Archiv


Grünen-Politiker: Zivilgesellschaft in Sachsen stärken

Der sächsische Grünen-Politiker Karl-Heinz Gerstenberg beklagt angesichts des Hetzjagd auf Inder in Mügeln fehlende Zivilcourage von Zeugen der Gewalttat. "Wir müssen diesem Problem in die Augen schauen und die notwendigen Mittel wirklich einsetzen, um die Zivilgesellschaft zu stärken", verlangte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Landtagsfraktion. Rechtsextremismus sei in Sachsen zu lange bagatellisiert worden.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Nach der Hetzjagd auf acht Inder bei einem Stadtfest im sächsischen Mügeln ist in dem Ort die Polizeipräsenz verstärkt worden. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Weitere Zeugen sind vernommen worden, so heißt es. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ist eingeschaltet. Etwa 50 zumeist junge Deutsche hatten am Wochenende nach einer Rangelei die Inder verfolgt. 14 Menschen wurden verletzt, unter ihnen alle 8 Inder. ( MP3-Audio , Bericht von Alexandra Gerlach)

    Am Telefon ist jetzt Karl-Heinz Gerstenberg. Er ist der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag. Guten Tag!

    Karl-Heinz Gerstenberg: Guten Tag!

    Kaess: Herr Gerstenberg, war der Angriff in Mügeln Ihrer Meinung nach rassistisch motiviert?

    Gerstenberg: Er war es mit Sicherheit, denn wenn eine Gruppe von 50 Deutschen 8 Inder durch eine Stadt hetzt und sie zwingt, sich zu verbarrikadieren, dann ist das mit Sicherheit ein Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit. Wir haben ja die Situation, dass, was rechtsextremistische Einstellungspotenziale betrifft, die Fremdenfeindlichkeit im Osten seit 1990 deutlich stärker ausgeprägt war. Es gibt Annäherungen, aber dieser Hintergrund ist ganz offensichtlich. Ob Rechtsextremismus dort direkt im Spiel war, das wäre sicher noch zu klären, aber ein Ausdruck von Ausländerfeindlichkeit war das auf jeden Fall.

    Kaess: Noch laufen ja die Ermittlungen. Muss man sich nicht vor voreiligen Schlüssen hüten?

    !Gerstenberg: Das ist ganz wichtig. Ich bin sehr froh über zwei Dinge: zum einen, dass sofort eine Sonderkommission eingesetzt wurde, um diesen Vorfall, dass dort Menschen durch einen Ort gehetzt werden, schnellstens aufzuklären. Ein solcher Ausbruch von Gewalttätigkeit erregt ja mit Recht deutschlandweites Aufsehen und Widerstand dagegen. Und ich bin auch froh, dass Ministerpräsident Milbradt nicht die Vertuschungsstrategie der sächsischen CDU früherer Jahre fortführt, sondern dass er sich sofort vor Ort begeben hat und damit auch sein Augenmerk zu diesem Fall deutlich gemacht hat.

    Kaess: Der Bürgermeister von Mügeln, Gotthard Deuse, sagt auf der anderen Seite, in Mügeln gebe es keinen Rechtsextremismus. Wie bewerten Sie diese Aussage?

    Gerstenberg: Was Herr Deuse da sagt, ist ein Teil des Problems. Wir haben in Ostdeutschland allgemein, natürlich auch in Sachsen, die Situation, dass Gewalttaten in großer Zahl vorkommen. Sachsen hat nach Mecklenburg-Vorpommern nach den Statistiken der Opferberatungsstellen den zweithöchsten Anstieg im Jahre 2006 gehabt, 208 Gewalttaten. Es gibt die Aufgabe, dort Prävention zu leisten, den Opfern Unterstützung zu leisten. Es gibt auch mittlerweile in Sachsen ein gutes Programm mit zwei Millionen Euro ausgestattet für ein "Weltoffenes Sachsen".

    Das Problem ist nur, dass die Netzwerke, die dort unterstützt werden müssten, die Opferberatungsstellen, also sozusagen die zivile Prävention, nicht von sich aus die Mittel beantragen können, so dass die Kommunen aktiv werden müssen.

    Kaess: Aber Herr Gerstenberg, auch das Landeskriminalamt hat keine Erkenntnisse über Jugendliche, die das organisiert verfolgen würden.

    Gerstenberg: Ich kann dazu nur sagen, dass Mügeln natürlich von der Statistik her im sächsischen Schnitt liegt. Mit einem NPD-Wahlergebnis von 9,7 Prozent, was erschreckend hoch ist, ist das genau sächsischer Durchschnitt. Das Umland ist aber durchaus noch um einiges stärker gewesen, was die NPD-Wahlergebnisse betraf. Und es gibt rund um Mügeln natürlich eine Reihe von Orten, wo Kameradschaften ansässig sind. Ob das nun Mügelner direkt sind oder andere Orte, ist die andere Frage. Aber ich glaube, das Wichtige ist, dass die Kommunen von diesen Sätzen wegkommen müssen, sie kommen nicht aus unserer Stadt, so etwas gibt es bei uns nicht, sondern auch den Einstellungspotenzialen, die dem organisierten Rechtsextremismus ja zu Grunde liegen, entgegenwirken müssen. Dazu genau sind diese zivilgesellschaftlichen Strukturen wichtig, und das müssen die Bürgermeister beantragen. Bürgermeister Deuse muss dort aktiv werden.

