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Hamburg vor der Wahl
Rot-Grün oder Grün-Rot?

In Hamburg steht die bundesweit schwächelnde SPD sehr gut da. Auch ihr Koalitionspartner, die Grünen, legen Umfragen zufolge kräftig zu. Handfeste Differenzen gibt es nicht - die Politik in der Hansestadt steuert in ruhiges Fahrwasser.

Von Axel Schröder |
Wahlwerbung von Katharina Fegebank ( GRÜNE ) und Bürgermeister Peter Tschentscher ( SPD ) für die Bürgerschaftswahl 2020 am Sonntag, 02. Februar 2020 in der Innenstadt von Hamburg. | Verwendung weltweit
Katharina Fegebank (Grüne) und und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gelten als Favoriten bei der Hamburger Bürgerschaftswahl - und haben kaum inhaltliche Differenzen (Patrick Franck)
Es ist Ende Januar. Das Auditorium der Bucerius-Law-School am Hamburger Dammtor-Bahnhof ist brechend voll. Das Publikum neugierig, gespannt auf das erste Rededuell zwischen Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher von der SPD und seiner grünen Herausforderin, der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank.
"Auch von uns nochmal ein herzliches Willkommen! Es ist fantastisch, dass sie so zahlreich an diesem sonnigen Sonntag den Weg hierher gefunden haben!"
Charlotte Parnack und Marc Widmann von der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" moderieren das erste Zusammentreffen. In den Umfragen liegen Grüne und SPD fast gleichauf. Gleich zu Beginn ein Warm-up.
Die Kandidaten müssen Sätze vervollständigen: "Und gleich an Sie, Frau Fegebank, der nächste Satz: Ich bin mutiger als Peter Tschentscher, weil…" - "Weil ich mit einem kooperativen Führungsstil durchaus auch Scheitern möglich mache. Scheitern ausdrücklich erlaubt! Ich finde, wir brauchen eine Haltung, die vorangeht, Dinge einfach mal ausprobiert, auch wenn sie nicht bis ins allerletzte durchgeplant sind, weil wir nur so vorankommen und nur so die großen Veränderungen, vor denen wir stehen, auch tatsächlich bewältigen können."
Katharina Fegebank (L) und Peter Tschentscher (r) während einer Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am 11.04.2018
Katharina Fegebank und Peter Tschentscher während einer Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft (dpa/Axel Heimken)
Der Seitenhieb auf ihren Herausforderer, den einstigen Finanzsenator und akribischen Mann der Zahlen, Peter Tschentscher, gelingt nicht wirklich. Tschentscher gibt den soliden Staatsmann, der so gar nichts hält vom Scheitern, vom Ausprobieren, von nicht zuende gedachten Lösungen.
So wie die Idee der Grünen, Autos aus der Innenstadt zu verbannen, kontert Tschentscher: "Wie habe ich das gerade gehört? Mutig auch mal ein paar Pläne, die noch nicht ganz fertig sind, umsetzen? Das haben wir bei der Elbphilharmonie erlebt. Es kann aus großartigen Ideen kann es große Pleiten geben. Und deswegen würde ich bei der Innenstadt, die ein hohes Gut ist, die Visitenkarte Hamburgs, dort würde ich mich gemeinsam mit den Einzelhandelsvertretern und den anderen Akteuren rantasten."
Kaum inhaltliche Differenzen zwischen SPD und Grünen
Der erste Aufschlag des Wahlkampfs macht aber auch klar: So weit liegen Grüne und SPD gar nicht auseinander. Handfeste inhaltliche Differenzen bei den zentralen Wahlkampfthemen – beim Klimaschutz, dem Wohnen und Verkehr - sind Mangelware. Und die Verwicklung der SPD in die umstrittenen Finanzgeschäfte der Hamburger Warburg-Bank ist Anfang des Jahres auch noch kein Thema.
