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Hamburger Elbphilharmonie
"Ein Gebäude für alle Bürger"

"Ein wirklich großes, demokratisches Gebäude" sei die Elbphilharmonie geworden, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz im Deutschlandfunk. Im Hinblick auf die zeitlichen Verzögerungen sprach der SPD-Politiker von einer "schweren Geburt", doch jetzt gebe es viel Begeisterung.

Olaf Scholz im Gespräch mit Christoph Heinemann | 11.01.2017
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) steht vor einem weißen Pult mit der Aufschrift "Elbphilharmonie".
    Hamburgs Erster Bürgermeister am 4.11.2016 beim Festakt zur Eröffnung der Elbphilharmonie-Plaza. (dpa/Christian Charisius)
    Mit ihren verschiedenen Konzertsälen biete die Elbphilharmonie Platz für viele Besucher aus Hamburg, aus der Region und aus der ganzen Welt. Schon jetzt werde das Gebäude von den Bürgern gut angenommen, etwa 500.000 Menschen hätten den Neubau bereits vor der feierlichen Eröffnung am Abend besichtigt, sagte Scholz.
    "Ich habe mir auch fest vorgenommen, dass alle Kinder, die in Hamburg zur Schule gehen, einmal ein Konzert in der Elbphilharmonie gehört haben", sagte der Bürgermeister. Er hoffe, dass sie so langfristig ein Faible für Musik entwickelten. Die Elbphilharmonie sei kein Gebäude für Eliten, vielmehr sollten die moderaten Ticketpreise Gäste aus allen Stadtteilen anlocken. Zugleich investiere die Stadt auch in die Kulturvermittlung in weniger wohlhabenden Bezirken.
    Prinzipien für kostenstabiles Bauen eingeführt
    Auch wenn der Beginn sehr schwierig und das Projekt von den Anfangsverantwortlichen schlecht geplant gewesen sei, habe man mittlerweile daraus gelernt und klare "Prinzipien für kostenstabiles Bauen" in Hamburg eingeführt.
    Scholz sagte mit Blick auf die festliche Eröffnung der Elbphilharmonie am Abend, zu der zahlreiche Staatsspitzen in Hamburg erwartet werden, das Gebäude sei gut gegen Terror geschützt. Man werde für den Festakt "alle technischen Möglichkeiten" der Sicherheitskräfte nutzen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: "Palazzo Prozzo" nannten die Berliner im Osten der einst geteilten Stadt den Palast der Republik, oder einfach "Erichs Lampenladen". Ein für DDR-Verhältnisse modernes Veranstaltungsgebäude, mit dem viele auch schöne Erinnerungen verbinden. Aber der "Palazzo Prozzo" war eben auch sündhaft teuer.
    Hamburg hat jetzt auch so etwas geschafft: Die Elbphilharmonie, neben dem Flughafen BER und Stuttgart 21 die dritte der drei berüchtigten Dauerbaustellen in Deutschland, ist fertig. Elphi heißt das Bauwerk im Westen der Hamburger Hafencity. Elphi ist teuer, denn parallel zum Bau wuchsen die Kosten: In neun Jahren von geplanten 240 Millionen auf 789 Millionen Euro.
    Heute Abend wird die Philharmonie mit einem Konzert feierlich eröffnet. Der Bundespräsident kommt, auch Angela Merkel und natürlich Olaf Scholz (SPD). Den Ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg habe ich gestern Abend gefragt, ob Hamburg jetzt auch über einen "Palazzo Prozzo" verfügt.
    Olaf Scholz: Nein, in keinem Fall. Das ist ein großartiges Gebäude, übrigens auf einer historischen Arbeitsstätte, einem Kaispeicher, mitten im historischen Hafen. Auf der einen Seite sieht man von dem Platz, der in 37 Meter Höhe dort obendrauf errichtet worden ist, den Hafen, die Industrieanlagen, die Schiffe, die Container, auf der anderen Seite die Silhouette der Stadt, und darüber erhebt sich ein modernes Konzertgebäude. Das ist wirklich ein großes demokratisches Gebäude und man sieht es ja auch, es wird angenommen. Über 500.000 Besucherinnen und Besucher waren schon da.
