Sarah Zerback: Nur in Minischritten bewegen sich die Autobauer in Sachen Hardware-Nachrüstung. Das hat das Treffen mit dem Bundesverkehrsminister gestern einmal mehr gezeigt. Dafür sind mit Köln und Bonn jetzt zwei weitere Städte zu Fahrverboten verdonnert worden, weil sie seit Jahren die Grenzwerte reißen und zu viel schädliches Stickstoff-Dioxid in der Luft haben.
Die Deutsche Umwelthilfe feiert dieses Urteil als weiteren Sieg. Viele Dieselfahrer aber ärgern sich, die Städte auch, und die Frage bleibt, ob es für saubere Luft langfristig nicht eine handfeste Mobilitätswende braucht statt vieler Einzelbausteine. Darüber kann ich jetzt sprechen mit dem Verkehrsforscher Andreas Knie. Forscher ist er am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. Guten Morgen, Herr Knie!
Andreas Knie: Ja! – Guten Morgen!
"Wir optimieren das falsche"
Zerback: Soviel können wir vielleicht festhalten: Fahrverbote allein machen noch keine Verkehrswende. Geht die gerade unter in Dieselgate?
Knie: Ja, das kann man wohl sagen. Wir konzentrieren uns da auf Kleinigkeiten wie Software- oder Hardware-Nachrüstung, um einen Diesel, der auf jeden Fall schon mal dreckig ist und auch mit Hardware-Nachrüstung dreckig bleiben wird, den zu ersetzen mit Autos und in Autos, die viel zu viel an der Zahl sind. Das heißt, wir optimieren das Falsche. Wir müssen uns grundlegend darüber Gedanken machen, wie wir uns in der Zukunft in den Städten bewegen wollen, und das geht sicherlich nur mit weniger Verkehrsgerät, was dann viel besser und intelligenter genutzt werden kann. Das was wir jetzt tun, hilft weder der Umwelt, noch der Qualität der Städte wirklich.
Zerback: In dieser Zukunft, haben Autos da überhaupt noch einen Platz?
Knie: Sie haben einen Platz. Wir werden natürlich weiterhin mobil bleiben. Wir werden auch individuell mobil bleiben. Wir werden mit großen Gefährten, mit Bussen und Bahnen fahren, und wir werden auch mit Autos fahren. Aber die werden uns nicht mehr gehören. Es ist doch ein völliger Unsinn, wenn wir ein Gerät, was fast zwei Tonnen schwer ist, was noch den falschen Antrieb hat, zu 95 Prozent seiner Zeit einfach herumstehen haben, und wenn es fährt, dann hat es einen Besetzungsgrat von gerade mal einer Person. Das kann man schlauer machen. Das heißt Nutzen statt besitzen, eine alte Forderung, eine alte Logik, und das heißt nichts anderes, als die Verkehrsmittel untereinander vernetzen. Man ist noch mobiler, man ist viel schneller in der Stadt und man braucht dafür viel weniger Verkehrsgerät.
Zerback: Da gibt es ja bereits Ansätze der Bundesregierung, zum Beispiel das neue Carsharing-Gesetz, das seit einem Jahr gilt. Was halten Sie davon?
Knie: Ja, das ist nur ein erster Schritt. Das hat ja lange gebraucht, genau genommen 16 Jahre, bis das dann kam. Es gibt auch noch ein Elektromobilitätsgesetz, das gibt es auch schon, aber das tut die Dominanz des Autos nicht wirklich in Frage stellen. Denn wir haben 50, 60 Jahre in Deutschland, in Europa, in der Welt eine Politik gehabt, die gesagt hat, wir fahren bitte alle Autos, möglichst viele, möglichst lange, und das zu möglichst günstigen Preisen. Das hat auch wirklich lange Jahre gut gewirkt. Das haben wir auch alle getan. Jetzt haben wir nur den Salat: Jetzt haben wir von den Autos viel zu viele und wir müssen ans Straßenrecht, wir müssen an die Straßenverkehrszulassung und wir müssen vor allen Dingen an die zentrale Frage, wem gehört der öffentliche Raum, und das kann nicht mehr privaten Autos gehören, die dann einfach nur abgestellt werden.
