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Grüne zu Fahrverboten
"Es ist viel zu sehr aufs Auto gesetzt worden"

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im NRW-Landtag, Arndt Klocke, sieht die Schuld für die drohenden Fahrverbote in Berlin. Die Bundesregierung hätte auf Hardware-Nachrüstungen durch die Industrie bestehen müssen, sagte Klocke im Dlf. Nötig sei insgesamt eine Verkehrswende hin zu Bus, Bahn und Fahrrad.

Arndt Klocke im Gespräch mit Silvia Engels | 16.11.2018
    Arndt Klocke, Fraktionschef der Grünen im NRW-Landtag
    Arndt Klocke, Fraktionschef der Grünen im NRW-Landtag (dpa / Henning Kaiser)
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Arndt Klocke, verkehrspolitischer Sprecher und Fraktionschef der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag. Guten Morgen, Herr Klocke.
    Arndt Klocke: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Engels: Nordrhein-Westfalen ist ja jetzt schon ein Land, in dem es aufgrund der Verkehrsbelastung zuweilen schwer ist, von A nach B zu kommen. Droht jetzt der komplette Verkehrsinfarkt?
    Klocke: Ja, das ist ein einschneidendes Urteil, auf jeden Fall. Es ist ja das dritte jetzt schon. Wir haben zu Aachen ein Urteil, wir haben es zu Köln und Bonn und jetzt zu den Ruhrgebietsstädten. Das ist schon ein sehr massives Urteil. Einen Verkehrsinfarkt haben wir hier in Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahren, volle Städte, volle Metropolen.
    Die Frage ist, wie es jetzt mit diesem Urteil weitergeht, aber das war natürlich alles erwartbar. Die Debatten laufen ja hier schon seit mehreren Jahren und die Bundesregierung hat nicht gehandelt. Wir haben immer gesagt, es braucht eine konsequente Hardware-Nachrüstung, es braucht eine blaue Plakette, und all das ist nicht geschehen. Die Automobilhersteller waren auch uneinsichtig, die Bundesregierung hat dem Lobbydruck auch nachgegeben. Deswegen sind diese Urteile nicht überraschend und die Reaktion jetzt der Bundesregierung ist wirklich peinlich und wird auch der Lage überhaupt nicht gerecht.
    "Wir brauchen eine Verkehrswende"
    Engels: Die Luftverschmutzung durch Diesel ist das eine, aber ja nicht die einzige Ursache. Die Stickoxid-Belastung, um die es hier geht, wird zum Teil auch durch Industrie gerade im Ruhrgebiet mit verursacht. Außerdem fehlt es an dem Ausbau von Nahverkehrsstrecken. Man hätte auch Entlastungsstrecken frühzeitig bauen können. Muss man diesen Ansatz nicht mitdenken und nicht immer nur auf die Autokonzerne schimpfen?
    Klocke: Selbstverständlich! Klar, wir brauchen eine Verkehrswende. Wir brauchen einen dringenden Ausbau des ÖPNV, insbesondere Umstiegsmöglichkeiten auch für Pendler, Radschnellwege. Diese ganze Debatte läuft auch seit mehreren Jahren. Für mich ist die Frage der Fahrverbote und die Klagen der DUH ein Vehikel, wahrscheinlich der letzte Punkt, um endlich politisch umzusteuern.
    Auch wir Grüne sagen, dass Fahrverbote nicht die Lösung sind. Wenn man nach Hamburg guckt, die Strecken, die da gesperrt worden sind, führen ja nur zu Umgehungsverkehren und zu einer stärkeren Belastung auch der Nebenstraßen, die jetzt mit mehr Verkehr da geflutet werden.
    Das Thema Verkehrswende ist von der Politik, insbesondere von der Bundesregierung, der Großen Koalition, die ja nun schon seit einigen Jahren im Amt ist, immer negiert worden oder stiefmütterlich behandelt worden. Es ist viel zu sehr aufs Auto gesetzt worden.
