Die Produktionsstätten der deutschen chemischen Industrie haben nach Angaben des Branchenverbands VCI im Jahr 2020 etwa 33 Millionen Tonnen CO2 direkt verursacht. Chemische Verfahren sind sehr energieintensiv und auf viele Rohstoffe angewiesen.
Für die verbrauchte Energie sind zusätzlich etwa 23 Millionen Tonnen CO2 angefallen, in der vor- und nachgelagerten Lieferkette noch mal fast 57 Millionen Tonnen CO2. Somit hingen im Jahr 2022 fast 113 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß mit der chemischen Industrie zusammen.
Deutschland hat nach Angaben des Umweltbundesamtes im Jahr 2020 insgesamt 731 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente freigesetzt. Die chemische Industrie war also an 15 Prozent der Gesamtemissionen beteiligt.
Der Verband der chemischen Industrie (VCI) hat im Jahr 2019 einen Plan vorgelegt, wie die Branche bis 2050 klimaneutral werden soll. Damit das gelingen kann, ist die Chemieindustrie auf eine erfolgreiche Energiewende angewiesen. Denn die Produktion der Branche braucht viel Energie, die aktuell zu großen Teilen aus fossilen Energieträgern kommt.
Etwa 43 Prozent des Energiebedarfs hat die Chemieindustrie nach VCI-Angaben im Jahr 2021 mit Erdgas gedeckt, sie hat damit ungefähr 14 Prozent des gesamten in Deutschland genutzten Erdgases verbraucht. Ein Viertel der verbrauchten Energie wurde über Strom abgedeckt.
Um das Geschäft aufrecht und zu erhalten und den Energiebedarf dafür zukünftig klimaneutral zu decken, braucht die Chemieindustrie viel Strom: Für 2050 rechnet der VCI in seiner Roadmap mit einem Bedarf von fast 700 Terawattstunden, zwölfmal mehr als im Jahr 2022. Zum Vergleich: Deutschland hat im Jahr 2022 lediglich 571 Terawattstunden Strom produziert und davon knapp weniger als die Hälfte aus erneuerbaren Energien.
Die Chemieindustrie plant einen erheblichen Teil dieses Stromes für die Produktion von grünen Wasserstoff ein. Dieser soll Erdgas ersetzen.
Dieser Strom müsse günstig sein, damit die Branche nicht nur klimaneutral, sondern auch wirtschaftlich arbeiten kann, fordert Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns Evonik. „Wir zahlen in Deutschland die weltweit höchsten Preise für Strom“, so Kullmann. Die Politik müsse durch Subventionen dafür sorgen, dass die Industrie Strom für weniger als sechs Cent pro Kilowattstunde beziehen kann.
Eine umfassende Energiewende reicht für eine klimaneutrale Chemieindustrie aber nicht aus. Denn fossile Rohstoffe werden auch in großer Menge als Bausteine für chemische Produkte eingesetzt.
Bei grüner Chemie achten die Hersteller darauf, wie sie ihre Stoffe herstellen und wie diese wieder entsorgt werden können. Zum einen wird also auf die Rohstoffe geschaut, aus denen die Stoffe produziert werden.
In der konventionellen Chemie basiert vieles auf Erdöl. Im Jahr 2021 hat die chemische Industrie in Deutschland mehr als 14 Millionen Tonnen Mineralöl als Rohstoff für Produkte genutzt. Bei grüner Chemie setzt man auf Rohstoffe aus erneuerbaren Quellen, meist auf pflanzliche Biomasse vom Acker.
So kann beispielsweise die sogenannte Silberhaut, die sich beim Rösten von Kaffeebohnen ablöst und ein Abfallprodukt ist, etwa zur Herstellung von Desinfektionsmitteln genutzt werden. Eine Zulassung als Desinfektionsmittel gibt es allerdings noch nicht.
Bei grüner Chemie soll im Produktionsprozess möglichst wenig Abfall anfallen und es sollen möglichst ungiftige Lösungsmittel eingesetzt werden. Auch der Energieverbrauch für die Prozesse ist im Blick. Die chemischen Endprodukte sollten zudem abbaubar sein.
Nachhaltige Rohstoffe im Sinne grüner Chemie und klimaneutraler Strom seien aber nicht ausreichend, um die Chemieindustrie nachhaltig zu machen, sagt Klaus Kümmerer. Man müsse auch den Bedarf an der Menge der chemischen Produkte reduzieren, so der Professor für nachhaltige Chemie an der Universität Lüneburg. Von nachhaltiger Chemie spricht er erst, wenn die Produzenten nicht nur auf den Produktionsprozess schauen, sondern auch ihre Geschäftsmodelle in den Blick nehmen.
Ein Konzept für ein nachhaltigeres Geschäftsmodell ist das sogenannte Leasing von Chemikalien. In der konventionellen Industrie verkauft die chemische Industrie ihre Stoffe. Je mehr Tonnen Lack, Entfettungsmittel oder andere Stoffe verkauft werden, desto besser läuft das Geschäft.
Beim Leasing verkaufen die Produzenten nicht ihre Stoffe, sondern die Wirkung ihrer Stoffe. Bezahlt wird dann für die Größe der lackierten Fläche oder für die Menge an entfetteten Teilen. Die Chemiebetriebe haben damit den Anreiz, möglichst wenig von ihren Produkten für die Leistung einzusetzen. Das führt zu einem geringeren Materialeinsatz und ist nachhaltiger.
Leasing-Modelle werden in der Chemieindustrie auch schon eingesetzt, beispielsweise im Geschäft mit der Auto- oder Metallindustrie. Und es dürfte zukünftig stärker in diese Richtung gehen. Der Verband der Europäischen chemischen Industrie (CEFIC) hat vor einigen Jahren ein Strategiepapier herausgebracht, in dem es heißt, dass Chemikerinnen und Chemiker künftig zu Molekül-Managern werden müssten, damit die Branche nachhaltiger wird. Es müsse also darum gehen, den Einsatz von Chemie zu managen, statt möglichst viele Chemikalien zu verkaufen.
„Der größte Hebel ist die Verlängerung der Lebensdauer“, sagt Martin Führ, Professor für Umwelt und Technikrecht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Darmstadt. Über eine längere Lebensdauer von Produkten könne man den Bedarf an Chemikalien entscheidend reduzieren. Die Chemische Industrie müsse also die Langlebigkeit ihrer Produkte mitdenken.
Volker Mrasek, Tobias Pastoors, Hellmuth Nordwig