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Hermenau: Es ist Zeit für die Vereinfachung des Steuerrechts

Es sei gut, dass der Vorschlag zur Vereinfachung des Steuerrechts nicht aus der Politik, sondern der Wissenschaft komme, meint Antje Hermenau. Sie findet den Vorschlag von Steuerrechtler Paul Kirchhof überlegenswert, zweifelt aber an der Bereitschaft der Politik, darauf einzugehen.

Antje Hermenau im Gespräch mit Friedbert Meurer | 28.06.2011
    Friedbert Meurer: Im Wahlkampf 2005 kam Paul Kirchhof dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gerade recht. Der SPD-Kanzler knöpfte sich Kirchhof vor und schmähte ihn als Professor aus Heidelberg. Jetzt hat sich Paul Kirchhof mit seinem zentralen Anliegen zurückgemeldet. Er hat einen Entwurf für eine radikale Steuerreform vorgelegt. Deutschlandfunk-Moderator Peter Kapern sprach heute Morgen mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Kirchhof.

    O-Ton Paul Kirchhof: Wir haben eine Unübersichtlichkeit, dass die Unternehmen nicht mehr planen können, verlässlich, wir haben eine ständige Änderung der Gesetzgebung, dass die Autorität des Gesetzes sehr geschwächt wird, und deswegen hilft nur eine fundamentale Erneuerung, nicht eine Reparatur im Detail.
    Wir können die Skepsis überwinden, wenn wir bewusst machen erstens, wir haben nur noch vier Steuern: eine Steuer auf das Einkommen, auf den Umsatz, auf Erbschaft und Schenkung und auf den Verbrauch. Zweitens: Wir haben keine Ausnahmen, Privilegien und Lenkungstatbestände mehr. Ein Beispiel: Der Bürger bezieht sein Einkommen, damit er mit diesem Einkommen tun und lassen kann, was er für richtig hält. Der Steuergesetzgeber traut ihm aber nicht zu, dass er es selber wisse. Und deswegen schafft er Steueranreize, dass er im Schiffbau investiert, in den Filmen investiert, in den Denkmalschutz, in Schrottimmobilien, und dadurch entsteht diese Verkomplizierung. Das Grundprinzip der Besteuerungsgleichheit ist nicht mehr erkennbar, der Bürger ringt mit dem Steuerrecht, um clever zu sein und die Steuern zu vermeiden, statt eine maßvolle Steuerschuld auf alle Steuerschuldner gleichmäßig zu verteilen.

    Meurer: Der Finanzexperte Paul Kirchhof. – Seine Ideen spalten die Politik. Die FDP, Teile der Union, vor allem der Wirtschaftsflügel, können sich mit den Ideen anfreunden, die SPD lehnt das Modell vehement ab. Was sagen die Grünen? – Am Telefon begrüße ich Antje Hermenau, sie ist die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Sachsen. Guten Tag, Frau Hermenau!

    Antje Hermenau: Guten Tag. Ich grüße Sie!

    Meurer: Wie finden Sie die Ideen von Paul Kirchhof?

    Hermenau: Na ja, jedes Detail konnte man natürlich noch nicht prüfen, sondern man kennt jetzt erst mal nur so grobe Vorstellungen, die medial geäußert worden sind. Ich glaube, dass einige der Gedanken sehr bedenkenswert sind. Ich finde es zum Beispiel richtig, mal zu formulieren, dass Steuerflucht ein asoziales Verhalten darstellt. Ich finde es auch richtig, darüber zu sprechen, dass es transparenter wäre, Direktsubventionen vorzunehmen, anstatt durch steuerliche indirekte Subventionen zu lenken. Das ist interessant! Ich glaube, es wird riesige Diskussionen geben beim Thema Ersatz der Gewerbesteuer durch einen eigenen Hebesatz bei der Einkommenssteuer, weil das zu größeren – wie sagt man immer? – Disparitäten, also Unterschieden zwischen strukturstarken und strukturschwachen Gebieten führt. Aber das sind spannende Punkte. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, über die drastische Vereinfachung vom Steuerrecht in Deutschland zu sprechen.

    Meurer: Wäre das wirklich gerechter?

