Sonntag, 28. April 2024

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Henning Wehland vertont seine Autobiografie
"Ich werde nie ein dickes Fell haben, was Kritik angeht"

Mit der Band H-Blockx startete Henning Wehland vor zwanzig Jahren als Musiker. Heute - mit Mitte 40 - wird er mit seinem ersten Soloalbum noch mal zum Newcomer. Im Deutschlandfunk sprach Wehland über den Umgang mit Kritik und den schwierigen Broterwerb als Künstler.

Henning Wehland im Gespräch mit Christoph Reimann | 28.01.2017
    Der Musiker Henning Wehland lehnt an einer Wand
    Mit den H-Blockx hat er Rockmusik gemacht, mit den Söhnen Mannheims macht er deutschen Soul. Jetzt hat der Musiker Henning Wehland sein Solodebüt veröffentlicht (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Christoph Reimann Henning Wehland ist ein Musiker mit vielen Gesichtern - und einer langen Geschichte, das hat man gerade schon gehört. Mit den H-Blockx macht er Rockmusik, mit den Söhnen Mannheims deutschen Soul - und im Moment ist er "Der Letzte an der Bar". So heißt sein Solodebüt, darauf ist auch der Song "Frei" von eben erschienen. Henning Wehland, hallo.
    Henning Wehland: Moin. Danke für die Einladung.
    Reimann: Ja Freiheit, das ist so das zentrale Thema auf diesem Album. "Ich bin frei", singen Sie da im gerade gehörten Song. Aber frei wovon denn?
    Wehland: Das ist eine gute Frage. Also Freiheit ist, glaube ich, ein Thema - ähnlich wie Liebe oder Glaube -, was keiner von uns so wirklich eingrenzen kann, aber irgendwo im Herzen verspürt, wenn man ehrlich ist. Und um diese Form von Ehrlichkeit geht es mir eben auch auf dem Album, darüber zu reden, zu singen, Musik zu machen, die meine Gefühle beschreibt. Und Freiheit bedeutet für mich eigentlich eben, mich frei zu machen von dem, was andere Leute von mir erwarten.
    "Sie zum Beispiel sind Musikpolizei"
    Reimann: Sie wenden sich da ganz konkret an die Musikpolizei in dem Song. Sie singen: "Das ist die Botschaft für den Chef der Musikpolizei. Ich reiß' alle Fenster auf, damit du hörst, was ich schrei'. Rocker, Rapper, Hippie - ich bin frei." Wer ist die Musikpolizei? Sind das Label-Chefs, für die Sie schwer zu vermarkten sind, weil Sie eben so viele unterschiedliche Stile drauf haben?
    Wehland: Nee, nee.
    Reimann: Oder sind es Musikjournalisten?
    Wehland: Sie zum Beispiel sind Musikpolizei. Also Leute, die aufpassen, was eben gut oder schlecht ist. Und es gibt einen anderen Song, wo ich sage: "Ich muss versuchen aus einem Zeigefinger einen Daumen zu machen." Musikpolizisten sind für mich die Leute, die keinen Daumen haben. Also die nicht an sich selbst denken oder selbst Musik machen, sondern immer darüber reden, was falsch oder was schlecht an anderen Leuten ist. Das will ich jetzt auch gar nicht bewerten.
    Es ist ja auch wichtig, dass es Menschen gibt, die auch etwas in einen Gesamtkontext setzen. Also ich wollte Sie jetzt nicht beleidigen. Aber Musikerpolizei oder Musikerpolizisten sind für mich Leute, die von Berufs wegen Musik scheiße finden, die eigentlich geil ist. Also du kannst in einem ausverkauften Club gespielt haben, nachher gehen die raus und sagen: Der Gitarrist hat sich dreimal verspielt und der Sänger hat auch nicht so gerade gesungen. Aber dieses kollektive Gefühl, was entstanden ist, gar nicht so wertzuschätzen, das ist für mich Musikerpolizei.