    Heinemann: Inwiefern demokratisch?
    Scholz: Weil es ein Gebäude ist für alle. Es ist mit vielen Konzertsälen versehen, die viel Platz bieten. Da müssen alle kommen, aus Hamburg, aus der Metropolregion, aus Deutschland, auch aus vielen Teilen der Welt. Und ich habe mir fest vorgenommen, dass es auch so sein soll, dass alle Kinder, die in Hamburg zur Schule gehen, einmal ein Konzert in der Elbphilharmonie gehört haben, weil ich hoffe, dass sie dann vielleicht auch ein Faible entwickeln für Musik und daraus für ihr Leben etwas machen.
    "Es gibt erstklassige Plätze, die auch wenig kosten"
    Heinemann: Einmal ist gut. Aber was hat dauerhaft ein Arbeiterkind in Wilhelmsburg von der Elbphilharmonie?
    Scholz: Indem es häufiger da hingeht. Die Preise sind so gestaltet, dass das möglich ist. Es gibt erstklassige Plätze, die auch wenig kosten, und das ist ja wichtig nicht nur jetzt für die Eröffnungsphase, die ersten sechs Monate, sondern für die ganzen Saisons, die dann noch kommen. Meine Hoffnung ist, dass viele Hunderttausende den Ort besuchen - das ist schon der Fall - und dass es noch viel mehr sein werden, die da hingehen und sich Konzerte angucken und die großartigen Gebäude, die großartige Akustik genießen und gleichzeitig auch ein Gefühl dafür entwickeln, dass es toll ist, Musik zu haben.
    Heinemann: Ist es nicht eher doch ein Elitenbauwerk, ein Bauwerk für die Herrschaften aus der Elbchaussee?
    Scholz: Nein. Dafür gibt es dafür gar nicht so viele. Wenn Sie schon Ihre Vorurteile pflegen, empfehle ich Ihnen, die mal abzufahren und die Gebäude zu zählen. Dann kommen Sie drauf: Kann gar nicht klappen.
    "Hamburg hat jetzt ein großes Gebäude mit Konzertsälen mehr"
    Heinemann: Zählen wir andere Gebäude. Sie sprachen eben von historisch. Seit 100 Jahren wird in der Laeiszhalle auf hohem und höchstem Niveau musiziert in Hamburg. Wieso ist dieser traditionsreiche Saal am Johannes-Brahms-Platz nicht mehr gut genug?
    Scholz: Der ist gut genug und wir werden sogar in ihn investieren, damit er in Zukunft weiter auf modernstem Stand großartige Musikqualität bieten kann. Und die Institution, die Gesellschaft der Stadt, die wir damit beauftragt haben, die Elbphilharmonie zu betreiben, wird auch die Laeiszhalle weiter betreiben. Hamburg hat jetzt ein großes Gebäude mit Konzertsälen mehr und es wird viele Orchester aus Hamburg und aus ganz Deutschland und aus der Welt geben, die dort spielen, und es gibt ganz viele und wird ganz viele geben, die sich die Musik dort anhören und, ich bin sicher, immer begeistert sein werden.
    "Die Hamburgerinnen und Hamburger haben die Elbphilharmonie als ihr Gebäude, ihr Musikgebäude adoptiert"
    Heinemann: Elphi ist nicht nur groß. Was ist sie Ihnen vor allem, lieb oder teuer?