    Das Problem sind auch die langen Genehmigungsverfahren, die wir im Verkehrsbereich haben. Wenn ÖPNV ausgebaut werden soll, Bahnstrecken entsprechend reaktiviert werden sollen oder neue Strecken gebaut werden sollen, haben wir Vorlaufzeiten von zehn bis 15 Jahren, bevor hier eine neue Schiene liegt oder eine Strecke reaktiviert werden kann. Auch bei Radschnellwegen dauert es sehr lange.
    Man kann jetzt nicht sagen, jetzt bis zum Jahre 2020 gibt es wie auch immer den Radschnellweg Ruhr in voller Gänze oder haben wir neue gute ausgebaute ÖPNV-Ausweichmöglichkeiten. Deswegen ist das eigentlich eine Sache, die nur mittelfristig zu lösen ist, und aufgrund der Gerichtsentscheidung gibt es jetzt den aktuellen kurzfristigen Druck.
    Engels: Ja, Herr Klocke. Aber da sind wir beim Stichwort. Die Grenzwerte gelten schon seit 2010. Sie sagen, man kann in der Tat in der Verkehrspolitik immer nur mittelfristig umsteuern. Jetzt wurden aber in NRW-Städten auch schon seit Jahren die Grenzwerte überschritten, auch als Rot-Grün noch in Düsseldorf regierte. Warum haben Sie den Kommunen damals, als Sie regierten, bei deren Luftreinhaltungsplänen und deren Ausbauplänen nicht stärker geholfen?
    Klocke: Das haben wir gemacht. Es gab ja das entscheidende Problem Anfang der 2010er-Jahre. Das war die hohe Feinstaubbelastung. Da sind die Umweltzonen eingeführt worden, die grüne Plakette, und diese Feinstaubwerte sind deutlich zurückgegangen.
    Dann tauchte in den Jahren 2013/2014 das NOx-Problem auf. Man fragte sich in den Städten, woher kommt diese große Belastung mit Stickstoff-Dioxid. Und dann wurde öffentlich und deutlich – das ist im Jahr 2015 vor allen Dingen publik geworden – die Manipulation bei allen großen Herstellern, was die Diesel-Pkw angeht, die manipulierten Abgaswerte. Das war dann der Schlüssel, dass man wusste, da muss es herkommen. Man hat sich wirklich an den Messstellen gefragt, woher kommen diese hohen NOx-Werte, und dann sind entsprechend auch die Klagen der DUH vorbereitet worden, die jetzt Stück für Stück – es sind ja 14 Städte in Nordrhein-Westfalen, die beklagt worden sind – abgeurteilt werden.
    Bisherige Maßnahmen haben Urteile nicht abgewendet
    Wir haben in der rot-grünen Zeit eine ganze Reihe von Projekten vorangebracht. Es wird jetzt den RRX geben, den Rhein-Ruhr-Express, der auf die Schiene geht, eine schnelle Nahverkehrsverbindung im ganzen Rhein-Ruhr-Gebiet im 15-Minuten-Takt. Momentan haben wir nur einen 30-Minuten-Takt bei den Res. Der Radschnellweg Ruhr wird gebaut. Wir haben fünf Radschnellwege im ganzen Land projektiert. Wir haben eine ganze Reihe von Streckenreaktivierungen in Auftrag gegeben. Also es ist schon reagiert worden, aber es ist nicht ausreichend, um jetzt diese Urteile abzuwenden.
    Engels: Auf der anderen Seite sagt aber Thomas Kufen, der Oberbürgermeister von Essen, das sei nicht nur eine Ohrfeige für Berlin, sondern auch für Düsseldorf. Gerade bei den Luftreinhaltungsplänen fühlen sich viele Kommunen, auch was die finanzielle Ausstattung angeht, vom Land - auch schon unter Rot-Grün - unterversorgt.