    Reimann: Und Musikkritik trifft Sie noch so hart? Ich meine, Sie waren so Anfang 20, als es so richtig losging mit den H-Blockx. Jetzt sind Sie Mitte 40. Legt man sich da nicht einfach ein dickes Fell zu?
    Wehland: Nee. Also so ehrlich muss ich schon sein. Ich werde nie ein dickes Fell haben, was Kritik angeht. Musik ist eben etwas, wo ich schon den Anspruch habe, die Menschen möglichst nah an mein Herz oder meine Seele zu lassen. Und darüber Kritik zu erfahren, das ist mitunter sehr, sehr schmerzhaft. Und dafür gibt es keinen Fellanzug.
    "Diese ganzen Idioten, die glauben, Musik zu machen, die nicht kommerziell ist"
    Reimann: Und gerade mit diesem Album, kann ich mir vorstellen, dass Sie besonders dünnhäutig sind, denn es geht ja um Sie. Es ist ja Ihre Biografie, die Sie da vertonen. Und Sie gehen darauf ja auch sehr hart mit sich selbst ins Gericht.
    Auch im Song "Frei", den will ich noch mal anführen. Der handelt ja auch vom Ausverkauf im Musikgeschäft, dass man eben auch mal Dinge macht, Dinge veröffentlicht oder Interviews gibt, auf die man eigentlich gar keine Lust hat. Diese Phase gab es also in Ihrem Leben?
    Wehland: Nee, das würde ich nicht sagen. Also ich rede gerne über meine Musik, aber der Song fängt ja an mit "Ich bin der Ausverkauf im Pop-Olymp". Damit will ich eigentlich sagen: Diese ganzen Idioten, die glauben halt eben, Musik zu machen, die nicht kommerziell sei. Also "Kommerz" bedeutet ja im Prinzip nur, dass du die Musik verkaufen kannst. Und dafür gehe ich auf eine Bühne, damit ich eben Tickets oder Platten verkaufen möchte.
    All diese Vorwürfe, die ich in den letzten 25 Jahren über mich oder meine Musik gehört habe, die findet sich eben in diesen, speziell in diesem Text "Frei" wieder. Ja. Also in den letzten Tagen habe ich viel darüber nachgedacht, ob das eine Form von Verzweiflung sein könnte. Aber eigentlich ist es eine Befreiung, das mal ausgesprochen zu haben. Auch mit diesem Makel, den ich an mir selbst sehe, oder den vielleicht auch andere Leute an mir sehen.
    Reimann: Was sehen Sie denn als Makel an sich?
    Wehland: Dass ich fehlbar bin. Dass ich auch nicht perfekt sein kann.
    Reimann: Als Musiker, als Geschäftsmann …
    Wehland: Als Mensch.
    Reimann: Als Mensch.
    Wehland: Ja. Als Geschäftsmann habe ich mich versucht, aber ich habe gemerkt, dass ich eben kein Geschäftsmann bin. Und das zu akzeptieren war unfassbar schwierig. Und vor allem, zu akzeptieren, dass ich Künstler bin, der unfassbar große Schwierigkeiten haben wird, in Zukunft sein Brot zu verdienen. Das ist Befreiung, aber trotzdem eben auch auf eine gewisse Art und Weise eine Gefangennahme zugleich.
    Reimann: Was macht diesen Broterwerb so schwer? Ihr Alter? Ich meine, Sie sind einfach nicht mehr im Shootingstar-Alter mit Mitte 40. Ist es die Musikindustrie, denn Sie haben die fetten 90er-Jahre erlebt, wo man wirklich mit Platten auch Geld verdienen konnte.
    Wehland: Ja.
    Keine Angst vorm mittellosen Künstlerdasein
    Reimann: Oder ist es die Musik, die vielleicht nicht gefragt ist oder was auch immer. Was meinen Sie, was macht es so schwer?
    Wehland: Ich empfinde das nicht mehr als Schwierigkeit, das ist meine Freiheit, dass ich diese Schwere einfach nicht mehr verspüre. Ich sehe natürlich viele junge Menschen, die mich fragen: Was muss man machen, um im Musikbusiness erfolgreich zu sein? Oder auch viele Eltern, die Antworten für ihre Kinder haben wollen, die gerne Musiker oder Musikerin werden wollen.
