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Großbritannien
Premierministerin May vor Misstrauensabstimmung

Die britische Premierministerin Theresa May muss sich heute einer Abstimmung über ihr Amt als Parteichefin und Premierministerin stellen. Das stellt nicht nur ihre politische Zukunft, sondern auch den weiteren Ablauf des Brexit-Prozesses infrage.

Friedbert Meurer im Gespräch mit Catrin Stövesand |
    Premierministerin Theresa May gibt vor ihrem Amtssitz eine Erklärung ab.
    Die britische Premierministerin Theresa May spricht über das bevorstehende Misstrauensvotum gegen sie. (dpa-Bildfunk / AP / Renee Bailey)
    Catrin Stövesand: Herr Meurer, wie ist denn diese Entscheidung zustande gekommen?
    Friedbert Meurer: Es hatte sich gestern im Laufe des Tages schon abgezeichnet, dass es da rumort, dass sich etwas zusammenbraut in Westminster, nachdem am Montag die Premierministerin die Abstimmung über den Vertrag mit der EU verschoben hat. Das hat für viel Empörung gesorgt, das hat die Gemüter aufgewühlt. Die Abgeordneten fühlen sich schlecht behandelt, missachtet in ihren Rechten und das hat dann dazu geführt, dass die notwendige Zahl von 15 Prozent der Abgeordneten der eigenen konservativen Fraktion gesagt haben, es reicht. Es haben jetzt also 48 oder mehr Abgeordnete einen Brief bei Graham Brady abgegeben. So heißt der Mann, der das Gremium der Hinterbänkler führt. Er ist der Hüter des Verfahrens und er hat vor etwa zwanzig Minuten bestätigt, diese magische Zahl von 48 Stimmen ist erreicht. Es gibt also ein Misstrauensvotum in der eignen Fraktion, nur in der Fraktion und zwar heute Abend schon.
    Stövesand: Heute Abend sagen Sie. Wann ungefähr wird denn mit dem Ergebnis gerechnet? Und wie wird das Ihrer Meinung nach ausfallen?
    Meurer: Abgestimmt wird nach deutscher Zeit zwischen 19 und 21 Uhr. Eine geheime Abstimmung. Brady hat gesagt, danach wird sofort ausgezählt. Es soll sehr schnell gehen. Also denke ich, dass wir allerspätestens um 22:00 Uhr das Ergebnis haben werden. Vor einiger Zeit hat man noch damit gerechnet, ja selbst wenn die Zahl von 48 zustande kommt, bedeutet das noch nicht, dass Theresa May das Vertrauensvotum verlieren wird. Die Fraktion hat 316 Mitglieder, Theresa May benötigt 50 Prozent plus eine Stimme. Würde technisch für sie ausreichen.
    Jetzt hat sich der Wind offenbar gedreht, die Unzufriedenheit ist wie gesagt groß. Das heißt, sie ist in akuter Gefahr, heute Abend ihren Job zu verlieren. Selbst wenn sie es schafft mit 50 Prozent plus einer Stimme zu gewinnen, wenn sie nicht ein halbwegs erträgliches Ergebnis hinbekommt, das heißt, wenn die Zahl der Gegenstimmen so hoch ist, dass man zu dem Ergebnis kommt, also so kann sie das Land und ihre Partei nicht führen, dann könnte sie selbst zum Rücktritt gezwungen sein, wenn sie diese 50 Prozent plus eins schafft.
    Stövesand: Nun war Theresa May ja jetzt gerade auf Werbetour in Sachen weitere Zugeständnisse beim Brexit. Was bedeutet denn diese Abstimmung für den weiteren Prozess beim Brexit?
    Meurer: Schlichtweg Chaos, muss man sagen. Die Situation ist schwierig und unübersichtlich genug. Für nichts gibt es eine Mehrheit. Alles steckt fest, alles ist möglich. Es gibt keine Mehrheit, bei weitem keine Mehrheit für den Vertrag mit der EU. Wenn das jetzt alles so kommen würde, dass Theresa May heute abgewählt wird, dann steht erstens schon die Frage an, wer fliegt denn dann morgen zum EU-Gipfel und vertritt Großbritannien?
    Es wird dann ein Verfahren in der Fraktion der Konservativen geben. Die Fraktion wählt zunächst einmal zwei Kandidaten aus. Die werden dann einer Urwahl vorgelegt, einer Urwahl durch die Mitglieder. Das alles dauert. Die Fraktion wird wohl relativ schnell zu Potte kommen, vielleicht schon Montag oder ganz sicher dann im Verlauf der nächsten Woche, wenn es dazu käme. Aber der Mitgliederentscheid dauert. Da gibt es satzungsrechtliche Vorschriften. Also vor Mitte Januar wäre dann mit einem Ergebnis nicht zu rechnen. Bis 21. Januar muss technisch eigentlich alles stehen und die Abstimmung über einen Vertrag mit der EU erfolgt sein. Das kann man sich im Moment überhaupt nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.
    Stövesand: Vielen Dank, Friedbert Meurer für die Einschätzung dieser neuen Lage in London.