    Klocke: Ja, da hat Thomas Kufen recht. Ich bin auch sicher, dass nicht genug getan worden ist. Da haben wir höchst wahrscheinlich auch in den rot-grünen Jahren zu wenig gemacht. Nur jetzt haben wir die Situation mit der aktuellen Landesregierung, mit Herrn Laschet. Wir führen diese Debatte jetzt ja auch schon in Düsseldorf zu der Frage der möglichen Fahrverbote seit über einem Jahr, und die bisherige Reaktion von Laschet und auch vom Verkehrsministerium und Umweltministerium war, dass die jetzt anstehenden Gerichtsentscheidungen beziehungsweise die absehbaren Fahrverbote nicht nur unverhältnismäßig sind, sondern dass sie auch rechtswidrig seien.
    Der Ministerpräsident hat sich ja nach dem entscheidenden Grundsatzurteil in Leipzig hier in Düsseldorf vor die Presse gesetzt und hat gesagt, dass dieses Urteil rechtswidrig sei. Ein Ministerpräsident hat aber nicht zu entscheiden, was Recht und Gesetz ist; das entscheiden hier bei uns noch die Gerichte. Und man hat auch dieses ganze Jahr verschlafen. Die Debatte läuft ja in Berlin auch schon längere Zeit. Hardware-Nachrüstung - es gibt in Nordrhein-Westfalen zwei Hersteller, HJS und Twintec, zwei Firmen hier aus Nordrhein-Westfalen, Mittelständler, die einsatzfähige Hardware-Sätze produktionsfähig in ihren Firmen entwickelt haben. Das Kraftfahrtbundesamt hat sie nicht genehmigt und die Automobilindustrie setzt eher darauf, dass es eine Flottenerneuerung gibt, weil sie will, dass die Leute Neufahrzeuge kaufen, und will die bisherigen manipulierten Fahrzeuge nicht über Hardware-Sätze so wieder instand setzen.
    "Es geht um den Schutz der Menschen"
    Engels: Jetzt lassen Sie uns in dem Zusammenhang auch die Argumentation von Herrn Laschet fortschreiben, denn da gab es ja einen dazu passenden Beschluss des Bundeskabinetts erst gestern. Danach soll gelten, dass in Städten mit relativ geringen Überschreitungen des Grenzwertes der Stickoxide Dieselfahrverbote in der Regel nicht verhältnismäßig seien. Die Grünen sind dagegen. Sie haben im Vorfeld von Klage gesprochen. Ziehen Sie das durch?
    Klocke: Na ja, das setzt dem Ganzen ziemlich die Krone auf. Es geht ja hier um Gesundheitsschutz. Es geht um den Schutz der Menschen in den Städten, die massiv belastet sind. Und jetzt zu sagen, die Grenzwerte, die ja nun gelten, die auch EU-weit gelten, raufzusetzen, um den Städten hier mehr Spielräume zu geben, das finden wir grundsätzlich falsch, sondern man muss jetzt die Situation nutzen, diese Kurzfristigkeit, die man jetzt noch hat bis zum nächsten Jahr, um schnell die Maßnahmen umzusetzen, die möglich sind.
    Engels: Aber Kritiker sagen, Sie streifen es dann an den Dieselfahrern ab. Das sei wirklich unverhältnismäßig.
    Klocke: Ja, das ist die schwierige Situation, in die man sich reinmanövriert hat. Aber da sind nicht die Grünen dran Schuld oder die Umweltverbände, sondern das sind die, die regieren, in Düsseldorf und in Berlin, die auch die letzten anderthalb Jahre, als es absehbar war, in welche Richtung es geht, nicht genutzt haben. Jetzt die Grenzwerte zu verändern und zu sagen, wir geben da jetzt noch mehr Möglichkeiten zur Luftbelastung, indem man die Grenzwerte heraufsetzt, das lehnen wir grundsätzlich ab.
    Engels: Werden Sie klagen?
    Klocke: Das werden wir jetzt entsprechend prüfen, ob es Klagemöglichkeiten gibt. Der Kabinettsbeschluss ist ja gestern erst erfolgt in Berlin. Das ist auf jeden Fall eine Option, die wir offen haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.