"Car-Sharing wird bestraft, Eigentum belohnt"
Zerback: Lassen Sie uns da doch mal konkret werden. Wenn das eigene Auto bisher schlicht noch einfach zu attraktiv ist, welche Anreize müssten denn da folgen, damit mehr Menschen aufs Auto verzichten?
Knie: Wie gesagt, sie sollen auf das eigene Auto verzichten. Sie sollen ja fahren können. Und ich hatte schon erwähnt: Die zentrale Stellschraube dafür ist der öffentliche Raum und vor allen Dingen der Preis des öffentlichen Raums. Wir können ja im Moment das Auto praktisch umsonst abstellen, insbesondere wenn wir Anwohner sind. Dann kostet das beispielsweise in einer Hauptstadt Berlin 10,40 Euro im Jahr, im Jahr 10,40 Euro, damit ich mein Auto immer frei abstellen kann. Wenn der Carsharer, der seinen Dienst dort darstellen will, 85 Euro im Monat bezahlen muss, das ist eine völlige Ungerechtigkeit. Sharing wird bestraft und das Eigentum wird belohnt. Das müssen wir genau umgekehrt machen. Das heißt, das eigene Auto muss sehr viel kosten und das Sharing-Auto muss praktisch gar nichts kosten.
Zerback: Eine kilometerabhängige Maut, von der auch immer wieder mal die Rede ist?
Knie: Wäre auch eine Möglichkeit, denn das Straßenland ist ja auch nicht umsonst, und wer viel fährt soll bitte auch viel zahlen und wer wenig fährt soll weniger zahlen müssen. Das ist auch eine Überlegung, die jetzt immer mehr in Städten kommt, und wir sind ja in Deutschland ein Land, was überhaupt nicht darüber nachdenkt, während in Skandinavien und in England das natürlich schon ein mittlerweile probates Mittel ist.
"Nur in Deutschland hängen wir noch am Diesel"
Zerback: Es gehört einfach zur Wahrheit, soviel können wir wohl festhalten, dass die Verkehrswende nicht gelingen kann, ohne dem Autofahrer etwas weh zu tun. – Was wäre denn die Alternative das E-Auto? Soll da mehr reinfließen von Industrie und Bundesregierung?
Knie: Ja, das E-Auto ist natürlich dann auch im Stau stehend, auch wenn es dann weniger Lärm macht, auch sauber im jeweiligen lokalen Gebrauch ist und auch vor allen Dingen viel leiser ist. Das E-Auto ist sowieso Stand der Technik. Alle großen Städte der Welt, die Mehrheit der Industrieländer haben sich längst dazu verpflichtet, den Antrieb zu wechseln. Nur wir in Deutschland hängen immer noch am Diesel. Das ist der erste Schritt.
Der zweite Schritt heißt aber, dieses Auto intelligent nutzen, mit anderen Verkehrsmitteln wirklich digital zu vernetzen. Wir haben Smartphones, fast 50 Millionen, mit denen kann man viel, viel mehr machen. Und dann ist vor allen Dingen für den Autofahrenden und auch für alle anderen – wir haben ja nicht nur Autofahrer, sondern wir haben auch Fußgänger und Fahrradfahrer – viel mehr Platz da und wir haben alle was davon. Es muss gar nicht den Leuten wehtun; wir müssen nur im Kopf überlegen, was wollen wir wie fördern.
"Rechtsrahmen, der auch dem Fahrrad viel mehr Platz einräumt"
Zerback: Jetzt wäre ja Radfahren zum Beispiel sicher für noch viel mehr Menschen eine Alternative, wenn sie da nicht um ihr Leben fürchten müssen, weil zum Beispiel Radwege im Nichts enden, wenn es überhaupt welche gibt. Ist das denn so schwierig, tatsächlich den Straßenverkehr fahrradfreundlicher zu machen?
Knie: Genau. Die herrschende Rechtspraxis sieht das einfach nicht vor. Sie müssen sich mal überlegen, dass Sie heute eine normale Straße nur dann zu einer Fahrradstraße umwidmen können, wenn Sie nachweisen können, dass da jetzt schon mehr Fahrräder fahren. Das ist absurd, denn Sie wollen ja erst Fahrradfahren möglich machen. Das heißt, wir haben im Straßenrecht, im Straßenverkehrsrecht fast überhaupt keine Handhabe, weil wir immer dem Auto freie Fahrt gegeben haben. Das heißt, wir müssen auch an ein Verkehrswendegesetz herangehen und wir müssen uns den Rechtsrahmen bauen, dass wir auch für Fahrrad viel mehr Platz einräumen. Die Zahl der Fahrradfahrenden hat sich in den letzten zehn Jahren praktisch verdoppelt und die müssen dann alle auf so einen kleinen Fahrradstreifen an parkenden Autos vorbei. Das ist eine völlig absurde Situation.