Eine Überraschung ist der zaghafte Wahlkampfstart von SPD und Grünen nicht. Fünf Jahre lang haben die beiden Parteien fast geräuschlos zusammengearbeitet und eine ganze Reihe kleiner und großer Projekte erfolgreich umgesetzt. Dazu gehören der Rückkauf der Energienetze oder die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Und nach der Wahl soll es, wenn es nach Peter Tschentscher geht, mit Rot-Grün auch weitergehen. Katharina Fegebank wünscht sich dagegen eine Grün-Rote-Koalition. Die Chancen für die Grünen, das Bürgermeisteramt zu übernehmen, stehen Ende Januar noch gut. Eine echte Trennschärfe zwischen den Ideen der beiden gebe es nicht, sagt der Hamburger Politik-Professor Kai Uwe Schnapp.
12.02.2020, Hamburg: Bunte Mützen liegen auf den Tischen im Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft im Rathaus vor der letzten Bürgerschaftssitzung vor der Wahl  am 23. Februar 2020 
Bürgerschaftswahl in Hamburg: Kandidaten und Themen
Am 23. Februar wählt Hamburg seine Bürgerschaft neu. Lange lagen Rot und Grün gleichauf. Auch bei den wichtigsten Wahlkampfthemen haben sich die Positionen beider Parteien angenähert. Doch laut neueren Umfragen scheint die SPD ihre Hochburg halten zu können. Für die FDP könnte es knapp werden.
"Die Art und Weise, wie es thematisiert wird, ist dann ein bisschen unterschiedlich. Die SPD setzt auf Technologie und sagt, wir können alles so lassen wie es ist, wir müssen nur schlauere Technologien einsetzen. Die Grünen gehen da schon weiter und sagen, an bestimmten Stellen brauchen wir auch einen Einstellungs- und einen Handlungswandel."
Den Hintergrundsound zur Wahl liefern schon Ende September rund 100.000 Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern und Großeltern, die vielen umweltbewegten Hamburger. Einer der größten Demonstrationszüge, die die Stadt je gesehen hat, zieht durch die Straßen.
Klimaschutz ist zentrales Thema des Wahlkampfs
Der Klimaschutz gehört zu den zentralen Themen des Wahlkampfs. Und alle Parteien, sogar die AfD, fordern hier mehr Anstrengungen. Alle unterstützen den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, den Bau neuer Radwege. CDU, FDP und Linke unterstützen die rot-grüne Senatslinie, mehr für den Klimaschutz zu tun.
Wie Bürgermeister Peter Tschentscher diesen Klimaschutz umsetzen will, erklärt er geradezu enthusiastisch im Thalia-Theater. Auf der großen Bühne, vor ausverkauftem Haus, diskutiert Tschentscher mit Karla Reemtsma von Fridays for Future:
"Ich bin ein Optimist, was Technologieentwicklung angeht und glaube, dass, wenn wir beginnen, wenn wir das ernst nehmen, dass wir sehr, sehr schnell vorankommen und dann wird man im Nachgang sagen: Ja, damals waren die alle so, dass das nicht funktioniert! Und hinterher ist es sehr gut gelaufen."
Tschentscher schwärmt von den Hamburger Plänen, eine grüne Wasserstoffindustrie im Hafen zu entwickeln. Dort könne dann grüner Sprit entwickelt und im großen Stil produziert werden. Die junge Klimaschützerin Karla Reemtsma ist skeptisch. Genau wie die Grünen. Auch sie setzen auf den technischen Fortschritt. Daneben müsste aber auch jeder und jede Einzelne den eigenen Lebensstil, die eigenen Gewohnheiten überdenken, so Katharina Fegebank.
"Wir haben in jedem Bereich Spielregeln. Und die brauchen wir auch beim Umwelt- und beim Klimaschutz. Wir erreichen sonst nicht unsere Klimaziele. Und ich habe den Eindruck, dass die Menschen schon sehr viel weiter sind. Sich selbst Gedanken darüber machen, was sie tun können und tun müssen, um unser Klima zu retten. Und ja, das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, es ist auch zuvörderst eine Aufgabe, wo die Politik vorangehen muss und dann durch bestimmte Vorschläge oder aber auch Gesetzgebung und Maßnahmen auch Regeln zu ergreifen, die wir dann alle einhalten müssen."
