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Großbritannien und der Brexit
Tory-Abgeordneter: Neuwahlen sind gefährlich

Im Streit um den EU-Austritt im britischen Parlament sei es möglich, dass Premierminister Boris Johnson Neuwahlen ausruft, sagte der Tory-Abgeordneter Greg Hands im Dlf. Dieser Schritt berge jedoch viele Risiken. Für die Brexit-Frage sieht er nur eine einzige Lösung.

Greg Hands im Gespräch mit Silvia Engels | 03.09.2019
Greg Hands im Porträt
Neuwahlen seien ebenso wenig eine Lösung für das Brexit-Dilemma wie eine weitere Verschiebung, sagte der Tory-Abgeordnete Greg Hands (Imago/Jürgen Heinrich)
Silvia Engels: An ein langsames Wiedereinarbeiten nach der Sommerpause ist für die britischen Abgeordneten in diesem Jahr nicht zu denken. Das Land steht vor der realen Möglichkeit eines ungeordneten Brexit. Premier Johnson will nach dieser ersten Sitzungswoche das Parlament bis Mitte Oktober suspendieren - um seinen harten Brexit-Kurs ohne Gegenwehr durch das Unterhaus zu bringen oder vielmehr daran vorbei. Doch viele Parlamentarier, womöglich auch aus den eigenen Reihen, wollen das verhindern. – Am Telefon ist uns zugeschaltet Greg Hands. Er ist Tory-Abgeordneter und ehemaliger britischer Staatssekretär. Guten Morgen, Herr Hands!
Greg Hands: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Wir haben es gerade gehört: Gestern die Gerüchte, die Regierung könne Neuwahlen ausrufen. Boris Johnson wies das gestern Abend zurück, aber offenbar behält er das als letztes Druckmittel in der Hand gegenüber möglichen Rebellen in den eigenen Reihen, falls sie seinem Kurs nicht folgen. Fühlen Sie sich erpresst?
Hands: Ja! Ich denke, Neuwahlen sind wohl möglich. Aber viel besser wäre es, wenn wir eigentlich eine Lösung für diese Brexit-Frage kriegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Lösung möglich ist. Ich habe das vorgeschlagen im Juli und ich schlage das heute wieder vor, dass wir eine alternative Lösung brauchen statt diesem Backstop und deswegen alternative Regelungen für die irische Grenze zu haben. Ich möchte nicht unbedingt alle Einzelheiten besprechen, aber eine Lösung zu der Brexit-Frage ist viel besser als eine Verzögerung, viel besser als Neuwahlen. Darin liegt das nationale Interesse von Großbritannien und eigentlich auch das Interesse von Brüssel und von Deutschland daran, dass wir alle eine Lösung zum Brexit bekommen, dass Großbritannien aus der EU austritt, aber zur gleichen Zeit in einer ordentlichen Weise, ohne ständig diese Verzögerungen und Probleme zu haben.
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Engels: Boris Johnson sagt ja auch, dass er genau für diesen Kurs ist, doch noch ein Abkommen mit Brüssel zu erzielen, und er will auf diese Art und Weise, dass er dem Parlament zur Not auch überhaupt nicht die Ausweichmöglichkeit geben will, einen harten Brexit zu vermeiden, den Druck auf Brüssel erhöhen. Folgen Sie ihm in diesem sehr, sehr riskanten Verhandlungspoker?
Hands: Ich war kein Unterstützer von Boris Johnson im Juli. Ich war für den anderen Kandidaten Jeremy Hunt. Aber Boris Johnson hat klar und wahr die Wahl in der konservativen Partei gewonnen. Er hat zwei Drittel der Parteimitglieder und zweimal so viele MPs als Jeremy Hunt. Er hat ein klares Mandat in der Partei, die Europäische Union zu verlassen vor dem 31. Oktober. Und ich denke, das sollen wir durchführen, denn ständig diese Brexit-Frage. Ich bin öfters, wie Sie wissen, in deutschen Medien. Ich würde gerne eines Tages bald über was anderes als Brexit sprechen, denn wir brauchen eine Lösung und die Lösung muss hier gefunden werden, durch diese alternative Regelung, nicht durch diese ständigen Verzögerungen.
"Der Backstop kommt nie durch das britische Unterhaus"
Engels: Aber Chefunterhändler Barnier hat gerade erst noch mal deutlich gemacht, dass der Backstop für die irische Grenze nicht wegfallen wird. Sie appellieren an eine Lösung, aber hier bewegt sich die EU nicht. Riskiert Großbritannien, riskiert Boris Johnson zu viel, wenn am Ende wirklich auch ein No-Deal-Brexit stehen könnte? Wollen Sie das mittragen?
