Freitag, 19. April 2024

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Großkonzerne für mehr Klimaschutz
Unternehmerinitiative: "Wir brauchen große Mengen erneuerbarer Energien"

69 deutsche Großkonzerne appellieren an die künftige Bundesregierung, sich mehr für den Klimaschutz einzusetzen. Initiatorin ist die Unternehmerinitiative „Stiftung 2 Grad“. Für die künftigen Herausforderungen brauche man von der Politik verlässliche Rahmenbedingungen, sagte deren Vorständin Sabine Nallinger im Dlf.

Sabine Nallinger im Gespräch mit Georg Ehring | 11.10.2021
Mehr Tempo beim Klimaschutz fordern 69 große deutsche Unternehmen von der Politik. Darunter sind Firmen wie Adidas, Deutsche Post, Miele oder Thyssenkrupp. Organisiert hat den Appell die Unternehmerinitiative "Stiftung 2 Grad".
Die künftige Bundesregierung müsse einen verlässlichen Rahmen schaffen, mit dem Unternehmen planen können, sagte Sabine Nallinger, Vorständin der Initiative, im Deutschlandfunk. Nur so könnten "die vielen guten Technologien, die schon entwickelt worden sind und die Investitionen, die schon von den Unternehmen angestoßen worden sind, tatsächlich auch fruchten."
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Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität

Man brauche verlässliche Ansagen aus der Politik zum Ausbau erneuerbarer Energien, dem Ausbau der Infrastruktur und zum Ausstieg aus der Kohle und dem Verbrennungsmotor, so Nallinger: "Daher fordern wir die Bundesregierung auf, diesen Rahmen schnellstmöglich in einem 100-Tage-Programm zu schaffen."

Das Interview im Wortlaut:
Georg Ehring: Frau Nallinger, hat sich die Stimmung in der Wirtschaft gedreht in Richtung Klimaschutz?
Sabine Nallinger: Ja, ganz deutlich. Wir spüren das seit circa zwei Jahren, dass immer mehr Unternehmen Klimaschutz ganz oben auf ihre Agenda setzen, Strategien entwickeln, in Technologien investieren und hier vorangehen wollen, um 2045 klimaneutral zu sein.

"Immer mehr Unternehmen fühlen sich dem Klimaschutz verpflichtet"

Ehring: Aber bei den großen Wirtschaftsverbänden BDI oder Arbeitgeberverbänden hat sich das noch nicht so richtig rumgesprochen.
Nallinger: Ich kann von unserer Arbeit berichten, und wir haben mit Unternehmen aus allen Branchen, aus allen Schlüsselindustrien Kontakt. Und da ist feststellbar, dass sich immer mehr Unternehmen dem Klimaschutz verpflichtet fühlen, Strategien entwickeln. Das wird sicherlich auch im BDI registriert. Dass nun die größte Unternehmensappell-Initiative gestartet werden konnte, zeigt dies ja - fast 70 Unternehmen, die sich unserem Appell angeschlossen haben und Rahmenbedingungen von der Politik fordern, um sich auf den Weg machen zu können, 2045 klimaneutral zu sein.
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Ehring: Welche Rahmenbedingungen sind das, was muss die nächste Bundesregierung tun?
Nallinger: Im Zentrum steht der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Viele Industrieprozesse müssen jetzt elektrifiziert werden, das heißt, wir brauchen große Mengen erneuerbarer Energien. Wir müssen frühzeitig aus der Kohle aussteigen – vor 2038, wenn möglich deutlich vor 2038. Das wird ein wichtiger Schritt sein, und das fordern wir gemeinsam mit den 69 Unternehmen.
Die Bundesregierung muss zum Vorbild werden und selber vorangehen bei der öffentlichen Beschaffung, bei ihren Gebäuden, bei den Infrastrukturen. Und natürlich muss die Bundesregierung einen Rahmen schaffen, eine richtige Umsetzungsoffensive starten für die Wirtschaft und die Industrie, damit die vielen guten Technologien, die schon entwickelt worden sind, und die Investitionen, die schon den Unternehmen angestoßen worden sind, auch fruchten.
Und eines sollte man im Auge haben, dass wir weiterhin international wettbewerbsfähig sein können. Das heißt, dazu braucht es die richtigen politischen Instrumente von einem CO2-Preis, aber auch von internationalem Wettbewerb, also von Grenzausgleichsmechanismen und so weiter. Es ist also ein ganzer Rahmen, der nun von der Bundesregierung gesetzt werden muss.
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"Nicht mehr emittieren, als die Wissenschaft vorgibt"

