Holocaust-Gedenktag
Heinz Kerz - Erinnerungen an einen Schwarzen Fußballer

Rund 2.000 Menschen afrikanischer Herkunft wurden von den Nazis in den Konzentrationslagern ermordet. Andere wurden verfolgt, gedemütigt und zwangssterilisiert: Heinz Kerz ist einer von ihnen. Er überlebte das nationalsozialistische Terrorregime.

Von Ronny Blaschke |
Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt den Fußball-Trainer Heinz Kerz (ganz links) in den Fünfzigerjahren auf einem Mannschaftsfoto mit jugendlichen Fußballern.
Heinz Kerz (links) spielte schon als Jugendlicher gerne Fußball. Er trug den Spitznamen "schwarzer Bomber". Später trainierte er auch Jugend-Mannschaften. (Stadtarchiv Nieder-Olm)
Nieder-Olm ist eine Gemeinde mit rund 10.000 Einwohnern in der Nähe von Mainz. Im Alten Rathaus hat die ehemalige Stadtarchivarin Anuschka Weisener historische Fotos ausgebreitet. Eines der Bilder stammt aus den frühen 1950er-Jahren. Darauf zu sehen sind jugendliche Fußballer. Neben ihnen steht ihr Trainer: Heinz Kerz, geboren 1920. Damals, nach dem Krieg, ist Kerz einer von wenigen Schwarzen Männern in der Region.
 „Das Spannende finde ich an seiner Biografie, die Rückkehr nach der Inhaftierung im KZ nach Nieder-Olm“, sagt Anuschka Weisener. „Sein Leben sollte ja eigentlich vernichtet werden. Er kommt aber augenscheinlich ohne Groll zurück und lebt ein sehr ausgefülltes, glückliches Leben, ohne die Menschen das spüren zu lassen. Denn diejenigen, die ihn damals vertrieben haben, die lebten noch hier.“

Fußball als Schutz gegen Rassismus

Ein Schwarzer Fußballtrainer, der von den Nazis verfolgt wurde? Darüber ist in der Geschichtsschreibung bislang wenig bekannt. Aber der Reihe nach: Nach dem Ersten Weltkrieg besetzen die Siegermächte große Teile des Rheinlandes. Unter ihnen sind hunderte französische Soldaten, die aus afrikanischen Kolonien stammen. Im Deutschen Reich empören sich Politiker gegen diese, wie sie es rassistisch nennen, „Schwarze Schmach“.
So erzählt es Markwart Herzog. Der Direktor der Schwabenakademie im bayerischen Irsee erforscht seit vielen Jahren auch historische Themen im Fußball: „Man hat propagandistisch verbreitet, dass die Schwarzen Soldaten extrem getrieben werden von Sexualbedürfnissen, dass sie ihre Sexualtriebe nicht wie der deutsche Mann im Griff haben. Und deshalb eine Gefahr für die deutsche Frau darstellen.“ Deutsche Frauen, die Beziehungen mit französischen Soldaten eingehen, werden angefeindet. Ihre nicht-weißen Kinder wachsen mit Rassismus auf, werden als „Rheinland-Bastarde“ geschmäht. Auch Heinz Kerz in Nieder-Olm macht solche Erfahrungen. Doch im Fußball erspielt sich der Stürmer einen guten Ruf. Sein Spitzname: Der „Schwarze Bomber“.

Als Trainer wollte Heinz Kerz wieder dazugehören

Nach der Machtübernahme der Nazis wird Heinz Kerz aus dem Fußballverein ausgeschlossen. Mit 18 Jahren wird er in ein Krankenhaus nach Darmstadt gebracht und gegen seinen Willen sterilisiert. Mehr als 400 Schwarze Menschen müssen diesen Eingriff im Deutschen Reich über sich ergehen lassen. Damit sie sich „nicht vermehren können“. Später wird Heinz Kerz ohne Anklage verhaftet und im KZ Dachau interniert, erinnert Markwart Herzog, der im Landesarchiv in Speyer auf Akten über Kerz gestoßen ist: „Er hat im KZ Dachau zwei Jahre lang gelitten und ist dann auf einen der Todesmärsche von Dachau nach Tölz geschickt worden. Er musste bei kalten Temperaturen, bei Regen und Schnee im Freien übernachten. Und er ist dadurch in seiner Gesundheit stark geschädigt worden.“
Rund 2.000 Menschen afrikanischer Herkunft werden in den Konzentrationslagern ermordet. Heinz Kerz überlebt und kehrt in seine Heimatstadt Nieder-Olm zurück. Er engagiert sich als Fußballtrainer, bringt Kindern das Schwimmen bei und sitzt im Gemeinderat. Im Ort tuschelt man über seine kinderlose Ehe, doch öffentlich scheint Heinz Kerz nicht über die Zwangssterilisierung sprechen zu wollen. Markwart Herzog: „Ein Ortshistoriker hat mir Fotos gegeben, auf denen man Heinz Kerz mit einem ehemaligen SA-Mann in den frühen Fünfzigerjahren beim Schunkeln und beim Tanzen beim Karneval auf der Straße sieht. Was in ihm vorgegangen ist: Er wollte offensichtlich wieder dazugehören zu der Gemeinde, zu der er so lange schon gehört hat.“
Die Archivarin Anuschka Weisener sitzt an einem Tisch, auf dem historische Fotos und Dokumente über Heinz Kerz liegen.
Als Archivarin hat sich Anuschka Weisener in Nieder-Olm u.a. mit der Geschichte von Heinz Kerz befasst. (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)

Eine Sporthalle erinnert an Heinz Kerz

Ein anderes Foto zeigt Heinz Kerz 1980. Er ist 60 Jahre alt und wird vom Bürgermeister in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet. Seit der KZ-Haft leidet Kerz unter Herzproblemen, doch auf dem Bild wirkt er zufrieden, präsentiert stolz seine Ehrenurkunde. Ein halbes Jahr später stirbt Kerz an einem Herzinfarkt, erzählt die Stadtarchivarin Anuschka Weisener. Doch es vergehen mehr als 20 Jahre, bis sich die Einwohner wieder an den langjährigen Fußballtrainer erinnern: „Also im Jahr 2005 hat die Stadt hier eine neue Sporthalle gebaut und hat sich dazu entschlossen, diese Halle dem Heinz Kerz zu widmen und sie nach ihm zu benennen.“
Anuschka Weisener setzt sich dafür ein, dass Vereine und Schulen in der Region die Geschichte von Heinz Kerz aufgreifen. In Albstadt zum Beispiel, südlich von Stuttgart gelegen, wertet die Geschichtslehrerin Larissa Freudenberger mit ihren Schülern auch Quellen über Kerz aus. Sie sagt: „Da habe ich schon gemerkt, wenn die Schüler Quellen entweder aus dem lokalen Bereich, also aus den umliegenden Dörfern haben, oder eben einzelne Personen, dass sie sich dann das besser vorstellen können. Und sich eben besser auch in die Person hineinversetzen können. Gerade, wenn es vielleicht ein Fußballer ist.“
Über den Alltag Schwarzer Menschen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus ist wenig bekannt. Lange wurden Quellen nicht archiviert oder absichtlich zerstört. Welche Rolle spielte etwa der Fußball für sie? Biografien wie jene von Heinz Kerz machen deutlich, dass eine umfassende Forschung dringend nötig ist.
In diesem Kontext schreiben wir den Begriff Schwarz groß, weil es sich hier um eine politische Selbstbezeichnung handelt.