Hands: Das Problem mit dem Backstop ist: Der Backstop kommt nie durch das britische Unterhaus. Das hat Theresa May dreimal versucht. Ich war erst mal dagegen, aber am Ende habe ich dafür abgestimmt. Aber zu viele MdBs waren dagegen. Einen Backstop zu haben, das führt selber zu einem No-Deal-Brexit, denn das kommt nie durch das britische Unterhaus. Also brauchen wir eine neue Lösung und die neue Lösung liegt in alternativen Regelungen der irischen Grenze. Ich habe im Juli einen ganz langen Bericht darüber veröffentlicht, 272 Seiten. Das habe ich auch in Deutschland diskutiert mit Kabinettsmitgliedern von Angela Merkel. Alle wissen, dass hier die eigentliche Lösung zu der Brexit-Frage ist.
Engels: Das haben wir jetzt verstanden. Wir wollen aber jetzt mal auf diese Woche, in der Sie ja gerade mittendrin stecken, sprechen. Da gibt es nun einen Gesetzentwurf, der offenbar im Parlament heute die ersten Schritte nehmen soll, der sowohl Johnson einen harten Brexit verbieten würde als auch eine Drei-Monats-Verlängerung der Frist noch mal in Aussicht nimmt. Könnten Sie sich vorstellen, dem zuzustimmen?
Hands: Nee, überhaupt nicht. Ich bin völlig gegen schon wieder eine sinnlose Verschiebung, ohne eine Lösung zu finden. Es wäre besser, wenn wir die nächsten acht Wochen benutzen würden, um eine Lösung zu finden, statt über eine sinnlose Verschiebung zu sprechen. Ich bin völlig gegen dieses neue Gesetz.
"Es gibt viele Risiken mit Neuwahlen"
Engels: Dann schauen wir auf die andere Möglichkeit. Da hat ja auch Boris Johnson, falls sich doch eine Mehrheit findet, die dieses Gesetz auf den Weg bringt, wohl diese Drohung wirklich im Hintergrund, im Raum stehen, dann Neuwahlen anzusetzen, und zwar für Mitte Oktober oder, wie seine Kritiker sagen, er will es am Ende doch in den November schieben. Was sagen Sie? Wenn es Neuwahlen gibt, wann sollen die angesetzt werden?
Hands: Ich bin mit Neuwahlen einigermaßen unbequem. Denn ich denke auch, das ist nicht der beste Weg zu einer Lösung. Es gibt viele Risiken mit Neuwahlen. Vielleicht gewinnt doch der Jeremy Corbyn und das hilft niemandem. Das hilft weder Deutschland, weder Brüssel und bestimmt nicht der britischen Bevölkerung. Ich denke, viel besser wäre eigentlich am Tisch zu sitzen mit den Leuten in Brüssel und das noch zu verhandeln, um eine Lösung zu finden. Das ist eigentlich die Lösung Nummer eins, das ist eigentlich eine Lösung zur Brexit-Frage, so dass wir endlich wieder vorankommen können mit anderen Sachen.
Corbyn vs. Johnson - Auf der Suche nach Verbündeten
Im Kampf gegen einen No-Deal-Brexit schaltet die britische Opposition einen Gang höher. Labour-Chef Jeremy Corbyn trifft sich heute mit Abgeordneten anderer Parteien, um Pläne für einen Misstrauensantrag gegen Premierminister Boris Johnson voranzutreiben – und selbst an die Macht zu kommen.
Engels: Dieses Thema Brexit ist natürlich ein ganz zentrales. Aber im Zuge des Streits um den richtigen Weg erleben wir ja mittlerweile eine veritable fast Staatskrise in Großbritannien. Droht Boris Johnson auch mit seiner grundsätzlichen Entscheidung, das Parlament weniger tagen zu lassen als es üblich wäre, dem gesamten britischen Parlamentarismus?
Hands: Nee, überhaupt nicht. Eine Zwangspause ist nicht unüblich in Großbritannien. Ich bin Mitglied des Parlaments seit 14 Jahren und in der Zeit waren neun Zwangspausen. Es ist keine radikale Methode.
Parlamentspause ist völlig normal
Engels: Aber in diesem Zusammenhang, bei diesem wichtigen Thema sagen doch auch so wohlmeinende Stimmen für Herrn Johnson, dass er das natürlich nicht irgendwie verwendet, sondern ganz bewusst, um das Parlament hier nicht mitreden zu lassen. Lassen Sie sich das gefallen?
Hands: Nein, das denke ich nicht. Ich denke eigentlich, die Sitzungsperiode jetzt ist seit zwei Jahren. Das ist die längste Sitzungsperiode von fast allen Zeiten in Großbritannien. Boris Johnson ist der neue Premierminister. Er hat neue Ideen und es ist völlig normal, dass er eine neue Sitzungsperiode anfangen würde. Wenn man in Großbritannien eine neue Sitzungsperiode anfängt, dann hat man eine sogenannte Queen’s Speech. Die Königin sagt, was eigentlich die Regierung in der kommenden Sitzungsperiode machen möchte. Die letzte Queen’s Speech war im Sommer 2017 und eigentlich müssen wir von Boris Johnson hören, was er zu tun haben möchte. Das ist völlig normal in dem Sinne.
Brexit und die Demokratie - Steckt der britische Parlamentarismus in der Krise?