    Und die einzige Antwort, die ich habe, ist, die Angst davor zu verlieren, notfalls mittellos oder Taxifahrer oder in einer Kneipe arbeiten zu müssen, um sich den Luxus Musik oder Künstler-Dasein leisten zu können. Und das ist, glaube ich, die große Schwierigkeit. Und mit dieser Angst kann ich gut leben.
    Reimann: Funktioniert es für Sie, nur von der Musik zu leben?
    Wehland: Ja, sehr gut.
    "Ich kann jedem Menschen - und vor allem jungen Menschen - nur raten, Musik zu machen"
    Reimann: Sie haben ja auch als Coach gearbeitet für die Show "The Voice Kids", wo es eben darum geht, junge Leute an das Musikbusiness heranzuführen. Ja, kann man denn nun wirklich diesen Leuten raten, Musik zu machen? Heute noch?
    Wehland: Mhh …
    Reimann: Mit allem, was Sie so erlebt haben?
    Wehland: Also - ja, ich kann jedem Menschen - und vor allem jungen Menschen - nur raten, Musik zu machen. Aber davon zu leben, das ist eine bewusste Entscheidung, die ich eben wirklich mit 17 Jahren getroffen habe. Und mein großer Bruder hat mir da schwer geholfen, der ist sechs, sieben Jahre älter. Und alles, was ich über Musik weiß, habe ich eben von ihm mitgegeben bekommen.
    Reimann: Der ist aber nicht Musiker geworden.
    Wehland: Nee. Der ist alles andere als Musiker geworden. Aber er ist eigentlich der Musiker in unserer Familie und eigentlich lebe ich sein Leben, könnte ich mir vorstellen. Wenn ich den Exkurs ganz kurz mal wagen darf: Er wollte immer Lehrer werden. Weil meine Eltern dann gesagt haben, nee, mach erst mal was Vernünftiges - es gab eine Lehrerschwemme in den 70er-, 80er-Jahren - dann ist er erst BWLer gewesen, hat eine Ausbildung als Kaufmann gemacht, ist dann noch mal ins Studium gegangen, um Rechtsanwalt zu werden.
    Aber er konnte diesen Traum nicht loswerden, Lehrer zu werden, und ist dann mit 43 oder 44 noch mal zur Uni gegangen und ist dann tatsächlich, obwohl er erfolgreicher Anwalt und Kaufmann war, tatsächlich jetzt mittlerweile Lehrer. Und das ist ein riesengroßes Vorbild. Und das ist eben auch das, wofür für mich auf eine gewisse Art und Weise "Der Letzte an der Bar" steht, nämlich Träume nicht aufzugeben und zu wissen, wer ich bin. Und dazu zu stehen. Das ist schwer genug.
    "Ich rede manchmal schneller als ich denken kann"
    Reimann: "Der Letzte an der Bar" - ist eine Metapher, oder sind Bars wirklich so prominent in Ihrem Leben?
    Wehland: Ich rede manchmal schneller als ich denken kann. Und "Der Letzte an der Bar" ist so eine typische Metapher, die ich bewusst benutzt habe, weil die Leute eben wissen, dass ich gerne am Tresen sitze und auch ganz gerne mal was trinke oder esse und genieße. Aber ich wollte bewusst mit dem Umstand spielen, dass die Leute sofort denken: Aha, da geht es um Sauferei.
    Aber "Der Letzte an der Bar" ist für mich eigentlich etwas, was nichts mit Trinken und vor allem nichts mit Kontrollverlust zu tun hat, sondern ganz anders: Der Letzte an der Bar ist jemand, der da ist, trotzdem, obwohl der auf Menschen wartet, auf die sonst keiner wartet. Das ist eine Metapher dafür, auszuharren, an Dinge zu glauben und auf das Gute zu hoffen.
    Reimann: Das sagt Henning Wehland. Das Soloalbum "Der Letzte an der Bar" ist jetzt erschienen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Wehland: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.