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Grünen-Abgeordneter Schick
Kampfansage an Großkonzerne

Zu mächtig, findet Gerhard Schick, Grünen-Abgeordneter und promovierter Volkswirt, große Unternehmen. Denn, so seine These, diese hätten nicht nur eine große Marktmacht, sondern wären auch politisch mächtig, mitunter übermächtig. Ein Ordoliberaler bei den Grünen? Sein Buch "Machtwirtschaft – nein Danke!" legt das nahe.

Von Caspar Dohmen | 17.02.2014
    "Viele Menschen sind überrascht, wenn sie bei den Grünen einen Ordoliberalen wie mich entdecken. Aber für mich hat das immer schon ganz gut zusammengepasst."
    Auf die ökonomische Schule des Ordoliberalismus berufen sich gerne liberale und konservative Politiker. Schick hat sich bereits als Wirtschaftsstudent intensiv mit diesem Bereich beschäftigt. In seinem Buch greift er ein ganz zentrales Anliegen von Ordoliberalen wie Walter Eucken oder Franz Böhm auf, die maßgeblich die soziale Marktwirtschaft Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusst haben.
    "Ich nehme von Walter Eucken mit, die Analyse, dass zu starke wirtschaftliche Macht gefährlich ist, weil sie dann eben auch zu politischer Macht wird."
    Ganz in der ordoliberalen Tradition fordert der Autor beispielsweise die Einrichtung eines unabhängigen europäischen Kartellamts, damit die Staatengemeinschaft heutigen Großkonzernen Paroli bieten könne:
    "Nehmen wir einmal Google. Die Europäische Kommission hat einen ziemlich weichen Vergleich mit Google jetzt geschlossen, obwohl Google mit einem Marktanteil von 90 Prozent ja einen unwahrscheinlichen Einfluss hat und je nachdem wie die ihre Suchmaschinen einstellen, haben andere Unternehmen Chancen, ihre Kunden im Markt zu finden oder nicht, das heißt, sie haben eine unwahrscheinliche Macht im unternehmerischen Raum und können Unternehmen, die mit ihnen verbunden sind, gezielt fördern, und dann haben wir eine neue Konzentrationstendenz, also richtig gefährliche Entwicklung."
    Schick beschäftigt sich intensiv mit dem immensen Einfluss großer Konzerne auf das politische Geschehen. Mit seiner Diagnose befindet er sich in guter Gesellschaft. So hat der britische Soziologe Colin Crouch in "Postdemokratie" eindrucksvoll beschrieben, wie sehr Konzerne das Geschehen bestimmen und welche Folgen dies für den politischen Prozess hat. Nach Ansicht von Schick leben wir teilweise nicht mehr in einer Marktwirtschaft, sondern einer Machtwirtschaft.
    "Na ja manchmal, wenn für die Bundesrepublik Deutschland Menschen verhandeln auf internationaler Ebene, dann wundert man sich, welche Interessen die vertreten, wenn man sich das mal genau anschaut, dann ist da manchmal eher das Interesse von Daimler oder der Deutschen Bank als das Interesse, was man meint, dass die meisten Menschen haben. Und dann stellt man sich die Frage, warum ist das eigentlich so, und da kann man dann eben nachvollziehen, dass manche Interessengruppen, manche Unternehmen es schaffen, den Staat für ihre Dienste einzuspannen. Und an der Stelle regen sich die Menschen zu Recht auf, dass der Staat auf der Seite der Anderen steht."
    Der Leser profitiert von der ehrlichen Analyse des Politikbetriebes des Grünen und vor allem von dessen Neugier. Schick lässt den Leser an seinen eigenen Bemühungen teilhaben, das Geschehen zu begreifen. Er schildert beispielsweise, wie er ein Jahr nach seinem Einzug in den Bundestag 2006, also ein Jahr vor Ausbruch der Finanzkrise, die Bundesanstalt für Finanzaufsicht besuchte. Er wollte unter anderem erfahren, wie die Behörde eigentlich neue Risiken auf den Finanzmärkten aufspürt. Schick schildert die Begegnung mit den Experten:
    "Eine meiner Fragen verhallte dann im Leeren. 'Wo ist eigentlich Ihre Forschungsabteilung?', erkundigte ich mich, 'wie versuchen Sie, sich über neue Entwicklungen an den Märkten zu informieren und sie zu analysieren?' Es stellte sich heraus, dass es dafür keinen systematischen Ansatz gab, sondern sich die einzelnen Fachkräfte vor allem über die Zeitungen und über Veröffentlichungen informierten. Ich fuhr von diesem Besuch verstört nach Hause. So hatte ich mir eine knackige Finanzaufsicht nicht vorgestellt."