Dazu gehöre auch, nach und nach die Zahl der Parkplätze zu verringern und mehr Tempo-30-Zonen auszuweisen. Denn bislang wächst nicht nur die Einwohnerzahl Hamburgs, sondern auch die der zugelassenen Autos. Zu den über 800.000 PKW kommen jedes Jahr 10.000 neue hinzu. Dieser Trend müsse sich umkehren, fordern Grüne und Linke in der Bürgerschaft. Alle anderen Parteien wünschen sich zwar auch eine Reduzierung des Autoverkehrs. Die könne aber nur über bessere Angebote gelingen und nicht über neue Regeln, sagt die Spitzenkandidatin der FDP, Anna von Treuenfels-Frowein, und liegt damit ganz auf SPD-Linie.
"Wenn man möchte, dass die Autofahrer freiwillig umsteigen, dann muss man ihnen erstmal eine Alternative bieten. Und solange es diese Alternative nicht gibt, muss man sich nicht wundern, dass natürlich gerade die, die aus den Außenbezirken in die Innenstadt fahren, dass die mit dem Auto fahren."
Deshalb sollten zum Beispiel Park&Ride-Stellplätze kostenlos werden, fordert von Treuenfels-Frowein. Das Credo der CDU formuliert deren Spitzenkandidat Marcus Weinberg in knappen Worten.
"Es ist wichtig, dass wir grüner leben, gesünder leben, dass wir auf unsere Umwelt achten, Tierschutz als Thema mit aufnehmen, Klimawandel eh. Also, das muss zusammengebracht werden."
Schon viele realisierte Projekte zum Klimaschutz
Bei den Themen Klimaschutz und Verkehrswende herrscht in Hamburg eine für Wahlkampfzeiten erstaunliche Einigkeit. Tatsächlich hat der Senat schon eine ganze Reihe von Projekten in diesem Bereich auf den Weg gebracht: Bis 2030 soll ein so genannter Hamburg-Takt dafür sorgen, dass alle fünf Minuten Busse und Bahnen die Menschen an ihr Ziel bringen. Neue S- und U-Bahnen sind in Planung oder schon im Bau. Die Anzahl der Haltestellen wird erhöht, die Busflotte soll wachsen und bis 2030 komplett CO2-frei durch Hamburgs Straßen rollen.
Mit über 1.000 Ladesäulen für Elektroautos ist Hamburg deutscher Spitzenreiter. Es gibt zumindest im Stadtgebiet gleich mehrere Car- und Ride-Sharing-Angebote, dazu eine stetig wachsende Zahl von Leihrädern. Und nach dem Rückkauf der Energienetze arbeitet die vom Grünen Jens Kerstan geführte Umweltbehörde daran, in den nächsten zehn Jahren 500.000 Haushalte mit fast CO2-freier Fernwärme zu versorgen. Auch Manfred Braasch, der Landeschef des Hamburger BUND, lobt die Fortschritte beim ökologischen Umbau der Stadt. Seine Bilanz der rotgrünen Senatspolitik fällt trotzdem durchwachsen aus:
"Hier muss man feststellen, dass die Luftschadstoffbelastung weiterhin zu hoch ist. Hamburg wurde sogar vor Kurzem aufgrund einer Klage des BUND nochmal verurteilt, da besser zu werden. Und dann natürlich eine große Lücke weiterhin im Klimaschutz. Hier wollte man runter mit dem CO2. Und das hat man schlicht und ergreifend nicht geschafft."
Das Sturmtief "Sabine" zieht über ein Windrad mit bunt leuchtenden Punkten in der Region Hannover hinweg.
Industrie und Klimaschutz: Noch viele Barrieren bei der Energiewende
Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird an vielen Stellen gebremst: beschränkte Leitungsnetze, der stockende Ausbau der Windkraft und vor allem gesetzliche Hürden. Auf die Industrie, die viel bezahlbaren Strom braucht, kommt ein massiver Umbau zu – erste Modelle dafür gibt es in Norddeutschland.
Den gleichen grundsätzlichen Konsens wie beim Klimaschutz gibt es beim Thema Wohnungsbau. Schon 2012, damals noch unter einem Bürgermeister Olaf Scholz, wurde das so genannte Bündnis für das Wohnen vereinbart. Das Ziel, jedes Jahr 6.000 neue Wohnungen zu bauen, wurde auf heute 10.000 Einheiten erhöht. Und nach Städten wie Frankfurt oder Berlin geht mittlerweile auch Hamburg gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum durch Anbieter wie AirBnB vor, erklärt Bürgermeister Peter Tschentscher.