    Scholz: Sie ist beides. Es ist wirklich ein Gebäude, das eine sehr lange Bauzeit hatte und - das muss man ja auch ganz klar sagen - das von den anfangs Verantwortlichen nicht gut geplant wurde. Die haben nicht dafür gesorgt, dass die Stadt dieses Bauwerk richtig auf den Weg bringt. Als ich Bürgermeister wurde 2011 wurde schon gebaut, aber die Pläne waren noch gar nicht fertig. Das haben wir mit einer ziemlich hart verhandelten Neuordnung jetzt hingekriegt und dadurch, dass man jetzt sieht, wie das Gebäude fertig geworden ist, haben auch alle das Gefühl, das ist ihr Gebäude. Ich bin sicher, das war eine schwere Geburt, aber die Hamburgerinnen und Hamburger haben die Elbphilharmonie als ihr Gebäude, ihr Musikgebäude adoptiert.
    Heinemann: Es sind vor allem Ihre Kosten. Wie würden Sie denn die Entwicklung mit welchen Adjektiven der Baukosten beschreiben?
    Scholz: Das ist teurer geworden als nötig und zur Ehrlichkeit und Wahrheit, die man von Anfang an hätte pflegen sollen, hätte gehört zu sagen, dieses Gebäude hätte man, selbst wenn man es richtig macht, nicht für weniger als fünf bis 600 Millionen bauen können. Jetzt ist es teurer geworden, weil der Anfang nicht richtig war, und daraus haben wir als Stadt auch Konsequenzen gezogen. Seitdem ich Bürgermeister bin gibt es eine neue Grundlage. Die lautet: kostenstabiles Baues. Und gerade in dieser Woche haben wir vorgestellt, wie sehr das bei all den vielen Bauprojekten, die ja alle zusammen auch Milliarden ausmachen, in der Stadt wirkt und wie man es hinkriegen kann, als öffentliche Hand rechtzeitig zu bauen, rechtzeitig zu planen und auch im Kostenrahmen zu bleiben.
    Heinemann: Warum geht das in Deutschland regelmäßig schief?
    Scholz: Weil noch nicht alle die Prinzipien des kostenstabilen Bauens, die bei uns in Hamburg jetzt herrschen, eingeführt haben. Ich empfehle das.
    Heinemann: Was kann man sich da genau abgucken?
    Scholz: Erst planen, dann bauen und Kostenrisiken realistisch einschätzen. Dafür haben wir viele Grundsätze festgelegt, die auch andere beherzigen im nicht öffentlichen Bereich, zum Beispiel wenn es sich länger hinzieht, wie die Preisentwicklung sein wird, dass es Möglichkeiten gibt, dass Bauunternehmen zwischendurch nicht mehr können und es deshalb zusätzliche Kosten gibt, dass Sachen, die man nicht zu Ende kalkulieren kann, Grund und Boden, wie der beschaffen ist, und andere Dinge, zum Beispiel auch mit Sicherheitszuschlägen versehen sein müssen, damit man vorher weiß, was das kostet, und deshalb als demokratischer Staat auch entscheiden kann, ob man sich das leisten kann und will.
    Heinemann: Herr Scholz, was kann sich Hamburg wegen der Elbphilharmonie nicht mehr leisten?
    Scholz: Gar nichts! Wir haben entschieden, dass es zum Beispiel keine Einschränkung bei der Kultur geben soll, und haben sogar zusätzliches Geld für die vorhandenen Kultureinrichtungen, für die unabhängige Kultur auf den Weg gebracht. Das ist ja jetzt nicht nur dieses Konzerthaus da, wir haben nicht nur viele klassische Ensembles und Orchester, sondern wir haben auch verschiedene andere Formen der Musik. Das wichtigste moderne Festival der Musik und die wichtigste Messe ist das Reeperbahn-Festival. Auch das fördern wir. Solche Entscheidungen haben wir alle getroffen und in der Stadt, in der die Elbphilharmonie errichtet wurde, gibt es die größte Wohnungsbau-Offensive in Deutschland, gibt es einen massiven sozialen Wohnungsbau, gibt es gebührenfreie Krippen und Kitas und Universitäten. Das ist uns gleichzeitig gelungen.
    Heinemann: Ist vernünftiger Musikunterricht an Schulen, an Musikschulen, die auch vernünftig ausgestattet sind, nicht wichtiger als ein zusätzlicher Konzertsaal?