    Skepsis gegenüber dem Politikgeschehen, aber keine Verdrossenheit
    Schick schiebt den Schwarzen Peter aber keinesfalls einseitig einem Akteur zu, "der" Aufsicht, "den" Banken, "dem" Markt oder "der" Politik. Er schildert das Fehlverhalten diverser Akteure. Besonders problematisch ist für ihn jedoch die Symbiose, zu der es bisweilen zwischen Politik und Wirtschaft kommt, wenn beispielsweise Lobbyverbände Gesetze entwerfen. Schick lenkt damit viel Wasser auf die Mühlen derjenigen Bürger, die skeptisch sind gegenüber dem heutigen Politikgeschehen. Hier läuft der Politiker Gefahr, ein Eigentor zu schießen, hält er es doch für unabdingbar, dass die Bürger sich viel stärker in das politische Geschehen einmischen.
    "In einer Demokratie ist es doch so, dass Parteien aus Bürgerinnen und Bürgern bestehen und die gestalten unser Land. Und, wenn wir so eine Kaste von Berufspolitikern haben und alle anderen Leute sich nur noch empört und entsetzt am Fernsehbildschirm aufregen oder am Radio, darüber, was diese Leute tun, dann kann das nicht gut funktionieren. Meine Vorstellung ist schon, dass Bürgerinnen und Bürger sich einmischen, Bescheid wissen, auch ihre Abgeordneten kontrollieren und gucken, was die machen, sonst wird das nix."
    Der Politiker setzt auf einen Pakt zwischen progressiven Politikern und progressiver Zivilgesellschaft. Hier steht er ganz in der grünen Tradition, die ihre Wurzeln in der außerparlamentarischen Opposition hat, dem Widerstand von Bürgern beispielsweise gegen Atomkraft. Schick erachtet eine progressive zivilgesellschaftliche Bürgerbewegung in der gesamten EU für notwendig. Um die Menschen hier und heute zu ermutigen, greift Schick eine Bewegung auf, die vor gut 100 Jahren die Verhältnisse in den USA gravierend durcheinander wirbelte. Die wirtschaftliche Macht lag auch damals in den Händen einiger Magnaten. Schick schreibt:
    "Was gut für die Rockefellers und Morgans war, bedeutete zunehmende Verelendung und Ausbeutung für die Mehrheit. Der Traum vom wirtschaftlichen Aufschwung war für viele ein Albtraum. In dieser Lage wurde das progressive movement geboren, eine "fortschrittliche Bewegung", in der sich aus im Einzelnen durchaus unterschiedlichen Beweggründen Sozialreformer sammelten. Gemeinsames Anliegen war ihnen nichts Geringeres als die Demokratie und die Marktwirtschaft zu retten – für eine moderne Zeit, in der alle am technischen Fortschritt teilhaben können."
    Die Bewegung fand großen Zulauf, vor allem im Mittelstand. Sie erreichte eine Direktwahl der Senatoren, die schrittweise Einführung des Frauenwahlrechts und vor allem die Schaffung diverser staatlicher Institutionen und Regeln. Auch die mächtigen Trusts wurden gebändigt, mittels eines neuen Antikartellgesetzes. Um eine progressive Bewegung in Europa voranzubringen, fordert Schick die Bürger nochmals auf, mit ihren Abgeordneten in Kontakt zu treten. Er schildert, wie wichtig für ihn die Expertise einzelner Bürger war, um im politischen Prozess etwas zu bewirken. Insofern setzt der Grünen-Politiker mit seinem Buch auch - und das überzeugend - ein wichtiges Zeichen gegen das Bild des unnahbaren Politikers und die Politikverdrossenheit.
    Gerhard Schick: "Machtwirtschaft – nein Danke! Für eine Wirtschaft, die uns allen dient
    Campus Verlag, 288 Seiten, 19,90 Euro.