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Hasskriminalität
Die Motivation rechter Gewalt

Der Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler sieht die Zunahme rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland als Ergebnis einer politischen Mobilisierung von rechts. Bewegungen wie Pegida und Hogesa hätten ein Klima erzeugt, in dem Rechtsextreme wie Mitläufer sich zum Handeln genötigt fühlten, sagte Häusler im DLF.

18.08.2015
    Eine Kundgebung von Hogesa-Anhängern in Hannover im November 2014
    "Mobilisierung mit dem Effekt, dass die üblichen Verdächtigen sich motiviert fühlen": Kundgebung von "Hogesa"-Anhängern in Hannover im November 2014. (AFP / Odd Andersen)
    Fast die Hälfte aller rassistisch motivierten Gewalttaten im vergangenen Jahr ist in Ostdeutschland einschließlich Berlin verübt worden. Das geht aus Informationen des Bundesinnenministeriums hervor. Das Klischee "böser Osten, guter Westen" treffe allerdings nicht ganz zu, betonte Häusler. Auch in Nordrhein-Westfalen beispielsweise ereigne sich eine hohe Anzahl rechtsmotivierter Gewalttaten.
    Häusler spricht von einem Verstärkereffekt: Die politische Mobilisierung durch die islamfeindliche Pegida-Bewegung oder auch durch Gruppen wie die "Hooligans gegen Salafisten" bereite den Nährboden für rassistisch motivierte Gewalt. Die Deutschen würden als bedroht, Flüchtlinge als Gefahr dargestellt. Auch die Berichterstattung der Medien sei oftmals nicht frei von Dramatisierung. Das habe den Effekt, dass die "üblichen Verdächtigen" aus der rechtsextremen Szene, aber auch Mitläufer sich zum Handeln genötigt fühlten.
    Eine Art Déjà-vu angesichts der aktuellen Flüchtlingsdebatte
    In diesem Jahr sei sogar noch ein rapider Anstieg rassistischer Gewalt gegenüber 2014 zu verzeichnen, so Häusler. Deutschland erlebe hier ein Déjà-vu zu den 1990er-Jahren: Angesichts des Anstiegs der Flüchtlingszahlen damals sei die öffentliche Debatte von rassistischen Untertönen à la "Das Boot ist voll" geprägt gewesen. Diese Katastrophenszenarien hätten teilweise zu "pogromartigen Zuständen" geführt. "Das scheint sich ein Stück weit zu wiederholen", sagte Häuser.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Rassistische Straftaten in Deutschland nehmen zu. Darüber berichten wir hier im Deutschlandfunk immer wieder. Übergriffe gegen Ausländer, gegen Flüchtlingswohnheime, Hetze gegen Menschen, die sich für Ausländer einsetzen. Aktuelle Zahlen belegen jetzt, dass diese Taten äußerst ungleich verteilt sind in Deutschland. Die Hälfte aller Fälle wird demnach in Ostdeutschland registriert, obwohl dort gerade mal ein Fünftel der deutschen Bevölkerung lebt. Der Osten Deutschlands also besonders rassistisch?
    Am Telefon ist jetzt Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Düsseldorf. Er beschäftigt sich in seiner Arbeit intensiv mit der Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland. Schönen guten Tag, Herr Häusler.
    Alexander Häusler: Guten Tag!
    "Es ist nicht darauf zu reduzieren, dass es nur ein Ostphänomen ist"
    Armbrüster: Herr Häusler, bewahrheitet sich hier das alte Klischee, der Osten Deutschlands ist besonders rassistisch?
    Häusler: Ja und nein. Natürlich sprechen die Zahlen insofern für sich, als dass wir durchaus feststellen müssen, dass es dort in den ostdeutschen Bundesländern eine Entwicklung gibt, die noch mal die Frage aufwirft, was passiert da, was sind die Ursachen dafür. Aber dieses Klischee, böser Osten, guter Westen, trifft schon allein deswegen nicht zu, weil, wie auch in dem Bericht schon genannt, Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland eben auch in absoluten Zahlen eine hohe Anzahl rechtsmotivierter Gewalt hat. Deswegen ist es nicht zu reduzieren darauf, dass es nur ein Ostphänomen ist.
    Armbrüster: Lassen Sie uns kurz über Ostdeutschland sprechen und dann über Nordrhein-Westfalen. Welche Grundvoraussetzungen liegen in Ostdeutschland vor, dass dort so besonders viele Fälle registriert wurden?
    Häusler: Einen Grund kann man identifizieren in dem sogenannten Verstärkereffekt. Das heißt, diese Taten, gerade die rassistisch motivierte Gewalt ist ein Stück weit ein Ergebnis davon, dass wir politische Mobilisierung auf dem rechten Feld haben, Stichwort Pegida, die quasi den Nährboden für diese Tat vorbereiten, indem breitenwirksam ein Klima erzeugt wird, was darstellt, die Deutschen sterben aus, wir werden bedroht, die Flüchtlinge sind eine Gefahr für uns und dergleichen. Diese Vorurteilsstruktur, die ruft natürlich dann Effekte hervor, dass die Leute sich zum Handeln genötigt fühlen und dass dann neben den üblichen Verdächtigen aus der Neonazi-Szene auch Mitläufer auftauchen und das so eine Art Schneeballeffekt bewirkt.
