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Herman Melville
Großer Literat - zu Lebzeiten gescheitert

Begeisterter Seefahrer, erfolgreicher Reiseautor: Vor 175 Jahren kehrte Herman Melville von einer fast vierjährigen Seereise zurück - und seine Berichte wurden ein Verkaufsschlager. Doch die Kritik an seinem Roman Moby Dick war verheerend. Der Erfolg kam erst lange nach seinem Tod.

Von Christoph Schmitz-Scholemann |
    Der amerikanische Schriftsteller Herman Melville, circa 1944. Fotografie eine Radierungnach einem Porträt von Joseph O. Eaton. WHA UnitedArchives
    Erst 30 Jahre nach seinem Tod begann man die Romane von Herman Melville zu schätzen (WHA UnitedArchives / imago )
    "Mannschaft klar für Hafen abends 11.30 Uhr. Lotse an Bord. Leuchtturm Boston"
    Diese Eintragung im Logbuch des Marineseglers "United States" vom 3. Oktober 1844 markiert nicht nur das Ende einer Schiffsreise, sondern zugleich den Beginn einer großen und schwierigen literarischen Karriere. Einer der Seeleute an Bord des Dreimasters war der damals 25-jährige Herman Melville, dessen Roman "Moby Dick" eng mit seinen Erfahrungen als Seemann verbunden war. Im grauen Januar 1841 hatte Melville in Fairhaven/Massachusetts auf dem Walfangboot "Acushnet" angeheuert. Vielleicht erging es ihm wie seinem Ich-Erzähler Ismael im "Moby Dick".
    "Immer, wenn in meiner Seele trüber niesliger November ist, wird es Zeit für mich, aufs Meer zu kommen."
    Das Boot nahm Kurs auf die Walfanggründe im Südpazifik. Ob der Kapitän, wie der wahnsinnige Captain Ahab in "Moby Dick", eine Golddublone an einen Mast nagelte, um die Gier der Matrosen bei der Jagd auf den Wal anzustacheln, weiß man nicht. Gut möglich aber, dass Melville viel Zeit im Masttopp auf Wache verbrachte.
    "Hundert Fuß über dem stillen Deck stehst du da und schreitest wie auf Stelzen durch die Tiefe. Doch ehrlich gesagt, ich war ein schwacher Wachtposten. Wenn einer das Unendlichkeitsproblem in der Brust trägt wie ich, wie sollte der seinen Verpflichtungen nachkommen."
    Erfolg mit unterhaltsamen Reiseberichten
    Gewiss gab es auf der eineinhalb Jahre dauernden Fahrt zu den Marquesas-Inseln Zeit genug für Südseeträume:
    "Die Marquesas-Inseln! Nackte Houris – kannibalische Bankette – Korallenriffe – tättowirte Häuptlinge … Ich fühlte eine unwiderstehliche Neugier, diese Inseln zu sehen."
    Auf der Insel Nuku-Hiva verdrückte sich Melville von Bord und lebte - halb Gast, halb Gefangener - bei Eingeborenen. Später musste er in Tahiti ins Gefängnis, arbeitete in Honolulu auf einer Kegelbahn und musterte 1843 bei der Marine an, wo damals noch Prügelstrafen für ungehorsame Matrosen verabreicht wurden. Als Melville 1844 in Boston von Bord ging, machte er sich alsbald an die Niederschrift seines ersten Buchs: "Typee", ein unterhaltsamer Reisebericht vom Leben auf den Südseeinseln, wurde ein Verkaufsschlager, trotz einiger Seitenhiebe auf das unchristliche Treiben der christlichen Missionare. Nach einem zweiten Buch derselben populären Machart war Melville auf dem Weg zum Star – aber er wollte mehr sein als ein umjubelter Schreiber von Tatsachenberichten.
    "Ich wollte mein Gefieder zum Flug spreizen und begann mit Leib und Seele, einen Roman zu schreiben."
    Als Romanautor zu Lebzeiten gescheitert
    Sein erster Roman "Mardi" handelte zwar wieder von einer Südseereise – aber auf damals ganz ungewohnte Art. Die Seefahrt wurde zu einem Bild des Lebens, voller philosophischer Spekulationen und tragikomischer Details, üppig wie ein Schlachtengemälde. Das Buch verkaufte sich miserabel. Ob er mit seinen literarischen Ambitionen gescheitert sei, wollte sein allzeit hilfsbereiter Schwiegervater von Melville wissen. Der antwortete:
    "Es ist mein ernstliches Bestreben, gerade solche Bücher zu schreiben, die man als gescheitert betrachtet."
    Daran hielt sich Melville. Die Kritik an dem 1851 erschienen "Moby Dick" war verheerend, die späteren Bücher wurden ignoriert. Als Mittvierziger nahm Melville die Stelle eines Zollinspektors im Hafen von New York an und schrieb nebenher Gedichte. 1891 starb er, 72-jährig, als vergessener Autor. Erst 30 Jahre später begann man, seine Romane in ihrer wilden Schönheit und ihrem abgründigen Humor zu schätzen.
    Glaube an den Menschen
    Die Geschichte vom Captain Ahab und dem weißen Wal lesen wir heute als einen Mythos der Moderne, in dem die Jagd nach Erfolg den Hass der Menschen auf sich selbst, aufeinander und auf die Natur hervortreibt. Und doch glaubte Melville an den Menschen.
    "Menschen mögen im Verbund von Aktiengesellschaften und Nationen abscheulich wirken. Aber der Mensch ist seinem Ideal nach ein so edles und funkelndes Geschöpf, dass all seine Mitmenschen herbeieilen sollten, einen etwaigen Schandfleck mit ihren kostbarsten Gewändern zu bedecken."