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Grubenunglück
Türkische Regierung unter Druck

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gerät wegen des Unglücks in Soma unter Druck. Tausende Menschen protestieren gegen seine Regierung. Ein Berater Erdogans löst zusätzliche Entrüstung aus - er soll auf einen am Boden liegenden Demonstranten eingetreten haben.

15.05.2014
    Auf einem Foto, das sich schnell über soziale Medien verbreitete, ist zu sehen, wie Erdogans Berater Yusuf Yerkel zum Tritt ausholt, während Sicherheitskräfte einen Mann am Boden festhalten. Yerkel hatte Erdogan bei einem Besuch an der Unglücksmine in Soma begleitet. Dabei war es zu Buh-Rufen und Protesten gegen den Ministerpräsidenten gekommen. Yerkel bestätigte dem türkischen Dienst der BBC, dass er auf dem Bild zu sehen sei.
    @Besser_Deniz: Yusuf Yerkel, Berater v Erdogan, bei der Arbeit. Unten: Mann, der Angehörige in #Soma verloren hat.” pic.twitter.com/QFzqE2nMXV— Omid Nouripour (@nouripour) 15. Mai 2014
    Die türkische Regierung hat unterdessen mitgeteilt, die Zahl der Toten durch das Grubenunglück an der Zeche Soma sei auf 282 gestiegen. In den vergangenen zwölf Stunden seien keine Menschen mehr lebend geborgen worden. Der Gewerkschaftsbund Türk-Is sprach im Zusammenhang mit der Katastrophe vom größten "Mord" am Arbeitsplatz in der Geschichte der türkischen Republik, gegen den protestiert werden müsse. In dem Bündnis haben sich 35 Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen.
    Die Bergbau-Katastrophe löste bereits gestern heftige Proteste gegen die türkische Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus. Die Polizei setzte in der Hauptstadt Ankara und in Istanbul Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstranten ein, die in Sprechchören den Rücktritt der Regierung forderten.
    Demonstranten zogen zum Energieministerium
    In Istanbul hielten Regierungsgegner Plakate mit der Aufschrift "Kein Unfall – Mord" in die Höhe. Die Polizei hinderte die Demonstranten daran, in Richtung des zentralen Taksim-Platzes vorzudringen. In Ankara hatten Hunderte Demonstranten am Nachmittag versucht, zum Energieministerium zu ziehen.
    Die Katastrophe in dem Kohlebergwerk Soma wird als das weltweit schwerste Grubenunglück seit mehr als 20 Jahren eingestuft. Gunnar Köhne berichtete im Deutschlandfunk, die Bergungsarbeiten seien unterbrochen worden. Offenbar habe sich zu viel Methangas unter Tage gebildet. Ministerpräsident Erdogan erklärte laut der Nachrichtenagentur Anadolu, es seien noch etwa 120 Kumpel unter Tage eingeschlossen. 80 Menschen seien bei der Explosion und dem anschließenden Brand verletzt worden.
    Regierung ruft zu dreitägiger Staatstrauer auf
    Nach den Angaben von Yildiz war der Brand am Dienstag in 150 Metern Tiefe ausgebrochen. Medienberichten zufolge wurde er durch einen elektrischen Defekt in einem Trafo ausgelöst, der explodiert sein soll. Die Regierung rief wegen der Katastrophe eine dreitägige Staatstrauer aus. In der Türkei und an den türkischen Botschaften im Ausland hingen die Flaggen auf Halbmast.
    Auch weltweit löste das Grubenunglück Trauer aus. Mehrere Länder boten der Türkei Hilfe an, darunter Israel und Griechenland, deren Verhältnis zur Türkei angespannt ist. Bundespräsident Joachim Gauck sprach Staatschef Gül seine Anteilnahme aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schrieb Erdogan: "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer."
    Sicherheit soll nicht überprüft worden sein
    Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül sagten wegen des Unglücks Auslandsreisen ab. Erdogan besuchte gestern den Ort des Unglücks. Türkische Medien berichteten, seine Partei AKP sei im vergangenen Monat Forderungen der Opposition nicht nachgekommen, die Sicherheitsvorkehrungen an der Zeche Soma zu überprüfen. Nach Angaben der Bergwerkgesellschaft erfolgten die letzten Überprüfungen vor zwei Monaten.
    In der Türkei sind tödliche Grubenunglücke keine Seltenheit. So werden des Öfteren Sicherheitsvorschriften missachtet oder veraltete Arbeitsgeräte eingesetzt. Das bislang schwerste Unglück in einem türkischen Bergwerk ereignete sich im Jahr 1992. Damals waren 263 Menschen ums Leben gekommen.
    (tj/nin)