Heftige Kritik an Premierminister Boris Johnson: Abgeordneten zufolge will er einen Brexit ohne Vertrag durchbringen, indem er das Parlament in eine Pause schickt. Für den britischen Parlamentarismus sei dadurch aber keine Krise ausgelöst worden, sagt Rechtswissenschaftler Florian Meinel von der Universität Würzburg. Eine solche Krise habe schon längst mit dem Referendum im Jahr 2016 begonnen.
Engels: Aber wenn man auf der einen Seite die Queen’s Speech haben möchte, aber dafür in Kauf nimmt, dass die Parlamentarier nicht ausführlich über dieses so ganz zentrale Brexit-Thema sprechen können, ist es das wert? Das ist ja keine normale Aussetzung des Parlaments wie in früheren Zeiten. Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen für Großbritannien überhaupt.
Hands: Ja! Aber das Parlament soll sowieso drei Wochen in Ruhezeit sein für die Parteikonferenzen. Das passiert auch jedes Jahr seit etwa 80 Jahren. Da gibt es eine Woche für die Liberalen, eine Woche für die Labour und eine Woche für die Tories für die Parteikonferenzen, für die Parteitage. Das ist auch völlig normal, dass das Parlament in der Zeit nicht sitzen wird, die letzten zwei Wochen im September und die erste Woche im Oktober. Das ist völlig normal und passiert jetzt seit 80 Jahren. Das ist total üblich oder ziemlich normal, was Boris Johnson jetzt vorschlägt. Man verliert dabei nur drei oder vier Sitzungstage. Das ist kein großes Thema. Das ist einfach so gesagt von Leuten, die möchten den Brexit halten, und wir müssen dadurch sehen, dass wir doch eine Lösung für die ganzen Dinge brauchen. Dafür kämpfe ich jeden Tag.
Bessere Lösung für die irische Grenze finden
Engels: Mr. Hands, wir haben jetzt Ihre Idee einer Lösung, dass man doch miteinander reden solle, auch mit Brüssel, mehrfach gehört. Jetzt schauen wir aber danach, was Sie erwarten. Sie hören ja auch viel aus den eigenen Parlamentsreihen. Wird Boris Johnson noch in dieser Woche Neuwahlen ankündigen, weil dieser Gesetzesvorstoß gegen ihn auf dem Weg ist?
Hands: Ich denke, das ist wohl möglich. Ich hoffe nicht, denn wie ich gesagt habe: Ich denke, Neuwahlen ist nicht unbedingt die Lösung. Die Lösung ist, mit Brüssel zusammenzusitzen und eigentlich eine bessere Lösung an der irischen Grenze zu finden. Wenn das ganze Ding scheitern würde wegen der irischen Grenze und es dann zu einem harten Brexit kommen würde, ich finde das fast unglaublich. Ich denke, die bessere Lösung ist, weiter zu verhandeln und eine bessere Lösung mit Brüssel zu finden. Aber Neuwahlen stehen aus, sehen wohl möglich aus, und mal sehen, was da passiert.
Vor 25 Jahren in Nordirland - Der erste Waffenstillstand der Untergrundorganisation IRA
Seit 1969 hatte der Bürgerkrieg zwischen katholischen und protestantischen Nationalisten Nordirland fest im Griff. Als die Terrororganisation IRA heute vor 25 Jahren erstmals einen Waffenstillstand verkündete, waren die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt groß.
Aber die ganze Lage ist sehr gefährlich, denn niemand weiß, wer genau die Neuwahlen gewinnen würde. Die Tories sind jetzt bei etwa 32 Prozent. Wir haben eine Führung von 10 bis 12 Prozent. Aber auf der anderen Seite ist Labour sehr unbeliebt, die Liberalen sind auch nicht ganz so beliebt, die sind bei 18 Prozent. Aber bei so einem Ding kann man nicht sagen, wer der Gewinner sein wird, etwa wie die Landtagswahlen, die man in Deutschland gerade in Sachsen und in Brandenburg hatte. Das sieht alles sehr fragwürdig aus, wer gewinnen würde, und deswegen ist es ein bisschen gefährlich, Neuwahlen bei diesem ganzen Ding zu haben, meines Erachtens.
Engels: Mr. Hands, Sie sind ja gegen einen harten Brexit. Sie wollen eine Lösung. So weit, so klar. Aber wenn dieser harte Brexit-Kurs von Boris Johnson weitergefahren wird, wann ist der Punkt, wann Sie Ihre Unterstützung für ihn aufgeben?
Hands: Ich denke, es soll zu guten Verhandlungen kommen. Erst mal sehen wie die Verhandlungen ausgehen. Ich habe ganz großes Vertrauen, dass eigentlich eine Lösung hier zu finden ist bei diesen alternativen Regelungen an der irischen Grenze. Das ist nicht ganz so schwierig. Das haben wir alles veröffentlicht. Hier liegt die eigentliche Lösung und alle Leute sollen diese Lösung in die Hand nehmen, um die Möglichkeit raus aus diesem ganzen Chaos zu finden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.