Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Hasskriminalität im Internet
"Der Verlust an Anstand ist beängstigend"

Ein Fünftel der Bürgermeister und Kommunalpolitiker bekämen inzwischen Hassmails, sagte Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, im Dlf. Ein "ganz, ganz großer Teil" der Angriffe komme dabei von rechts. Das Strafrecht müsse dringend verschärft werden.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.11.2019
Portraitfoto von Gerd Landsberg, Geschäftsführendem Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes DStGB.
Gerd Landsberg ist seit 1998 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (imago stock&people)
Die politische Auseinandersetzung habe enorm an Schärfe zugenommen, sagte Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, im Dlf. Die Scham sei weggefallen, der Respekt gegenüber dem Staat sei gesunken, wie Angriffe auch gegen Sanitäter und Feuerwehrleute zeigten. Bei Mandatsträgern führten die Angriffe unter Umständen auch dazu, dass sie sich zurückzögen. Polizei und Staatsanwalt müssten diese Angriffe deshalb stärker verfolgen. Und über die Konsequenzen und Verurteilungen müsse berichtet werden.

Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Hasskriminalität – das ist eine Form von Verbrechen, die bei Polizei und Ermittlungsbehörden immer ernster genommen wird. Bei Hasskriminalität oder auch Hate Crime, da sprechen wir über Anfeindungen, Übergriffe oder Einschüchterungsversuche aller Art. Das beginnt oft im Internet in sogenannten sozialen Netzwerken und immer häufiger endet Hass-Kriminalität dann in tätlicher Gewalt. Für die Sicherheitsbehörden ist das inzwischen besorgniserregend. Auch das BKA hat das erkannt und zum Topthema erklärt auf seiner Herbsttagung heute und morgen.
Mit dabei bei diesem Treffen wird auch sein Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Schönen guten Morgen, Herr Landsberg!
Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Landsberg, Hasskriminalität, wieso ist das ein Thema für Ihren Verband?
Landsberg: Weil diese Hasskriminalität sich in großem Umfang auch gegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und Kommunalpolitiker richtet. Beispiel: Wir haben letztes Jahr eine Umfrage mit unserer Zeitung "Kommunal" gemacht. Da haben tausend Bürgermeister geantwortet. 20,4 Prozent sagen ja, wir kriegen Hass-Mails, wir werden bedroht, und fast zwei Prozent berichten von körperlichen Angriffen. Das ist vor Ort in den Kommunen ein wichtiges Thema.
"Ein ganz, ganz großer Teil kommt von rechts"
Armbrüster: Wie macht sich das denn im politischen Alltag oder bei der Arbeit dieser Männer und Frauen bemerkbar?
Landsberg: Das ist gar nicht so einfach. Es gibt verschiedene Verhaltensweisen. Der eine oder andere – das halten wir für richtig – zeigt das an und macht das öffentlich, damit in der Kommune auch, ich nenne das mal, die schweigende Mehrheit sagt, nein, das dürft ihr mit unseren Leuten nicht machen. Es gibt aber auch Leute, die sind eingeschüchtert. Vielleicht ziehen sie sich auch aus einem Mandat zurück. Auch die Fälle hat es gegeben. Das heißt, das hat schon eine Wirkung, auch, dass man, wenn man ins Rathaus geht, sich vielleicht vorher umdreht, in schwierigen Fällen mit der Polizei vorher spricht. Nur den Schutz, den, sagen wir mal, Bundespolitiker oder Minister haben, den können wir natürlich auf der kommunalen Ebene nicht organisieren. Um mal eine Zahl zu nennen: Wir haben fast 300.000 Ratsmitglieder in Deutschland und deswegen ist das ein wichtiges Problem.
Armbrüster: Aus welcher Richtung kommen denn diese Androhungen, Anfeindungen und Übergriffe, die diese Amtsinhaber im Netz erleben?
Landsberg: Da kann man ganz klar sagen: Ein ganz, ganz großer Teil kommt von rechts, übrigens auch gegen Verbandsvertreter wie mich. Sowie es irgendetwas mit Flüchtlingen zu tun hat oder irgendetwas in dieser Richtung, dann geht die Welle richtig hoch. Wir können das natürlich nicht in jedem Fall sagen. Häufig sind es auch lokale Probleme: Der Bürgermeister will die Brücke, eine bestimmte Gruppe will das nicht, und es ist heute ja üblich: Dann haut man einen raus, frei nach dem Motto, na, das wird man doch wohl mal sagen dürfen, und das ist genau das Problem.
"Die Populisten gehen immer an die Grenze oder über die Grenze hinaus"
Armbrüster: Wo würden Sie sagen, wo liegt der Grund für diesen Hass?
Landsberg: Mein Eindruck ist, dass die politische Auseinandersetzung in diesem Land ja an Schärfe enorm zugenommen hat. Die Populisten, ob das jetzt auf Bundes- oder Landesebene ist, gehen immer an die Grenze oder über die Grenze hinaus. Und dann gibt es den Echoraum in den sozialen Netzwerken, wo die Leute darauf einsteigen, auch wie Sie in dem Vorbericht das dargestellt haben. Die Scham ist weggefallen. Was man früher gepöbelt hat am Stammtisch, das war dann eine beschränkte Zahl von Personen, die das mitbekamen. Das geht jetzt ins Netz und da findet man Zustimmung nicht von Hunderten, sondern von Tausenden. Und der Respekt gegenüber dem Staat nimmt ab. Es ist ja nicht nur der Bürgermeister; es sind Rettungssanitäter, Feuerwehrleute. Da haben wir einen Verlust von Anstand in der Gesellschaft, der ist beängstigend.