Trotz des Baubooms und trotz der vom Senat eingeführten mietpreisdämpfenden Regularien gibt es aber auch Kritik an der Hamburger Wohnungsbaupolitik. Sie richtet sich gegen den so genannten Drittelmix: Ein Drittel der neu gebauten Wohnungen sind frei finanzierte Mietwohnungen, ein Drittel Eigentumswohnungen, das letzte Drittel sind Sozialwohnungen. Der Bedarf an gefördertem Wohnraum sei aber viel größer, kritisiert nicht nur die Linke, sondern auch Dirk Ahrens, der Leiter des Diakonischen Werks der Hansestadt:
"Wenn wir doch wissen, dass in dieser Stadt knapp über 50 Prozent aller Bewohnerinnen und Bewohner ein Anrecht hätten auf sozial geförderten Wohnraum, dann können wir gleichzeitig wissen, dass dann ein Drittel zu bauen, zu wenig ist. Also das ist nun wirklich eine sehr einfache Rechnung. Da gibt es wenig dran rumzudeuteln. Und wir verschieben damit Probleme in die Zukunft, von denen wir nicht wissen, ob wir dann noch fähig sind, sie aufzufangen."
Wohnungsmangel bleibt ein Problem
Dirk Ahrens verweist auf die über 10.000 Menschen mit einem so genannten Dringlichkeitsschein, denen bislang keine Wohnung vermittelt werden konnte. Cansu Özdemir, die linke Spitzenkandidatin, fordert: Hamburg soll dem Berliner Vorbild folgen und einen Mietendeckel einführen. Die Argumente der Gegner weist sie zurück:
"Dann kommt ja ganz oft das Argument: Ja, zum einen, wir bauen doch schon so viele Wohnungen, dadurch wird die Entspannung auf dem Mietenmarkt schon kommen. Darauf warten ja die Menschen ja schon seit Jahren. Das hat eben nicht funktioniert. Zum anderen kommt ja ganz oft das Argument: Ja, die Investoren wollen dann nicht mehr investieren. – Da kann man ja ganz klar sagen: Der Neubau ab 2014 ist ja von den strengen Regulierungen ausgenommen. Von daher ist dieses Argument aus meiner Sicht eben auch nicht richtig."
Die Hamburger Linke könnte nach den letzten Umfragen rund acht Prozent der Stimmen bekommen und ihr Ergebnis bei der letzten Bürgerschaftswahl halten. Eine Regierungsbeteiligung lehnt die Partei ohnehin ab.
Die AfD in der Hansestadt, allen voran ihr Spitzenkandidat Dirk Nockemann, versuchen mit einer Doppelstrategie auf Stimmenfang zu gehen: in den Fußgängerzonen und vor den Kameras wird die bürgerliche Seite betont. Es geht um Wohnungsbau, um innere Sicherheit, eine saubere Stadt. In ihrem Wahlprogramm listet die AfD aber auch mit einer ganzen Reihe ausländerfeindlicher Ideen auf: Abgelehnte, ausreisepflichtige Asylbewerber möchte die Partei auf einer Insel unterbringen und mit elektronischen Fußfesseln ausstatten. Das Demonstrationsrecht soll, wenn es nach der AfD geht, künftig nur noch für Deutsche gelten. Mit dieser Programmatik könnte die Partei nach den letzten Umfrageergebnissen fünf bis sechs Prozent der Stimmen holen. In der Bürgerschaft wird die AfD eben wegen dieser Programmatik von allen anderen Parteien gemieden. Eine Zusammenarbeit mit der AfD findet nicht statt.
Bis Anfang Februar verläuft der Hamburger Wahlkampf noch ohne die sonst so typischen harten Debatten. SPD und Grüne, CDU und FDP halten sich alle Optionen offen. Zwischendurch holen die Grünen auf, liegen in den Umfragen gleichauf mit der SPD. Bei 29 Prozent.
