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"Hauptsache praktisch"

Der SPD-Politiker Henning Scherf hat die öffentlichkeitswirksame Form des G8-Gipfels in Heiligendamm infrage gestellt. Als Beispiel für eine Alternative empfahl er die EU-Gipfel, die inzwischen nur noch in Brüssel in einer Arbeitsatmosphäre stattfänden. Wenn es angesichts der Sicherheitsvorkehrungen nicht anders möglich sei, seien auch Tagungen auf abgelegen Inseln oder Schiffen denkbar.

Moderation: Jochen Spengler | 04.06.2007
    Jochen Spengler: Zunächst wird uns der G8-Gipfel beschäftigen. Ohne die Gewalttaten der Autonomen schön zu reden, wollen wir fragen, wie sich der ganze Aufwand, die Kosten, die Pracht, die Protzerei, das Spektakel, die Sicherheitsvorkehrungen, die verletzten Polizisten eigentlich rechtfertigen lassen. Zwei Begründungen für so ein aufwendiges Ereignis wären ja denkbar: entweder dem Publikum, dem Volk etwas vergnüglich Unterhaltsames, etwas Volksfestartiges zu bieten, vergleichbar mit der Fußball-Weltmeisterschaft. Davon kann man aber in Heiligendamm nicht sprechen. Eine andere Begründung wäre, dass nur unter den ganz besonderen Umständen eines solchen Gipfels Politiker wichtige, ja einzigartige Beschlüsse treffen können. Auch daran mag man zweifeln.

    Am Telefon ist der langjährige Bremer Bürgermeister und SPD-Politiker Henning Scherf. Einen schönen guten Morgen, Herr Scherf.

    Henning Scherf: Guten Morgen,

    Spengler: Herr Scherf, fangen wir mit dem Unangenehmen an. Wenn Sie solche Jagdszenen wie vorgestern sehen, was geht in Ihnen dann vor?

    Scherf: Ich habe das früher auch mal erlebt, als wir hier in Bremen die Unruhen hatten mit der Vereidigung von Bundeswehrsoldaten. Da haben wir auch eine ähnliche entsetzliche Gewaltveranstaltung erlebt auf beiden Seiten, und das hat mich tief beeindruckt und eigentlich mein Leben lang begleitet.

    Spengler: Glauben Sie, dass man den Autonomen mit einem Konzept wie Deeskalation kommen kann?

    Scherf: Ja. Die haben ja auch Erfahrung. Es gibt in Berlin Erfahrungen. Es gibt in Berlin Erfahrungen mit Autonomen. Die haben das ja geschafft, diese 1.-Mai-Krawalle, die sich über Jahre hinzogen, runterzubringen. Es gibt in Hamburg Erfahrungen in der Hafenstraße, wo über Jahre wirklich ein ganzes Viertel in Aufruhr gebracht worden ist und deeskaliert wurde. Es gibt in Göttingen solche Erfahrungen. Es gibt schon langjährige Erfahrungen, wie man mit diesen autonomen jungen Leuten deeskalierend umgeht. Die sind offenbar da in Heiligendamm nicht bedacht worden.

    Spengler: Sie haben sich immer um einen engen Kontakt zum Bürger bemüht und gelten als volksnah, Herr Scherf. Wenn eine ganze Region in den Ausnahmezustand versetzt wird, wenn Bürger, die dort leben, enorme Erschwernisse in Kauf nehmen müssen, wenn die vom Volk Gewählten es sich in einer Luxusfestung verstecken und Polizisten zum Schutz der Festung vor Chaoten verheizt werden, ist das alles einer Demokratie, einer Volksherrschaft würdig?

    Scherf: Das ist eine komplizierte Frage. Man muss einer Regierung erlauben, und die muss es möglich machen, dass sie internationale Gäste geschützt im Land einlädt und mit ihnen berät. Das ist richtig. Das darf man nicht einfach zur Disposition stellen. Natürlich stellt sich aber irgendwann mal die Verhältnismäßigkeitsfrage. Ist das der richtige Platz und das der richtige Aufwand, um so eine international dringend benötigte Kommunikation ermöglichen zu können? Da muss man bei dieser Veranstaltung in Heiligendamm wirklich viele, viele Fragen stellen. Das hätte man auch anders machen können.

    Spengler: Das heißt also, halten wir noch mal fest, es ist wichtig, dass die Männer, nicht nur die Männer, sondern auch Frauen, die Wichtigen der Welt miteinander über die Probleme der Welt reden?

