Montag, 13. Mai 2024

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Hamlet in Teheran
"Damit werden Fenster geöffnet"

Der Aufschrei über die verhüllte Venus beim Besuch von Irans Präsident Rohani in Italien war laut. Auch Thomas Ostermeier musste bei seiner Hamlet-Inszenierung in Teheran Zensur hinnehmen. Im DLF sagte der Regisseur, er sehe seine Arbeit als "trojanisches Pferd" zur Verbesserung im Iran.

Thomas Ostermeier im Gespräch mit Antje Allroggen | 29.01.2016
    Thomas Ostermeiers Hamlet-Inszenierung aus Berlin: anlässlich des Fadjr-Festivals in Teheran
    Thomas Ostermeiers Hamlet-Inszenierung aus Berlin: anlässlich des Fadjr-Festivals in Teheran (picture alliance/dpa/Abedin Taherkenareh)
    Antje Allroggen: Während der iranische Präsident Rohani auf Einkaufstour ist und seinen Korb auch schon mit satten Wirtschaftsverträgen gefüllt hat, wagt auch die Kultur eine vorsichtige Annäherung an den jahrelang vom Westen isolierten Iran. Die Berliner Schaubühne befindet sich gerade mit einem 31-köpfigen Team in Teheran, um den Hamlet in der Regie von Thomas Ostermeier aufzuführen. Bei uns ist die Inszenierung längst ein Klassiker, im vergangenen November spielte Lars Eidinger die Hamlet-Rolle zum 250. Mal. Und nicht nur das: Ostermeiers Hamlet, der im Jahr 2008 Premiere hatte, ist ein regelrechter Festival-Liebling, ein preisüberschütteter noch dazu und war schon in knapp 30 Städten zu sehen, unter anderem in Moskau, Jerusalem und Istanbul. Jetzt also Teheran. Dort ist das Stück anlässlich des gerade stattfindenden Fadjr-Festivals zu sehen. Ermöglicht wurde das Gastspiel vor allem durch die Unterstützung durch Goethe-Institut und Auswärtiges Amt. Gestern war das Stück im Iran zu sehen. Dort haben wir heute Nachmittag nach einigen Mühen Thomas Ostermeier telefonisch erreicht und ich habe ihn zunächst gefragt, wie das Stück vom iranischen Publikum denn aufgenommen wurde.
    Thomas Ostermeier: Mit stehenden Ovationen. Wir waren ziemlich überrascht, dass es doch so einhellig gefeiert wurde. Vorher wurde uns auch gesagt, dass die iranischen Zuschauer nur sehr kurz applaudieren, aber es war dann doch relativ lang für iranische Verhältnisse. Vor allen Dingen war es überraschend, weil man während der Vorstellung manchmal das Gefühl hatte, es gibt doch durchaus auch Leute, die überzeugt werden müssen, die skeptisch zugucken, weil es gibt natürlich viele Intellektuelle, viele andere Kultur- und Kunstschaffende, die kommen - das ist so wie in Deutschland - und die bei einer Prämiere dann natürlich erst mal skeptisch gucken. Aber anscheinend konnten wir die alle für die Aufführung begeistern.
    Allroggen: Überraschend deshalb ja vielleicht auch, weil die großen Fragen Hamlets ja noch einmal ganz anders in einem Land klingen, das jedem Einzelnen ein strenges religiöses Leben nach dem Islam verordnet und dessen Gesellschaft nach wie vor ja auch stark patriarchalisch strukturiert ist.
    Ostermeier: Nein, das ist ja dann nicht überraschend, weil das Stück thematisiert ja genau das. Das ist ja bestimmt in seiner Frauenfeindlichkeit und der Art und Weise, wie Gertrud und Ophelia dargestellt werden, und der Frauenfeindlichkeit von Hamlet selber. Das heißt, so eine Aufführung, die in einer extrem autoritären und patriarchalen Gesellschaft ohnehin durch die Vorgabe der Literatur spielt, ist dann natürlich in so einem Land viel durchschlagender und viel plastischer.
    Allroggen: Trotzdem: Man sieht vielleicht die eine oder andere Kussszene, Berührungen, die nicht ganz so üblich sind.
    Ostermeier: Ja, die sieht man. Die sieht man.
    Allroggen: Mussten sie uminszenieren?
    Ostermeier: Ja natürlich.
    Allroggen: Was denn?
    Ostermeier: Alles. Es darf keine Berührungen geben auf der Bühne und es darf keine sexuellen Anspielungen geben. Es darf keine Nacktheit geben, es darf auch keine Nacktheit bei den Männern geben auf der Bühne, und da diese Aufführung ja voll von diesen Dingen ist, mussten wir sehr viel uminszenieren. Jeder der Zuschauer - ich hatte gerade eine große Pressekonferenz hier und dann auch eine Begegnung mit vielen iranischen Künstlern, Filmemachern und Regisseuren -, alle haben mir gesagt, dass für die das natürlich klar war, dass das, was sie sehen, nicht die Aufführung ist, sondern die meisten interessierten Zuschauer die Aufführung von YouTube kennen und für sie der größte Wert in der Geste bestand und sozusagen eine Meta-Aufführung während der ganzen Aufführung noch mitlief - das war nämlich die eigentliche Aufführung - und dass jeder der Zuschauer wusste, dass wir diese Kompromisse machen müssen, um hier zu spielen, und dass für die Zuschauer diese Geste, dass wir hier sind, das alles aufgewogen hat.
    Allroggen: Ganz kurz zurück zu dieser Uminszenierung. Wie haben Sie denn für sich herausgefunden, welche Szenen dem iranischen Publikum sozusagen nicht zuzumuten sind? Haben Sie auch das Gespräch gesucht mit Kulturschaffenden vor Ort?
    Ostermeier: Da muss man kein Gespräch mit Kulturschaffenden suchen, sondern das geht seinen stalinistischen Gang, hätte ich jetzt beinahe gesagt. Es gibt einen Zensor und der kriegt eine DVD vorgelegt und dann guckt er sich die an und dann macht er mit einem Time Code seine Anmerkungen, was nicht geht, und dann wird nach dieser Liste versucht, das so zu arbeiten, dass es keinen Anstoß erregt. Dann kommt der Zensor mit seinen Beisitzern, so wie man das von den Kollegen aus der ehemaligen DDR immer erzählt bekommen hat. Dann kommen die Vertreter des Politbüros und sitzen da zu fünft im Zuschauerraum und lassen sich die komplette Aufführung zeigen und machen dann den Daumen rauf oder runter.
    Allroggen: Sehen Sie Ihre Arbeit im Iran gerade eigentlich auch politisch?
    Ostermeier: Natürlich! Es ist extrem politisch. In dem Moment, wo ein Regime glaubt, Religion zu verknüpfen mit Politik, indem es das zur Staatsreligion erklärt und einen islamischen Staat ausruft, ist jede Kommunikation mit diesem Prinzip wie ein trojanisches Pferd, und unser trojanisches Pferd bestand eben darin, dass wir zunächst diese Auflagen akzeptieren. Aber die politische Arbeit besteht nicht nur in dem, was das Stück sagt, sondern besonders auch in der Tatsache, dass die Künstler und liberaler denkenden Menschen in diesem Land diese Brücke brauchen und sagen, damit werden Fenster geöffnet, und vielleicht dient es einer Verbesserung der Situation.
    Allroggen: Über die Brücken und Fenster bauende Funktion von Theater in Krisenländern sprach ich mit Thomas Ostermeier. Sein Hamlet ist gerade im Rahmen eines Theaterfestivals in Teheran zu sehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.