Grüne geraten ins Straucheln
Aber die Grünen kommen ins Straucheln. Die sonst stets gut gelaunte Katharina Fegebank mit ihrer offenen Art wirkt im Wahlkampf zunehmend angespannt. Bemüht um mehr Zurückhaltung, um ein Auftreten, das zeigen soll: Ich kann das Bürgermeisterinnenamt ausfüllen. Dann rückt die Partei von ihrem Ziel der autofreien Innenstadt ab. Plötzlich geht es den Grünen nur noch um eine autoarme Innenstadt. Und nach heftigem Protest aus den Polizeigewerkschaften kippen sie ihre Idee, das Vermummungsverbot auf Demonstrationen von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Kai Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Uni Hamburg:
"Ich glaube auch, dass das tatsächlich Wackeleien sind, wo die Wählerinnen dann sagen: Was ist denn jetzt eigentlich eure Position? Und worauf können wir uns denn verlassen, wenn wir am Wahltag bei euch das Kreuz machen?"
Björn Höcke, AfD Thüringen (rechts) gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas L. Kemmerich (FDP).
Bürgerschaftswahl in Hamburg: Der große Schatten von Thüringen
Die Hamburger FDP hat es derzeit nicht leicht. Denn das Polit-Beben nach der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen hat auch die Hansestadt erreicht. Es gilt als ungewiss, ob sie den Einzug in die Bürgerschafft am Sonntag schaffen. Ein Lagebericht.
Anfang Februar legt die SPD zu, die Grünen sacken ab. Und Peter Tschentscher treibt die Strategie, sich grüner als die Grünen zu geben, auf die Spitze. Der Bürgermeister stellt der Presse das SPD-Konzept einer verkehrsarmen Innenstadt vor. Er präsentiert einen Entwurf, der auf den Ideen basiert, die die Grünen schon Monate vorher veröffentlicht hatten.

Dann, es sind noch zweieinhalb Wochen bis zum Wahlsonntag, sorgen zwei Ereignisse dafür, dass die hanseatische Gelassenheit im Parteienstreit handfesten Konflikten weicht.
Am 5. Februar lässt sich Thomas Kemmerich von der FDP mit den Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten wählen. Bei den Hamburger Liberalen herrscht Alarmstimmung. Anna von Treuenfels-Frowein, die FDP-Spitzenkandidatin, nutzt die letzte Bürgerschaftssitzung für eine Erklärung. Es wurden Fehler gemacht, erklärt Anna von Treuenfels-Frowein am Pult der Bürgerschaft:
"In Thüringen, indem Herr Kemmerich eine Wahl angenommen hat, die er nicht hätte annehmen dürfen. Und in Berlin, wo es an einer unmittelbaren, klaren Haltung unserer Parteispitze gefehlt hat. Und ich sage Ihnen hier allen: Diese gesamten Vorgänge tun uns leid! Wer meine Tweets gelesen hat weiß, wie sehr diese Vorgänge mich persönlich erschüttert haben!"
Anna von Treuenfels-Frowein, FDP-Spitzenkandidatin für die Hamburger Bürgerschaftswahl 2020 spricht während einer Veranstaltung zum Auftakt des Wahlkampfes.
Anna von Treuenfels-Frowein, FDP-Spitzenkandidatin für die Hamburger Bürgerschaftswahl 2020 (picture alliance/Daniel Bockwoldt/dpa)
Hamburger Liberale wird scharfe Trennlinie zur AfD nicht abgenommen
Dass die Hamburger Liberalen immer wieder die scharfen Trennlinien zur AfD betonen, nehmen ihr viele in der Hamburgischen Bürgerschaft nicht ab. Die Grünen recherchieren, dass die Hamburger FDP in den letzten fünf Jahren 43 Mal für die Anträge der Rechtspopulisten in der Hamburgischen Bürgerschaft gestimmt haben. Alle anderen Fraktionen haben die AfD-Anträge in der Bürgerschaft durchweg abgelehnt.