Armbrüster: Sehen Sie diesen Verlust von Anstand auch im politischen Geschäft?
Landsberg: Teilweise sehe ich den auch im politischen Geschäft. Es wird ja auch immer berichtet, wenn es diese verbalen Grenzüberschreitungen gibt. Die werden dann widerrufen, ich habe es nicht so gemeint. Das hat es in dieser Form früher nicht gegeben. Und natürlich haben Politikerinnen und Politiker eine Vorbildfunktion und daran muss man immer wieder appellieren. Das heißt nicht, dass es nicht auch Streit geben kann und auch mal harte Worte fallen. Aber das, was wir jetzt erleben, ist eine ganz traurige Entwicklung.
Armbrüster: Das heißt, Herr Landsberg, wir reden hier ganz konkret – daraus müssen wir ja kein Geheimnis machen – über Verbalattacken der AfD?
Landsberg: Auch darüber. Ja, natürlich! Klar.
"Mit Änderungen im Strafgesetzbuch darauf reagieren"
Armbrüster: Was würden Sie jetzt sagen? Was muss passieren, um den politischen Alltag, die Berufe dieser Ratsvertreter, dieser Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, um diese Menschen in ihrem Alltag zu schützen?
Landsberg: Zunächst einmal muss man das öffentlich machen. Dann muss die Politik handeln. Das tut sie ja. Deswegen gibt es diese Tagung des Bundeskriminalamts. Ich finde das super, dass die Politik das aufgreift. Auch das Kabinett hat ja erste Maßnahmen angekündigt. Das heißt, das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz wird verschärft, dass die Provider verpflichtet sind, wer hat das wann wo wie gepostet. Oder auch, dass man das Strafrecht verschärft. Wir sind für die Einführung eines Paragrafen des sogenannten Politiker-Stalking. Und ganz wichtig: Das alles nützt nur was, wenn Polizei, Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaften das auch verfolgen.
Ich will mal ein Beispiel bringen. Wenn Sie sich heute ins Auto setzen und fahren von München nach Berlin und nehmen es mit der Geschwindigkeit nicht so ganz genau, dann können Sie aber sicher sein, dass Sie geblitzt werden, dass das vollstreckt wird, und das ist auch richtig. Wie ist es, wenn Sie in der gleichen Zeit sich ins Netz begeben, pöbeln, beleidigen, bedrohen? Was passiert dann? Und die Leute müssen wissen, das hat Konsequenzen, und über diese Konsequenzen muss auch öffentlich berichtet werden, wenn Leute verurteilt werden. Das findet statt, hat aber nicht den öffentlichen Echoraum, wie ich ihn mir wünschen würde. Man muss mit konsequenter Verfolgung, mit Aufklärung und gegebenenfalls auch Änderungen im Strafgesetzbuch darauf reagieren, wobei jeder wissen muss, das ist ein Prozess, der wird lange dauern, aber wir müssen jetzt damit anfangen, und ich bin hoffnungsvoll, dass auch diese Tagung da ein erstes Signal sein wird.
"Verfolgen, ermitteln, anklagen und verurteilen"
Armbrüster: Herr Landsberg, das Problem mit diesem Vergleich bei der Geschwindigkeitsüberschreitung ist ja: Die Geschwindigkeit, die kann man genau messen und auch sagen, hier ist die Grenze erreicht. Die Grenzen dagegen in der politischen Debatte, die verschwimmen ja häufig. Das ist eine Grauzone. Für den einen ist etwas eine Beleidigung, was für den anderen möglicherweise noch Teil des Diskurses ist. Ich will mal so fragen: Müssen sich möglicherweise Politiker, die heute in diesen Beruf einsteigen, nicht darauf vorbereiten, dass sie in anderen Zeiten leben, dass der Ton manchmal etwas rauer ist und dass sie sich dafür ein härteres Fell zulegen müssen?
Landsberg: Eindeutig! Da haben Sie völlig recht. Aber das tun Politiker auch. Aber es gibt Grenzen. Ich rede jetzt nicht von den normalen hitzigen Gefechten, wo vielleicht auch mal eine Beleidigung stattfindet. Aber wenn ihnen jemand schreibt, wir wissen, wo du wohnst, wir begleiten deine Kinder zur Schule, dir sollte die Rübe abgehackt werden oder Ähnliches, oder du gehörst vor den Volksgerichtshof, dann ist da jede Grenze überschritten. Und wenn wir uns schon mal auf diese Fälle konzentrieren, sie verfolgen, ermitteln, anklagen und verurteilen, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter.
Armbrüster: Bekommen solche Frauen und Männer, die solche Bedrohungen bekommen, wo es ja tatsächlich um ganz konkrete Androhungen geht, bekommen die denn eigentlich Schutz von der Polizei?
Landsberg: Ja, es gibt – das muss man auch mal anerkennen – inzwischen in fast allen Bundesländern (das erste Land war Rheinland-Pfalz) Beratungen, zentrale Anlaufstellen, wo auch analysiert wird, ist das jetzt eine wirkliche Gefahr, oder ist das vielleicht nur verbal. Da findet schon eine Zuwendung auch zu unseren Kommunalpolitikern statt, und das ist auch gut so. Auch das Bundeskriminalamt hat eine Zentralstelle jetzt eingerichtet, denn häufig sind es – das kann man jedenfalls vermuten – die gleichen Leute. Und wenn man diese Netzwerke dann aufdeckt – das ist sicherlich auch eine Aufgabe des Verfassungsschutzes -, dann kann man da auch mit dem Strafrecht entsprechende Konsequenzen einleiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.