    Scherf: Aber hallo, hallo! Es wäre ja schrecklich, wenn wir das aufgeben würden, wenn wir keine Möglichkeit mehr hätten, miteinander zu reden, geschützt miteinander zu reden Dann können wir ja eigentlich aufgeben. Das muss, muss, muss möglich sein. Überall auf der Welt muss das möglich sein und erst recht bei uns. Aber man muss sich dann bei dem Wie solcher Veranstaltungen immer wieder überlegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Das ist ja ein Verfassungsgrundsatz, und den muss man bei jedem öffentlichen Handeln immer bedenken: Ist das der richtige Ort, der richtige Aufwand? Geht es nicht auch anders? Da darf man, denke ich, in Heiligendamm wirklich kritisch nachfragen.

    Spengler: Was halten Sie denn von dem Vorschlag des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger, der vorgeschlagen hat, trefft euch doch weit weg im stillen Ozean auf einer abgelegenen Insel oder gleich auf einem Schiff, ohne Presse, ohne das ganze Drum und Dran? Helmut Schmidt hat das sozusagen ins Leben gerufen, und der hat das im Prinzip auch so gesagt.

    Scherf: Der hat das ja auch selber mal gemacht. Die haben mal in Guadeloupe, das hieß, glaube ich, nicht G8, sondern G7. Da waren die Russen noch nicht dabei. Das war wie ein Ferienbesuch. Da gab es ein paar Ortspolizisten und das hat niemanden gestört. Das ist möglich. Man kann Plätze finden, an denen man sehr entspannt sich treffen kann und sehr entspannt sich austauschen kann. Es muss nicht immer solch eine gigantische Aufwandsveranstaltung sein mit so vielen wirklich verletzten Leuten. Das muss man sich mal überlegen. Da werden Leute kommandiert, die sollen etwas Friedliches machen und landen anschließend im Krankenhaus. Das ist sehr bitter.

    Spengler: Nur für die Sicherheit dieses Treffens werden schon 100 Millionen Euro ausgegeben. Gestern haben wir im Deutschlandfunk den Bundesaußenminister gefragt, ob es denn nicht anders gehe, ob dieser Aufwand zu rechtfertigen sei, also auch das, worüber wir jetzt sprechen. Lassen Sie uns kurz mal hereinhören, was Frank Walter Steinmeier geantwortet hat.

    "Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber. und wenn es eine andere Alternative gäbe. glauben Sie mir, würde ich und würden andere sicherlich zu einer Alternative greifen, die diesen Vorrat an Sicherheit nicht braucht. Denn was natürlich in der öffentlichen Diskussion verloren geht, dass wir Konferenzen, Zusammenkünfte wie diese brauchen."

    So weit Frank Walter Steinmeier. (Text/ MP3-Audio)

    Wir kennen das doch eigentlich schon seit Jahren, Herr Scherf, dass die Politik, die gerade gemacht wird, uns immer als alternativlos angeboten wird. Ist das wirklich so?

    Scherf: Es ist ja nicht die Politik, sondern dieses ist ja eine Veranstaltungsnotwendigkeit. Das ist zunächst einmal nicht inhaltlich Politik, sondern das wird erst, wenn dort wirklich solche Konstellationen zu Stande kommen wie jetzt, ein Eigenproblem. Dann wird also nicht der Inhalt einer solchen Veranstaltung das Wichtigste, sondern dann wird die Art und Weise so einer Veranstaltung plötzlich das Wichtige und wird natürlich ganz, ganz verdreht. Das muss anders herum sein. Das, was verhandelt wird, ist im Zentrum. Das muss vorangebracht werden. Das muss geklärt werden schrittweise. Der Aufwand ist aber eigentlich nur Mittel zum Zweck, der darf nicht wichtiger als der Zweck sein.

    Spengler: Wie hoch sind denn Ihre Erwartungen an den Inhalt, an die Ergebnisse von Heiligendamm?

    Scherf: Ich hoffe einfach, dass sie da miteinander Zeit haben und sich miteinander austauschen können. Ich finde, so lange man redet, ist es sehr viel besser, als wenn man nur übereinander in Abwesenheit redet und öffentlich spekuliert. Das ist nicht so gut. Zusammenzusitzen, sich Zeit zu nehmen und wirklich zentrale Fragen zu benennen und beredbar zu machen, das ist schon ein Riesenfortschritt, selbst wenn dann die Ergebnisse, die man vorzeigt als Konsens, sehr gewöhnungsbedürftig sein sollten. Aber die Tatsache allein, dass man sich immer wieder zusammensetzt und sagt, wir wollen einen Beweis dafür liefern, einen Beleg dafür liefern, dass das geht, das ist ganz wichtig. Das darf man nicht einfach jetzt aus Frust über den Polizeieinsatz und die Verletzten, die da bisher passiert sind, wegtun, im Gegenteil.