    "Rapider Anstieg von rassistisch und rechts motivierter Gewalt"
    Armbrüster: Jetzt haben wir es hier zu tun mit Zahlen aus dem vergangenen Jahr, aus 2014. In diesem Jahr ist die Flüchtlingsproblematik in Deutschland ja fast jeden Tag wieder in den Schlagzeilen. Es ist großer Gesprächsstoff in Deutschland. Müssen wir davon ausgehen, dass sich diese Kluft noch einmal weiter vergrößert, dass der Anteil der rassistisch motivierten Straftaten auch aufgrund dieser Flüchtlingsdebatte in Ostdeutschland noch größer wird?
    Häusler: Das ist leider der Fall. Würde man diese Statistik jetzt für das Jahr 2015 machen, so wäre das Ergebnis noch wesentlich erschreckender. Das heißt, die Fallzahlen wären exorbitant höher. Wir haben gerade im Zuzug dieser neuen Debatte um Asyl einen rapiden Anstieg von rassistisch und rechts motivierter Gewalt und Straftatbeständen gegenüber Flüchtlingen und erste Zahlen belegen das auch schon, auch wenn wir das jetzt noch nicht in der polizeilichen Kriminalstatistik derart gespiegelt bekommen.
    Armbrüster: Wie ist denn dieser Zusammenhang zu erklären? Liegt das an besonders aggressiver Berichterstattung, oder an hetzerischen Äußerungen von Politikern?
    Häusler: Ein Stück weit ist das wie so eine Art Déjà-vu zu den 1990er-Jahren, als wir auch bei einem rapiden Anstieg der Flüchtlingswelle eine Debatte hier in Deutschland hatten, die deutlich auch von rassistischen Untertönen geprägt war nach dem Motto, das Boot ist voll, die Flüchtlinge als das Problem dargestellt wurden für den deutschen Sozialstaat und dergleichen. Und natürlich: Diese Katastrophenszenarien, die auch politisch, teilweise auch medial mit angestachelt worden sind, haben dazu geführt, dass wir dort teilweise pogromartige Zustände mit furchtbaren Gewalttaten gehabt haben. Das scheint, sich ein Stück weit jetzt aktuell vor den steigenden Flüchtlingszahlen, vor diesem Hintergrund zu wiederholen.
    "Berichterstattung nicht frei von Dramatisierungseffekten"
    Armbrüster: Jetzt - Sie haben es schon angesprochen - spielt auch Nordrhein-Westfalen in dieser aktuellen Statistik eine große Rolle. Hier werden die meisten rechtsextremen Straftaten verübt. Was ist in NRW der Nährboden für diese Taten?
    Häusler: Auch hier kann man, wenn man jetzt den Verstärkereffekt heranzieht, feststellen, dass wir seit diesen Mobilisierungen von Pegida und dergleichen hier in Nordrhein-Westfalen, auch durch diese Hooligan-Aufmärsche der sogenannten Hooligans gegen Salafisten, einer der größten Aufmärsche in Köln von rechts, begleitet von Gewalttaten, auch einen Effekt gehabt haben, wo sich die üblichen Verdächtigen auf dem rechten Feld motiviert fühlen nach dem Motto, das was wir schon immer gesagt und gefordert haben, das wird jetzt breitenwirksam auf der Straße ausgeübt und das machen wir nach. Das erklärt ein Stück weit, dass das auch passiert. Und die andere Sache ist natürlich die Auseinandersetzung insgesamt in Deutschland, wie diese steigenden Flüchtlingszahlen bewertet werden, wie damit umgegangen wird und dass da auch die Berichterstattung nicht frei von Dramatisierungseffekten ist.
    Armbrüster: Ganz kurz noch, Herr Häusler, zum Schluss. Wir haben das gerade in dem Beitrag gehört: Es werden in Berlin auch heftige Vorwürfe gegen die deutsche Polizei erhoben, dass die dieses Problem etwas kleinredet und nicht richtig auf dem Schirm hat. Können Sie das bestätigen, oder?
    Häusler: Nun, es ist ja nicht umsonst so, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen den Fallzahlen, die Beratungsstellen von Opfern rechter und rassistischer Gewalt veröffentlichen, die wesentlich höher sind als die offiziellen Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik. Das hat etwas mit dem Erfassungsmodus zu tun. Man muss sich das klar machen, dass die Zahlen, die wir jetzt haben vom BKA und der Bundesregierung, resultieren aus den Angaben, die die örtlichen regionalen Staatsschutzabteilungen in den Polizeipräsidien abgeben, und dort muss man deutlich sagen, das ist eine Erfassung, die durchaus einer Revision bedürfen könne. Länder wie Großbritannien mit ihren Untersuchungen zu Hate Crimes, die sind dort wesentlich weiter als wir und da hätten wir mit Sicherheit Nachholbedarf.
    Armbrüster: Aktuelle Statistiken belegen, dass jede zweite rassistisch motivierte Straftat im Osten Deutschlands begangen wird. Wir haben dazu die Einschätzung gehört von Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Düsseldorf. Vielen Dank, Herr Häusler, für das Gespräch.
    Häusler: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.