Ehring: Die FDP als wirtschaftsnahe Partei fordert, vor allem auf den Emissionshandel zu setzen. Das reicht Ihnen dann aber nicht?
Nallinger: Das ist sicherlich ein Kernstück, dass wir unseren Emissionsausstoß an den Pariser Zielen, nämlich die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, einpendeln. Und dazu haben wir ja von der Wissenschaft konkrete Angaben, wie viel wir noch emittieren dürfen. Und natürlich müssen wir unser Wirtschaften, unser Handeln und Tun nun an diesen Emissionszielen ausrichten, das heißt also, dass wir nicht mehr emittieren dürfen, als die Wissenschaft uns vorgibt. Und da hilft natürlich ein Emissionshandel, das wird ein Herzstück auf jeden Fall der Umsetzungsoffensive sein.
Ehring: Was halten Sie denn von festen Ausstiegsdaten für Kohle und den Verbrennungsmotor, wie es zum Beispiel die Grünen fordern?
Nallinger: Was die Wirtschaft hier einfordert in unserem Appell, ist ein verlässlicher, planbarer, zuverlässiger Rahmen, auf den sie sich verlassen können. Und da gehören sowohl Ansagen zum Ausbau erneuerbarer Energien, Ansagen dazu, wann die Infrastruktur zum Beispiel für grünen Wasserstoff steht, für den erneuerbaren Strom in die Industriegebiete in unserem Land, genauso dazu wie verlässliche Angaben, wann wir aus der Kohle und wann wir aus dem Verbrennungsmotor aussteigen.
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"Unternehmen brauchen den politischen Rahmen"

All die Verlässlichkeiten, dieser planbare Rahmen, den wir damit fordern, hilft der Industrie, um sich darauf einzustellen. Und die Industrie- und Wirtschaftsunternehmen, da bin ich zuversichtlich, sind flexibel und kreativ genug, um diese Herausforderungen zu meistern. Aber wie gesagt, sie brauchen diesen politischen Rahmen. Und deswegen fordern wir auch die zukünftige Bundesregierung auf, diesen schnellstmöglich in einem 100-Tage-Programm zu schaffen.
Ehring: Es gibt ja immer die Befürchtung, die Wirtschaft wandert ab in Länder mit weniger Klimaschutz und damit auch mit weniger Klimakosten. Wie sehen Sie das?
Nallinger: Bei uns sind ja vor allem internationale Konzerne engagiert in der Stiftung. Und wenn Sie den internationalen Markt anschauen, dann sind wir hier in Deutschland und Europa wahrlich nicht alleine, sondern alle relevanten Wirtschaftsregionen bilden immer stärker Emissionsvorgaben, Emissionshandelssysteme und richten sich auch in Richtung Klimaschutz aus. Wir sind hier wahrlich nicht alleine, und deshalb verstehen auch immer mehr Konzerne, dass sechs Jahre nach Paris, nach der Festlegung eben auf das Ziel, deutlich unter zwei Grad zu bleiben, sich die Politik darauf einstellt – und auch sie sich darauf einstellen wollen.

Klimaschutz als Geschäftsmodell

Wichtig ist den Unternehmen, dass sie nicht Getriebene sind, sondern hier mitgestalten können. Und deswegen gibt es eben immer mehr Unternehmen, die technologisch vorlegen, die aber zum Beispiel auch zusammen mit uns einen Rahmen definiert haben, was sie jetzt von der Politik brauchen, damit sie auch international wettbewerbsfähig Klimaschutzprodukte etablieren können – und damit Klimaschutz zum Geschäftsmodell wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.