    Kaess: Muss man denn unterscheiden zwischen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit, oder spielt das in diesem Fall keine Rolle?

    Gerstenberg: Dieser rassistische Ausbruch, den wir in Mügeln erlebt haben, ist natürlich dann sehr, sehr ernst zu nehmen, wenn dort nach Zeugenaussagen Rufe wie "Ausländer raus!" und "Hier regiert der nationale Widerstand" erklungen sind. Diese Aussagen gibt es ja. Das heißt, es ist also auf jeden Fall dort eine Vermischung da gewesen. Bekannte Neonazis waren vor Ort und haben sicher auch ihre Rolle gespielt.

    Kaess: Mittlerweile wird über eine demokratische Kultur in Ostdeutschland diskutiert. Wir hören mal rein, was Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, heute Morgen bei uns im Programm gesagt hat:

    "Es wird noch sehr lange dauern, bis sich in Ostdeutschland die repräsentative Demokratie oder die Demokratie als Alltagskultur in den Köpfen festgesetzt hat. Die Leute sind anders aufgewachsen und wachsen heute noch anders auf. Die haben ganz andere Wertvorstellungen, lehnen die Demokratie ab. Es gab sozusagen keine innere Auseinandersetzung mit Vielfalt, mit Demokratie, mit Konflikten und all diesen Dingen." (Text / MP3-Audio )

    Anetta Kahane heute Morgen im Deutschlandfunk. Können Sie das nachvollziehen, Herr Gerstenberg?

    Gerstenberg: Ja, und ich würde mir vor allem wünschen, dass Zivilcourage eine stärkere Rolle spielt. Wenn der Mob dort acht Inder angreift, wenn Pflastersteine ausgegraben werden, wenn Steine geworfen werden, und dann steht eine große Menge rund herum, die applaudiert vielleicht, skandiert sogar noch anfordernde Zurufe, und offensichtlich macht niemand auch nur den Versuch, da mal Gegenwehr zu organisieren, den Leuten in den Arm zu fallen, dann ist das für mich wirklich ein bedenkliches Zeichen von fehlender Zivilcourage. Und das ist das, wo der stärkste Nachholbedarf da ist.

    Kaess: So, wie Sie das jetzt gerade geschildert haben, kann man von einem ausländerfeindlichen Klima in Sachsen sprechen?

    Gerstenberg: Ich würde nicht ganz allgemein von einem ausländerfeindlichen Klima in Sachsen sprechen, und ich würde es vor allem nicht auf Mügeln begrenzen. Wir haben wie gesagt einen Ausbruch von Gewalttätigkeiten, die nicht nur in Mügeln stattfinden. Wir hatten in Dresden im Juli erst einen Überfall auf einen Inder in der Straßenbahn. Wir haben auch in der anderen großen Metropole in Leipzig diverse Überfälle gehabt. Wir haben aber damit natürlich eine Situation, dass im Freistaat Sachsen die Leute, die wir eigentlich brauchen, nämlich Ausländer, die hier herziehen müssten, die wir auch für unsere Hochschulen brauchen, sowohl als Studierende als auch als Lehrende, dass die abgeschreckt werden. Das ist die große Gefahr, die in solchen Vorfällen liegt.

    Kaess: Was waren denn bei diesen Problemen eventuell in den letzten Jahren auch Versäumnisse von Seiten der Politik?

    Gerstenberg: In Sachsen ist das Problem des Rechtsextremismus viel zu lange bagatellisiert worden. Der Wahlerfolg der NPD im Jahre 2004 ist ja nicht sozusagen aus heiterem Himmel gekommen, sondern die NPD hat dieses Land hier zielgerichtet zu ihrem Mustergebiet aufgebaut, hat Strukturen geschaffen und starke Verwurzelungen. Der Sächsische-Schweiz-Kreis ist ja dafür bekannt. Das ist, solange die CDU alleine regierte, bagatellisiert worden, schön geredet worden, und es ist viel zu wenig dagegen getan worden. Das hat sich deutlich geändert. Die Prävention spielt jetzt eine große Rolle. Es gibt das Landesprogramm und wie gesagt, das muss aber jetzt durch engagierte Bürgermeister vor Ort umgesetzt werden. Die müssen dort einsteigen, und da tut Grimma einiges. Da tut Pirna in der Nähe von Dresden hier einiges. Das sind durchaus auch Städte, wo Problemfälle sind. Aber andere ziehen es halt vor, noch schön zu reden. Wichtig ist: Wir müssen diesem Problem in die Augen schauen und die notwendigen Mittel wirklich einsetzen, um die Zivilgesellschaft zu stärken.

    Kaess: Karl-Heinz Gerstenberg war das. Er ist der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag. Vielen Dank für das Gespräch.

    Gerstenberg: Sehr gerne.