"Unser Nahverkehrsangebot sieht noch so aus wie vor 40, 50 Jahren"
Zerback: Lassen Sie uns noch mal über den öffentlichen Nahverkehr sprechen. Das ist ja ein Baustein, den Sie beschreiben. Wie kann der denn so attraktiv werden, dass dafür mehr Menschen das Auto stehen lassen, oder mit dem Rad zur Bahn fahren und verschiedene Verkehrsmittel einfach kombinieren und das Auto zuhause lassen, oder sich gar nicht erst anschaffen?
Knie: Der muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, denn der Nahverkehr ist ja, sagen wir mal, in der Regulierung könnte man fast sagen, die hässliche Schwester des Autos gewesen. Der Nahverkehr wurde vom Staat finanziert, und zwar nur durch eine Bereitstellungslogik. Das heißt, es wurde den Betreibern gesagt, stellt bitte Busse oder Züge bereit, danach finanzieren wir euch. Ob da Menschen mitfahren, ob das attraktiv ist, ob wir Tarife haben, die jeder versteht, ob wir durchgängig von Norden nach Süden fahren, das war da nicht vorgesehen und das ist bis heute nicht so. Wir haben ein Nahverkehrsangebot, was sich zwar qualitativ oder quantitativ etwas verbessert hat, aber im Grunde immer noch so aussieht wie vor 40, 50 Jahren. Man versteht es nicht, man kann es nicht nutzen, weil man den Zugang nicht findet. Das heißt, da brauchen wir Anreize, dass die Verkehrsunternehmen auch danach bezahlt werden, wie viele Kunden sie tatsächlich transportieren.
Zerback: Dass sie zuverlässig sind und ganz eng getaktet auch fahren?
Knie: Das wäre es dann, wenn dann viele Menschen fahren, und da wo viele Menschen fahren, muss man dann eng takten und man muss vor allen Dingen mit anderen vernetzen. Es gilt nach wie vor, die im Grunde letzte und erste Meile zu organisieren. Ich muss ja immer erst zum Bus hin, zum Zug hin, und das muss ich natürlich organisieren, und das muss integriert laufen. Da muss ich nicht noch mal einen Wechsel der Logik haben. Das haben wir in Deutschland überhaupt noch nicht realisiert.
Zerback: Überregional, im Fernverkehr vor allem, da kommen Zugfahrten ins Spiel, anders als Busse im öffentlichen Nahverkehr. Ist die Deutsche Bahn da auf die Verkehrswende genügend vorbereitet?
Knie: Nein! Die Deutsche Bahn ist ja symptomatisch für diese ganze Pro-Auto-Fixierung, die wir hatten. Man muss sich immer gerne die Zahlen vor Augen halten, dass in der Schweiz – das ist ja das Musterland des Schienenverkehrs – etwa 350 Euro pro Nase, pro Bewohner und Jahr ausgegeben werden. Bei uns sind es mal gerade 35 Euro. Das heißt, wir haben viel zu wenig Geld für den Schienenverkehr. Wir haben ein Netz, was 33.000 Kilometer groß ist. Da muss man mit viel anderer Qualität heran, um mehr Menschen auf die Bahn zu kriegen. Und man muss natürlich auch die Bahn neu strukturieren. Wir brauchen natürlich eine Bahnreform 2.0, dass man weiß, wer bei der Bahn für was verantwortlich ist. Wir haben hier eine völlig geteilte Struktur: Der eine ist für den Fernverkehr, der andere ist wieder für den Regionalverkehr, der andere macht die Bahnhöfe und noch ein anderer macht das Schienennetz, und da weiß der Kunde natürlich nicht, an wen muss ich mich denn jetzt wenden, wenn ich hier nicht weiterkomme. Das müssen wir neu organisieren. Das heißt, der gesamte ÖPNV muss neu strukturiert werden, damit er tatsächlich das Rückgrat der Verkehrswende werden kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.