"
    Meurer: Herr Chatzimarkakis, der Ton zwischen beiden Seiten scheint langsam fast gegen den Nullpunkt zu gehen. Der Verteidigungsminister Griechenlands droht damit, Deutschland Flüchtlinge zu schicken, 10.000, und wenn IS-Terroristen dabei sind, dann haben wir Pech gehabt. Was sagen Sie zu so einer Bemerkung?
    Chatzimarkakis: Ja gut, Sie haben es ja gesagt: Ich bin jetzt Sonderbotschafter, ich bin kein Abgeordneter mehr. Mir ist da eine Zurückhaltung auferlegt, was Kommentare angeht. Gleichwohl sind die Worte, die der Verteidigungsminister benutzt, zumindest unglücklich. Es gibt einen wahren Kern in dem, was er versucht, hier zu sagen, nämlich dass die Belastung Südeuropas durch unsere Asyl- in Kombination mit Schengen-Politik, nämlich die Dublin-II-Konvention, nicht tragbar ist für den Süden Europas, insbesondere für Länder wie Griechenland, die gar nichts haben im Staatssäckel und hier mit der besonderen Last der Flüchtlinge kämpfen müssen, besonders unerfreulich auch für die Flüchtlinge selbst, weil die wollen ja gar nicht nach Griechenland, die benutzen Griechenland nur als Einfallspforte. Aber die Kosten trägt Griechenland und das wollte Kammenos so ein bisschen andeuten. Die Wortwahl war sicherlich nicht die allerbeste, aber der Ton wird schärfer. Man sieht, dass sich hier zwei Partner oder ein Partner und die Gläubiger innerhalb der europäischen eigentlich Familie immer schwieriger gegenüberstehen. Das ist nicht gut. Und wenn man sich versucht, unter die Wasserlinie gegenseitig zu drücken, dann kann da nichts Gutes bei rauskommen. Ich glaube, wir müssen die nächsten drei, vier Monate nutzen, um die Zeit danach vorzubereiten, nicht uns gegenseitig sozusagen in den Schwitzkasten zu nehmen.
    Meurer: Morgen wird in Brüssel weiter verhandelt zwischen den Euro-Staaten und Griechenland und der Ton wird schärfer, bedauert Georgios Chatzimarkakis, der Sonderbotschafter der griechischen Regierung. Herr Chatzimarkakis, danke schön und auf Wiederhören nach Brüssel.
    Chatzimarkakis: Danke schön! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.