Dienstag, 19. März 2024

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Grimme-Chefin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk
"Für Vertrauen muss immer wieder gekämpft werden"

Die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, sieht ARD, ZDF und das Deutschlandradio in der Pflicht, mehr für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu tun. Die Zuschauer könnten mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, sagte Gerlach im Dlf.

Frauke Gerlach im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 19.07.2018
    Frauke Gerlach steht neben einem Fenster
    Die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach. (dpa / Henning Kaiser)
    Sebastian Wellendorf: Es war ein guter Tag für das Modell öffentlich rechtlicher Rundfunk gestern. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein deutlicher Gegenpol zum Argument derjenigen, die ein gemeinschaftlich finaziertes Medienangebot als gesetzeswidrig ansehen. Andererseits: Ob ein per Richterspruch gerechtfertigtes Finanzierungsmodell die Akzeptanz der Öffentlich Rechtlichen ansteigen lässt, besonders bei den Kritikern: eher unwahrscheinlich. Und das ist das eigentliche Problem, findet etwa die Direktorin des Grimme Instituts Frauke Gerlach. Darüber schreibt sie auch in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Für sie ist Medienpolitik zu weit weg von den Bürgern. Ich hab sie gebeten, das zu erklären.
    Frauke Gerlach: Es gibt zwei Dinge, die für so ein System wichtig sind. Die Finanzierung ist das eine, darüber wurde jetzt ausführlich und in der Vergangenheit noch ausführlicher diskutiert. Aber ein solches System wie das öffentlich-rechtliche braucht eben auch die Akzeptanz der Zuschauerinnen und Zuschauer, der Nutzerinnen und Nutzer. Und dieses Vertrauen kann nicht - ich sag mal - von oben nach unten diktiert werden, diese Zeiten sind vorbei in einer modernen Demokratie. Sie sind zum einen erklärungsbedürftig, für Vertrauen muss immer wieder gekämpft werden.
    Wellendorf: Jetzt haben Sie - um darauf Bezug zu nehmen - in Ihrem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung das Beispiel Schweiz angeführt. Dort wurde ja über den Fortbestand der Gebührenfinanzierung per Volksentscheid entschieden. Ist das aus Ihrer Sicht ein Weg, um auch in Deutschland zu mehr Akzeptanz für die Öffentlich-Rechtlichen zu finden?
    Gerlach: Also ein Volksentscheid ist kein Allheilmittel, ich würde eher einen Konsultationsprozess vorschlagen. Also das bedeutet eben einen Diskursprozess, wo wir eben darüber diskutieren mit den Zuschauerinnen und Zuschauern, die eben wollen, wie ein zukünftiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk aussehen soll, welche Bedarfe und welchen Auftrag sie sich wünschen von einem System, das sie auch, dass wir alle gemeinsam finanzieren und tragen.
    Riege der Bundesverfassungsrichter in roter Robe
    Das Bundesverfassungsgericht hat den Rundfunkbeitrag am Mittwoch für grundsätzlich verfassungskonform erklärt. (dpa/picture alliance/Uli Deck)
    "Leitfragen eines öffentlich-rechtlichen Auftrages diskutieren"
    Wellendorf: Nun sind jetzt aber Medienpolitiker ja demokratisch gewählte Sprecher der Bürgerinnen und Bürger. Warum jetzt die Bürger noch mal extra beteiligen? Die haben doch schon ihre Abgeordneten, die für sie sprechen.
    Gerlach: Das stimmt, aber wir haben gerade in der Rundfunkregulierung dieses komplexe System, dass wir erst dann, wenn die Verhandlungen fertig sind über einen Staatsvertragstext, also wirklich ausformuliert sind, dann kommt es in die Länderparlamente. Dann ist es aber häufig schon so, dass die Texte so zu sind, dass die Mehrheiten in den Parlamenten dem häufig nur zustimmen. So war das jedenfalls in der Vergangenheit. Ich denke, es stünde der Politik - das macht man in anderen Fällen eben auch - dass man wirklich die Leitfragen eines öffentlich-rechtlichen Auftrages diskutieren. Und wie gesagt: Wir sind nicht mehr in einer Demokratie, wo wir eben davon ausgehen, dass alle Institutionen und die Politikerinnen und Politiker akzeptiert sind, auch wenn sie gewählt sind. Sondern Politik ist eben heute sehr viel stärker gefordert, für Vertrauen zu werben, also für Vertrauen in Entscheidungsbildungsprozesse. Und ich glaube, in der Rundfunkregulierung ist das mehr als überfällig.
    Wellendorf: Weil Sie jetzt gerade die Leitfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ansprechen: Geht es Ihnen nur darum, wie und von wem Entscheidungen getroffen werden, oder auch um die Frage nach der grundsätzlichen Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
    Gerlach: Ich würde es positiv formulieren, also nicht einfach eine Ja-und-Nein-Frage: Brauchen wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder nicht? Das ist ja sehr intensiv abgesichert durch unser Bundesverfassungsgericht. Ich hätte Zweifel, dass wir so eine Grundsatzfrage überhaupt stellen könnten.
    "Voraussetzung für die Akzeptanz"
    Wellendorf: Aber das ist ja die Frage, die sich viele Bürgerinnen und Bürger stellen. Es ist offenbar nicht einfach zu vermitteln, dass in einer Solidargemeinschaft zum Beispiel auch diejenigen zahlen müssen, die Angebote nicht nutzen.
    Gerlach: Das stimmt. Also das ist extrem erklärungsbedürftig. Im Grunde ist das schon mal die erste Stufe, da haben Sie völlig Recht. Also die Leitfragen sind das eine, wie es ausgestaltet werden soll, und das andere ist die Anforderung und die Herausforderung, zu erklären, warum wir so ein ausdifferenziertes, komplexes Modell haben, was eben sehr stark aus der Historie des nationalsozialistischen Deutschlands und die Erfahrung mit Massenkommunikation entstanden ist. Das müssen wir den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder erklären. Das ist die erste Voraussetzung für die Akzeptanz.
    Wellendorf: Mehr Bürgernähe oder weniger politische Hürden - jetzt mal für uns Medien gefragt: Wie können denn die öffentlich-rechtlichen Angebote mehr Akzeptanz in der Bevölkerung erreichen aus Ihrer Sicht?
    Gerlach: Also indem - zunehmend passiert das ja auch schon - eine Öffnung... der öffentlich-rechtliche Rundfunk rückkanalfähig ist, also mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Zuschauern in Kontakt tritt. Da sind erste Schritte eben auch gemacht. Dass Kritik und die Kritikfähigkeit erhöht wird, die eigene Kritikfähigkeit. Und dass Kritik produktiv auch aufgenommen wird, also dass die Zuschauerinnen und Zuschauer auch sehen: Es bringt auch was, wenn ich etwas sage. Also ein bisschen Demut auch vor den Beitragszahlerinnen und -zahlern ist ein ganz wichtiger Schritt, dass man wahrgenommen wird auch auf der anderen Seite.
    Wellendorf: Die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach. Dankeschön, Frau Gerlach.
    Gerlach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.