Dann, am 13. Februar, gerät auch die SPD in Erklärungsnot. Die Rechercheteams der NDR-Sendung "Panorama" und der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichen ihre Nachforschungen zu den so genannten Cum Ex-Geschäften der Hamburger Warburg-Bank. Viele dieser Geschäfte gelten als illegal, in Köln, Bonn und München laufen die ersten Strafprozesse, in denen es auch um den Cum-Ex-Handel der Warburg-Bank geht. Die Rechercheure von NDR und "Zeit" berichten: Die Hamburger Finanzbehörden haben der Bank mindestens 47 Millionen Euro erstattet, die ihr eigentlich gar nicht zustehen.
Die Hochhäuser und Bankentürme bilden die Skyline von Frankfurt am Main.
Tricks oder Steuerdiebstahl: Wer haftet für Cum-Ex-Geschäfte?
Dem deutschen Staat sind durch die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte Milliarden entgangen. Gerichte in Deutschland müssen klären, ob es sich dabei bloß um die geschickte Ausnutzung von Gesetzeslücken handelte – oder ob die Beteiligten illegal gehandelt haben.
Die Recherchen ergeben, dass sich der einstige Bankchef wegen der umstrittenen Cum-Ex-Geschäfte auch mit dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz besprochen hat. Dabei hatte die Linke in der Bürgerschaft erst Ende letzten Jahres in einer Kleinen Anfrage nach solchen Treffen gefragt. Der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch ärgert sich:
"Sollten sich diese Vorwürfe bestätigen, dann handelt es sich um einen ausgesprochenen politischen Skandal. Uns wurde gesagt, dass es keinen Kontakt gegeben hat. Und das führt uns zu der Vermutung, dass es dort irgendetwas vertuscht worden ist."
Nach den Medienberichten steht vor allem die Frage im Raum, welche Rolle der damalige Finanzsenator, nämlich Peter Tschentscher, in der Steuersache der alteingesessenen Hamburger Privatbankiers gespielt hat.
Im letzten TV-Duell mit Katharina Fegebank wirkt Tschentscher angespannt. Er verweist auf das Steuergeheimnis und wiederholt auf die Nachfragen des Moderators die immer gleichen Sätze:
"Diese Frage, wer wirklich einen Anspruch auf diese 47 Millionen (Euro) hat, wird ja gerade in einem Gerichtsverfahren geklärt. Seien Sie sicher – ich bin sieben Jahre lang Finanzsenator gewesen – unsere Finanzämter, unsere Steuerverwaltung machen das streng nach rechtlichen Gesichtspunkten, nach Recht und Gesetz fordern sie alles zurück, was zu Unrecht erstattet worden ist."
Cum-Ex-Geschäfte sorgen für Ärger
Katharina Fegebank, Tschentschers Kontrahentin im Wahlkampf, aber vermutlich auch seine Partnerin in einer Neuauflage der rotgrünen Koalition hält sich beim Fernsehduell zu den Vorwürfen zurück. Der Forderung der Oppositionsparteien nach einem Untersuchungsausschuss will sie sich nicht anschließen.
"Es geht jetzt erst mal darum, wirklich schnellstmöglich Aufklärung herbeizuführen. Und deshalb die Prüfung, ob das Steuergeheimnis aufgehoben werden kann für diesen Fall. Und das wir dann in eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses gehen. Und zwar so schnellstmöglich, dass eine Transparenz dargestellt wird für uns. Das ist im politischen Interesse. Ist aber auch im Interesse der Öffentlichkeit."
Vor dem Wahlsonntag bleibt es dabei: Es steht Aussage gegen Aussage im Fall der Cum-Ex-Geschäfte der Warburg-Bank.
Die letzten Umfragen zeigen: Der Hamburger SPD scheinen die Vorwürfe nicht zu schaden. Die Sozialdemokraten gewinnen sogar noch dazu und könnten zwar nicht mit 45 Prozent wie beim letzten Mal, aber mit immerhin 39 Prozent der Wählerstimmen rechnen. Die Grünen könnten ihr Ergebnis auf 24 Prozent verdoppeln.
Nach der Wahl wird der jetzige Senat also weitermachen können. Mit einer gestärkten grünen Partei. Der kleine grüne Anbau, wie Olaf Scholz den Juniorpartner einmal beschrieb, dieser Anbau könnte dann etwas größer ausfallen.