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Grundschrift statt Schreibschrift

Das Schreiben lernten die Schüler bisher immer mit der eigens entwickelten Schreibschrift. Doch inzwischen können interessierte Schulen auf die Grundschrift umstellen. Das geschieht gerade im Stadt-Staat Hamburg, in dem sich Lehrkräfte mit der neuen Schrift vertraut machen müssen.

Von Verena Herb | 11.08.2011
    "Das Wort "Kinder" würde in der Grundschrift jetzt so aussehen...".

    Horst Bartnitzky schreibt mit einem Filzstift schwarze Buchstaben auf das Clip-Board:

    "Das sind die Druckbuchstaben. Und bei denen, bei denen der Abstrich ist am Ende, der kleine Wendebogen...wobei das nur die erste Phase der Grundschrift ist. Denn in der zweiten Phase probieren die Kinder auch Verbindungen aus."

    Der Grundschulpädagoge hat - gemeinsam mit dem deutschen Grundschulverband die sogenannte Grundschrift entwickelt. Die seiner Meinung eigentlich ganz einfach ist, und nur eine Besonderheit hat.

    "Kleinbuchstaben, die mit einem Abstrich enden - Sie kennen das beim kleinen "a", - da kommt erst der Bauch, und dann macht man den Abstrich - die unten auf der Linie enden, denen geben wir einen kleinen Wendebogen, sagen wir dazu. Also einen kleinen Bogen wieder nach oben."

    Schreibschrift a und Druckschrift a - jeweils Groß und Klein - das macht vier unterschiedliche Zeichen, zumindest dann, wenn man noch nicht lesen kann. So haben wohl die meisten in Deutschland schreiben gelernt. Erst mit dem Lesen lernen erkennt man die Zeichen als einen Buchstaben. Mit der Grundschrift soll dieser Buchstabensalat nun ein Ende haben, meint Horst Bartnitzky. Es stelle sich die Frage: Braucht man eigentlich noch eine zweite Schrift?

    "Die Erfahrungen sind eigentlich, dass es hinderlich ist. Dass es Zeit kostet, diese zweite Schrift einzuführen. Dass die Kinder, die vorher schon ganze Texte geschrieben haben mit den Druckbuchstaben, dass die jetzt bei null wieder anfangen neu zu schreiben."

    Ab diesem Schuljahr nun soll in Hamburg die Grundschrift eingeführt werden. So steht im Bildungsplan unter dem Stichwort "Schriften": Den Hamburger Schulen ist es künftig freigestellt, ob die ABC-Schützen künftig weiterhin lernen müssen, in Schreibschrift zu schreiben oder ob allein die Grundschrift unterrichtet wird.

    Anlässlich der Schulanfangstagung kamen gestern zahlreiche Hamburger Lehrer in das Landesinstitut für Lehrerbildung, um sich über die Grundschrift zu informieren. Die Meinungen sind geteilt - doch auf den ersten Blick eher ablehnend:

    "Es ist nicht ausgereift, das Konzept. Es heißt immer, es ist in Schwung, aber die Kinder werden ständig ausgebremst. Zum Beispiel können die Kinder nicht unter Wortgrenzen und Silbengrenzen unterscheiden. Es ist zum Beispiel auch sehr, sehr schwer für Kinder mit Migrationshintergrund, die wir nun hier in Hamburg zu 80 Prozent haben, sodass es den Kindern wesentlich erschwert wird, das was in Schwung und flüssig ist, wird ständig ausgebremst. Die Kinder kommen wesentlich mehr in Stress. Es sind wesentlich mehr Hemmnisse eingebaut als beim bisherigen Konzept, wo die Kinder mit einer vernünftigen Schreibschrift lernen können."

    Andere Lehrer halten die Grundschrift indes für sinnvoll. In der Praxis würden zum Beispiel fast alle Erwachsenen einen Mix aus Druck und Schreibschrift schreiben. Nur, weil man mal eine spezielle Schreibschrift gelernt habe - die im Übrigen speziell für die Schule entwickelt wurde - könne man nicht behaupten, dass die Kinder von damals alle eine gut lesbare Schrift entwickelt hätten. Denn ein Argument von Kritikern ist unter anderem: Die Kinder könnten durch die Grundschrift keine eigene Handschrift entwickeln. Horst Bartnitzky hält das für Unfug. Ebenso die Behauptung, die Abschaffung der drei gängigen Ausgangsschriften an den Grundschulen bedeute eine Abschaffung gemeinsamen Kulturguts.

    "Dem muss man immer entgegen halten, das Kulturgut sind nicht diese drei Schriften, die mal für die Schule ausgedacht wurden, und die nur Ausgangsschriften sind. Aber kein Erwachsener schreibt mehr so. Sondern das Kulturgut sind die lateinischen Buchstaben."

    In Hamburg hat die Freigabe zur Grundschrift für einiges Aufsehen bei Politikern geführt. So polterte der parteilose Schulexperte Walter Scheuerl beispielsweise, die Abschaffung der Schreibschrift führe "zu einer modernen Form des Analphabetismus". Der amtierende SPD-Schulsenator Ties Rabe sieht die Auseinandersetzung gelassen.

    "Na ja, das war Sommerpause und das war ein großer Medien-Hype. Ich glaube, wenn man sich anschaut, wie viele Schülerinnen und Schüler davon betroffen sind, dann ist das ein Sturm im Wasserglas gewesen."

    Heute beginnt in Hamburg das neue Schuljahr. Wie viele Grundschulen die Grundschrift einführen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.