    Spengler: Teilen Sie denn die Analyse, dass die Versprechen, die bislang auf den Gipfeltreffen der Mächtigen gegeben wurden, meist das Papier nicht Wert waren, auf dem sie standen?

    Scherf: Das finde ich zu schnell, zu oberflächlich. Es ist eine neue Qualität von globaler Politik, dass die zentralen Personen der großen Industrienationen sich regelmäßig treffen. Das ist wichtig, und das ist ein Hoffnungsplatz neben vielen anderen und den darf man nicht einfach runterhängen und sagen alles Quatschbude. Das ist genauso wie die Kritik an der Demokratie. Es gibt so viele Gefrustete über parlamentarische Debatten, die sagen, was machen die für einen Aufwand und was machen die Europäer für einen Aufwand mit ihrem Parlament und zu sagen haben sie nur ganz wenig? Es ist entscheidend wichtig, dass wir Schritte in diese Richtung machen und dass wir uns vernetzen und dass wir uns global erleben, dass wir nicht immer sagen die Probleme da irgendwo hinten, die interessieren uns nicht. Nein! Die Welt ist ganz eng zusammengerutscht und wir müssen lernen, immer wieder neu lernen, dass wir die Probleme der anderen zu unseren eigenen Problemen machen. Darum ist das insgesamt der richtige Weg, auch wenn man ungeduldig sein kann und sagen kann, dabei musste eigentlich mehr rauskommen.

    Spengler: Und auch, wenn man am Aufwand zweifeln kann und weil es alles so teuer ist und wir den Aufwand ja schon erwähnt haben, sieht sich die Politik oftmals gezwungen, so zu tun, als habe sich das auch gelohnt, also als habe man zum Beispiel dann in Heiligendamm wirklich Wichtiges auf den Weg gebracht. Das heißt, man setzt immer mehr auf Inszenierung von Wirklichkeit, auf Symbolpolitik statt auf reale Politik, oder?

    Scherf: Das "immer mehr" stimmt nicht. Das ist immer bei öffentlichem Handeln so, dass das, was man wirklich bewegen kann, und das, was man den Leuten vermitteln kann, eine komplizierte Beziehung zueinander hat. Das ist immer so.

    Spengler: Immer?

    Scherf: Das ist jetzt nicht nur, sondern immer so. Das ist besonders bei demokratisch legitimierten Regierungen wichtig, dass sie plausibel machen können, dass die Anstrengung in die richtige Richtung geht. Sie können doch nicht sagen es hat alles keinen Sinn mehr, wir können aufhören, es ist Quatsch, was wir hier machen. Sie müssen, auch wenn es mühselig ist, auch wenn es Anstrengungen macht und wenn es eigentlich Kopfschmerzen macht und Schlaflosigkeit produziert, sie müssen, müssen, diese Perspektive positiv legitimieren dadurch, dass sie auch wenn es frustrierend ist immer wieder neu sagen, wir müssen weiter machen, wir müssen an diesem Stück dicken Brett, das hat Max Weber ja richtig beschrieben. Politik ist eine Sache vom Bohren an ganz dicken Brettern. Da kann man nicht einfach sagen, heute ist es mal schlecht gewesen. Man muss Geduld haben und Energie haben.

    Spengler: Es gibt keinen Weg zurück, weg von diesen riesigen Medien-Events?

    Scherf: Man muss sie anders inszenieren. Man muss sie anders organisieren. Die Medien und die Inszenierung ist das Problem, aber nicht das inhaltliche Beraten. Man muss andere Formen finden, in denen man zusammenkommt, so wie der EU-Gipfel inzwischen nur noch in Brüssel tagt mit sehr viel weniger Aufwand, als sie das früher machten. Da war das genau wie jetzt der G8-Gipfel ein Wanderzirkus. Die inszenierten jedes Mal ganz große aufwendige Veranstaltungen. Inzwischen ist das zu einer Routineveranstaltung geworden. Das ist richtig so. Da ist der Aufwand wirklich einigermaßen angemessen zu dem, was dabei bearbeitet wird. So etwas wünsche ich auch den G8-Freunden.

    Spengler: Also doch auf die Insel zurück?

    Scherf: Meinetwegen Insel und meinetwegen auch ein großes Schiff. Hauptsache, es funktioniert. Hauptsache, es ist praktisch. Hauptsache, es ist förderlich für das Arbeiten.

    Spengler: Das war der langjährige Bremer Bürgermeister und SPD-Politiker Henning Scherf. Herr Scherf, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Scherf: Bitte sehr.