Donnerstag, 28. März 2024

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Heinz Strunk: "Es ist immer so schön mit dir"
Selbstentblößung prekärer Männlichkeit

Mann in der Midlife-Crisis trifft anorektische Jungschauspielerin – Heinz Strunk erzählt in seinem tragikomischen Roman „Es ist immer so schön mit dir“ die Geschichte einer toxischen Liebe. Am Ende bleiben Trümmerfelder und Tränenströme - die der Komik nicht entbehren.

Von Julia Schröder | 02.09.2021
Der Schriftsteller Heinz Strunk und das Cover seines Romans „Es ist immer so schön mit dir“
Auch "Es ist immer so schon mit dir" enthält, so Heinz Strunk, Material aus dem Leben des Autors. (Cover Rowohlt Verlag / Autorenportrait (c) Dennis Dirksen)
Ein gemeinsamer Abend mit puzzeln und lesen, das Wochenende Revue passieren lassen, zusammengekuschelt einschlafen – was könnte schöner sein? Praktisch alles. Findet jedenfalls der Held von Heinz Strunks neuem Roman. Mehr Genervtheit als bei diesem Mann von 47 Jahren ist schwerlich vorstellbar. Warum nur?
"Die liebe Julia, denkt er, so ein lieber Mensch. Wenn doch nur alles etwas einfacher wäre. Er etwas einfacher wäre. Dann würden sie zusammen in diesem Zimmer wohnen, bis sie sich in Staub auflösen und zu Boden rieseln. (…) Aber was soll er machen. Leider löst sie keine sexuellen Wünsche mehr bei ihm aus, ihre Gegenwart hat etwas geradezu Sedierendes."
Das eigene Unglück, so viel wird schnell klar, scheint die einzige Leidenschaft, die dieser Mann noch hegt. Andere Sorgen hat er ja auch nicht. Er war mal Musiker, heute kommt er ganz gut über die Runden mit dem eigenen Tonstudio, in dem er Hörbücher für Groß und Klein produziert. Und am Wochenende trifft er eben Julia, die verständnisvolle Mathelehrerin, die ihn nicht mehr interessiert.
Der Autor Heinz Strunk bei der Verleihung des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor  
Heinz Strunk: "Das Teemännchen"
Der Mensch als armes Würstchen, dessen Elend auch noch völlig unbemerkt bleibt: In 50 Kurz- und Kürzest-Geschichten entführt Entertainer und Autor Heinz Strunk den Leser ins Riesenreich asozialer Tristesse, wo die Chancenlosen zuhause sind. Man lacht trotzdem.

Witzwesen vor dem Badezimmerspiegel

Wie die Erfahrung lehrt, könnte das noch Jahre und vielleicht für immer so weitergehen mit der schwelenden Unzufriedenheit, über die nur viel Alkohol hinweghilft, der wiederum weinerliche Selbstkasteiung vor dem Badezimmerspiegel zur Folge hat. Wenn nicht Schlimmeres. Als "Witzwesen" empfindet er sie beide, gerade, wenn sie sich aufraffen, mal wieder auszugehen,
"(…) staunende, ratlose Witzwesen, die durch die aufgeladene Nacht irren. Je aufgeladener die Nacht, desto stärker entladen sich die Witzwesen. Grob, linkisch, fremdelnd wandern die Uncoolen durch die Nacht, um den Auftritt der Coolen umso glänzender erscheinen zu lassen (…)"
Aber dann schlägt der Blitz ein. In Gestalt der offenkundig ziemlich coolen schönen, blonden, superschlanken Jungschauspielerin Vanessa. Ausgerechnet ihm, der sich auf jeder Party fehl am Platz fühlt, wendet sich dieses überirdische Wesen zu. Unser Mann ist hin und weg – und irgendwas stimmt ganz und gar nicht. Eigentlich ist schon am ersten Abend unübersehbar, dass die zwei kein bisschen zusammenpassen und einander kreuzunglücklich machen werden. Dass Vanessa anorektisch und neurotisch ist und niemals die Rechnung bezahlt. Dass er allenthalben Anlass zu Eifersucht sieht und sich selbst immer peinlicher wird. Aber wie es so ist mit der Verliebtheit, der höllischen Himmelsmacht – Widerstand zwecklos.

Tonfall kippt in Halbdistanz

So weit entfaltet Heinz Strunks Roman "Es ist immer so schön mit dir" die nicht sonderlich originelle, aber sehr originell erzählte Geschichte der Amour fou eines Hamburger Freiberuflers in der Midlife-Crisis. Und dann kippt wieder alles: die Geschichte und der Tonfall. Vanessa ist als Jugendliche über Monate schwer missbraucht worden, ausgerechnet von einem evangelischen Diakon. Geschildert wird dies aus der rettenden Halbdistanz auktorialen Erzählens:
"Was mag er fühlen, wenn er ihren dünnen Leib begeifert und begrapscht, wenn er ihr Gesicht abschlabbert wie Wild einen Salzleckstein. So viel Speichel, so viel Abrieb! Spürt er nicht, wie ihr der Ekel aus den Achseln, den Augen, dem Mund fließt, hört er nicht ihr Herz, das wie mit Fäusten gegen die Rippen klopft? Jeder Mensch hat doch ein inneres Koordinatensystem, ein Bewusstsein dafür, was gut ist und was böse."
Kaum überraschend, dass die Sache mit Vanessa auf Trümmerfelder und Tränenströme hinausläuft. Aber was Heinz Strunk bis dahin veranstaltet, wie er Komik und Tragik einander durchdringen lässt, nötigt Bewunderung ab. Der glanzvolle Tiefpunkt ist ein Familienfest mit Vanessas gestörter Verwandtschaft in einem Hildesheimer "Romantik-Hotel", eine seitenlange, grausam komische Folterstrecke aus Gemeinplatzgelaber und Guerillakommunikation vor dem Hintergrund verderbender Lebensmittel, die in einer jägermeisterschwangeren Beziehungskatastrophe endet.

Schneiden, blenden, mischen

Heinz Strunk hat zu Protokoll gegeben, dass auch dieser Roman wieder einiges Material aus seinem Leben enthalte. Das allein ergäbe natürlich noch keine lesenswerte Lektüre, käme nicht die souveräne Beherrschung der literarischen Mittel hinzu. Wie sein Alter ego im Tonstudio die Schnitte setzt, ein- und ausblendet und die Geräusche passend zu den Szenen abmischt, zelebriert der Autor die nur scheinbar ungefilterte, ungeschützte, unkorrekte, tatsächlich genau kalkulierte Selbstentblößung prekärer Männlichkeit. Wirkungserzählen, so könnte man sein Verfahren nennen. Verfügte Heinz Strunk darin nicht über ein beachtliches Können, wären diese Geschichte und ihr Held auch kaum auszuhalten.
Heinz Strunk: "Es ist immer so schön mit dir", Roman
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
286 Seiten, 22 Euro