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Größter Windpark Chiles
77 Windräder als neue Nachbarn für die Mapuche

Chile gilt als Paradies für erneuerbare Energien. Viele Projekte werden im Süden Chiles geplant und gebaut, wo die indigenen Mapuche leben. Ein deutsches Unternehmen will nun den größten Windpark Chiles bauen – in direkter Nachbarschaft von indigenen Gemeinden.

Von Sophia Boddenberg | 07.02.2019
    Zwei Mädchen laufen durch den Wind Power Park Canela in Coquimbo, Chile
    Viele Projekte für erneuerbare Energien werden im Süden Chiles geplant und gebaut, wo die indigenen Mapuche leben (dpa /Ian Salas)
    Dienstag, 5. Februar 2019, 15 Uhr – Sitzung des Stadtrats Collipulli in der Araucanía-Region im Süden Chiles. Die Klima-Anlage läuft auf Hochtouren in dem kleinen Sitzungsraum. Draußen ist es 37 Grad warm, in Chile ist Sommer und eine Hitzewelle hat die Region erfasst. Anwesend sind der Bürgermeister und die Ratsmitglieder und heute gibt es besondere Gäste: Thomas Schröter und Carolina Roe, Vertreter des deutschen Energie-Unternehmens wpd in Chile. Das Unternehmen plant seit über sechs Jahren den Bau des größten Windparks Chiles. Heute ist es das erste Mal, dass das Unternehmen das Projekt dem Gemeinderat vorstellt.
    Tomas Schröter – um die 30, strahlend blaue Augen, dunkelblonde Haare, hellblaues Hemd und beiges Sakko – ist der Manager von wpd Chile. Spanisch und Deutsch beherrscht er perfekt, er wurde in Chile geboren. 77 Windräder sollen innerhalb von 98 Tagen gebaut werden und Energie für 350.000 Familien erzeugen. 400 Millionen US-Dollar investiert das Unternehmen. Schröter legt in seiner Präsentation ein besonderes Augenmerk auf die Beteiligung der lokalen Bevölkerung und die positive Umweltbilanz der Windkraft. Kritik von den sechs Ratsmitgliedern gibt es kaum – im Gegenteil, die meisten beglückwünschen das Unternehmen für das Projekt.
    Rückforderung der Ländereien
    Die Araucanía-Region ist die ärmste Region in ganz Chile und die mit dem größten Anteil indigener Bevölkerung, die meisten gehören zum Volk der indigenen Mapuche. Collipulli ist auch als "Rote Zone" bekannt, als Konfliktzone. Immer wieder gibt es Anschläge auf Forstunternehmen, Häuser werden abgebrannt und Lastwagen angezündet. Die Mapuche fordern ihre Ländereien zurück, die ihnen einst vom Staat weggenommen und an große Agrar- und Forstunternehmen verkauft wurden.
    "Genau das war vielleicht die Möglichkeit, die es gab. Die anderen Mitbewerber haben das Gebiet gemieden und dementsprechend haben sie die hervorragende Fläche, die wir jetzt in Anspruch nehmen, nicht gesehen."
    Wenn man Schröter glaubt, wird der Windpark der Gemeinde Wohlstand und Fortschritt bringen. Aber garantiert werden lediglich 65 feste Arbeitsplätze während der Bauzeit von etwa 98 Tagen. Die Pachtverträge wurden mit den Besitzern des Grundstücks Fundo Agua Buena geschlossen, mit wohlhabenden Agrarunternehmern. Gewinnbeteiligung der lokalen Bevölkerung oder der Gemeinde – Fehlanzeige.
    Besondere Strategie für "soziale Akzeptanz"
    Um Konflikte zu vermeiden, hat wpd deshalb eine besondere Strategie für die "soziale Akzeptanz" entwickelt, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Wichtig ist es dabei Schröder zufolge, Vertrauen zu den Bewohnern aufzubauen. Nicht durch Geldgeschenke, sondern durch gezielte Gesten.
    "Mehr als was braucht ihr, mit welchen Mitteln könnt ihr etwas schaffen, was euch ein bisschen Entwicklung gibt in irgendeinem Aspekt. Am Anfang war da meistens das Thema mit den Häusern, Dach, Toilette, Scheibe, kleine Obst- und Gemüsegärten, Hühnerställe. Mehr als 'hier habt ihr jetzt einen Hühnerstall und sagt zu allem ja', war es ein Prozess, in dem wir uns ständig unterhalten haben."
    Nicht eingeladen zu der Sitzung des Stadtrats sind die betroffenen Bewohner und die Vertreter der Mapuche-Gemeinden. Und nicht alle von ihnen sind mit dem Bau des Windparks einverstanden. Viele von ihnen trauen sich aber nicht, öffentlich Kritik zu äußern, aus Angst vor Repressalien durch andere Gemeinden und aus Angst, von den Geschenken des deutschen Unternehmens ausgeschlossen zu werden.
    Ein Mapuche, um die vierzig, der wenige Kilometer von dem Windpark entfernt in einer Gemeinde lebt und anonym bleiben will, kritisiert:
    "Hier werden Abkommen von der Regierung geschlossen, ohne die Meinung der umliegenden Bevölkerung zu berücksichtigen. Mit diesem Projekt wird das Unternehmen Millionen verdienen. Wir wollen nicht weiter in Armut leben. Wir Mapuche leben in einer Streichholzschachtel. Wir wollen am Gewinn beteiligt werden."
    Keine Vorteile für die Mapuche
    Der chilenische Staat hat die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz indigener Völker unterschrieben. Demnach müssen indigene Gemeinden konsultiert werden, wenn ein wirtschaftliches Groß-Projekt in ihrer Nähe geplant wird. Von der Seite der Regierung ist das nicht geschehen, da der Windpark Malleco auf einem Privatgrundstück gebaut wird. Für die Mapuche gehört aber das gesamte Gebiet südlich des Flusses Bíobío zu ihrem Territorium. Jaime Huenchullán lebt in der naheliegenden Gemeinde Temucuicui. Dort wurde vor wenigen Monaten ein Mapuche von einem Polizisten erschossen, was weltweit für Empörung sorgte.
    "Dieses Projekt wird keine Vorteile für die Bewohner und die Mapuche hier in der Region bringen, sondern lediglich für die transnationalen Unternehmen. Es geht ums Geschäft der Energie, die hauptsächlich an Unternehmen verkauft wird. Dafür werden die Territorien der Mapuche benutzt, einheimische Flora und Fauna wird zerstört. Es gibt keine Studien, die bestätigen, dass es keine Auswirkungen auf die Menschen gibt. Der Windpark hat Auswirkungen auf die Erde und die Menschen."
    Die meiste Energie wird in Chile durch den Bergbau und die Landwirtschaft verbraucht – Wirtschaftssektoren, die auf den Export ausgerichtet sind, vor allem in die USA und nach Europa. Die Gewinne aus dem Energiesektor bleiben bisher in den Händen weniger Unternehmer. Vom Ziel, auch die breite Bevölkerung am Energiewandel teilhaben zu lassen und wirtschaftliche Abhängigkeitsstrukturen abzubauen, ist man in Chile noch weit entfernt.