    Scholz: Alles ist gleichzeitig wichtig und alles geht auch gleichzeitig.
    Heinemann: Und alle Schulen und Musikschulen sind perfekt ausgestattet in Hamburg?
    Scholz: Wir haben jedenfalls die Voraussetzungen dafür geschaffen. Sie sollten zum Beispiel wissen, dass Hamburg ein mehrere Milliarden umfassendes Investitionsprogramm in seine Schulen auf den Weg gebracht hat. Das wird bis Ende dieses Jahrzehnts ein Betrag von über zwei Milliarden Euro sein, der da investiert wird. Also wir machen das.
    Heinemann: Direktoren, denen das nicht reicht, können sich bei Ihnen melden?
    Scholz: Alle!
    "Wir müssen viele unterschiedliche Formen haben, die gleichzeitig funktionieren"
    Heinemann: Sind spektakuläre Bauwerke noch zeitgemäß, oder benötigen wir nicht andere, vielleicht kleinere, dezentralere Formen der Kulturvermittlung?
    Scholz: Mal so, mal so. Ich glaube, dass diejenigen falsch liegen, die sagen, es gibt nur das eine oder das andere. Und die große Begeisterung, die alle in der Stadt Hamburg und weit darüber hinaus für das Gebäude haben, und die Freude, die sie dabei empfinden, es zu erkunden, und die Vorfreude, die sie jetzt haben auf die Musik, die dort spielen wird, zeigt ja, dass es nicht richtig ist, in solchen Gegensätzen zu denken. Ich glaube, wir müssen viele unterschiedliche Formen haben, die gleichzeitig funktionieren. Während wir zum Beispiel investiert haben in die Elbphilharmonie, haben wir auch gleichzeitig in den Kulturpalast Billstedt investiert am Rande der Stadt, in einem Stadtteil, der nicht so wohlhabend ist und wo auch Kulturvermittlung stattfindet, und ich glaube, genau das ist der richtige Weg.
    Heinemann: Herr Scholz, 2017 muss man auch über Sicherheit sprechen. Wie ist die Elbphilharmonie gegen Terroranschläge geschützt?
    Scholz: Das ist ein Gebäude, das so gebaut worden ist, dass man es schützen kann, und natürlich haben wir jetzt zum Beispiel für die Eröffnung sichergestellt, dass all die technischen Möglichkeiten, die unsere Polizei und Sicherheitsorgane haben, auch eingesetzt werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Es kommen jetzt die ganzen Staatsspitzen, da haben wir uns schon viel Mühe gegeben.
    "Tatsächlich beraten wir heute über den Wahlkampf und seine Grundanlage"
    Heinemann: Stichwort Staatsspitzen und hohe Politik. Wir erreichen Sie beim geheimnisvollen Treffen der SPD in Düsseldorf. Können Sie uns kurz bestätigen: Wird Sigmar Gabriel die SPD in die Bundestagswahl führen?
    Scholz: Zunächst mal ist das Treffen ja offenbar nicht so geheimnisvoll. Ich habe, bevor ich nach Düsseldorf geflogen bin, bei einer Veranstaltung, bei der ich gesprochen habe, gesagt, ich fahre jetzt zu einem Treffen, das geheim ist; es steht aber schon in allen Zeitungen. Aber tatsächlich beraten wir heute über den Wahlkampf und seine Grundanlage. Andere Entscheidungen stehen heute nicht an.
    Heinemann: Kurz ein Wort zum Spitzenkandidaten?
    Scholz: Die SPD hat, wie Sie verschiedentlich gehört haben, entschieden, Ende Januar zu sagen, wer der Spitzenkandidat der SPD sein wird, und Sie müssen sich also nur noch wenige Tage gedulden.
    Heinemann: Vielen Dank für das Gespräch!
    Scholz: Auf Wiederhören!
    Heinemann: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Das Gespräch haben wir gestern Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.