    Hermenau: Das muss man im Detail prüfen. Also wenn ich mir angucke, dass er den Spitzensteuersatz, der bei 42 Prozent liegt (wenn man die Reichensteuer noch mit draufnimmt, bei 45 Prozent), kappen will mit 25 Prozent, dann wird das eine Reihe von Fragen aufwerfen. Selbst das bayerische Finanzministerium sagt, das wird nicht aufkommensneutral abgehen. Die öffentlichen Haushalte vertragen aber keine problematischen Mindereinnahmen oder Mehrbelastungen. Das ist, glaube ich, ungeklärt. Ich habe gehört, er habe eine Art Stresstest schon gemacht, indem er mit vielen Leuten aus der Praxis das durchdiskutiert hat, aber das muss natürlich dann im Grunde detailliert geprüft werden.

    Meurer: Diese "Flat Tax", dieser einheitliche Steuersatz von 25 Prozent – man könnte ja dann auch sagen 35 Prozent, oder 28 Prozent, damit der Staat auf seine Steuereinnahmen kommt -, ist dieser einheitliche Steuersatz für Mittelverdienende, Besserverdienende, ist das nicht ungerecht?

    Hermenau: Das kommt darauf an, wie es ausgestaltet wird. Wenn sie dafür alle Steuersubventionen im Bereich von steuerlicher Absetzbarkeit killen, dann kommt es ja zu einer direkt höheren Steuer. Wir haben ja das Problem, dass viele Leute, die auch betuchter sind, ihre Steuern runterrechnen können aufgrund der vielen Abschreibungsmöglichkeiten. Und wenn es gelingt, das alles zuzumachen – und das ist die Voraussetzung und das kommt einer Revolution in diesem Land gleich -, wenn es gelingt, das alles zuzumachen, dann könnte als direkte Steuer mehr von den betuchteren Leuten kommen als jetzt, aber das muss man wirklich überprüfen.

    Meurer: Was geschieht denn mit den vielen Steuern und Steuerförderungen für Umweltzwecke, angefangen mit der Ökosteuer?

    Hermenau: Wir sind ja selber zum Teil auch Fans des Steuerns durch Steuern. Deswegen wird das auch zu diskutieren sein. Soweit ich das verstanden habe, will er aber die Ökosteuer nicht abschaffen, sondern er will sie einfach mit bei den Verbrauchssteuern unterbringen, und er will ja insgesamt die Steuerartenzahl reduzieren und er möchte sie vor allen Dingen alle gleichbehandeln. Bündnis 90/Die Grünen hat seit Jahren gefordert, alle Einkommensarten gleichzubehandeln. Wie es dann bei den Verbrauchssteuern wird, muss man auch wieder im Detail prüfen, aber wir haben ja eine Ökosteuer mit vielen Ausnahmen, zum Beispiel für die Braunkohle, und wenn die wegfielen und die Braunkohle ihren echten Preis bezahlen müsste, dann wäre das auch eine interessante Entwicklung für Grüne.

    Meurer: Der Fortschritt in der deutschen Steuerpolitik scheint ja eine Schnecke zu sein, zu beobachten jetzt wieder in der aktuellen Diskussion über Steuersenkungen. Sie haben vor ganz kurzer Zeit einen Vorschlag gemacht, nämlich Frauen sollen weniger Steuern bezahlen als Männer. Werden kreative Vorschläge sehr schnell in die Tonne geklopft?

    Hermenau: Na ja, ich glaube, das war ja der Ausfluss dessen, dass wir so viele Steuerprivilegien haben, dass man dann sagt, da geht es aber dann wieder ungerecht zu. Ich glaube, wenn es eine politische Übereinkunft geben kann, die eine große Mehrheit der deutschen Politik dann miteinander trifft, dass man von den ganzen steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten runter kommt, dann kann man sich auch neu verständigen. Aber die Frage ist, ist die Politik überhaupt dazu bereit. Insofern ist es gut, dass der Vorschlag nicht von einer Partei kommt, sondern aus der Wissenschaft, auch wenn man Herrn Kirchhof immer eine bestimmte Nähe zu bestimmten Parteien unterstellt. Ich gehe erst mal davon aus, dass man einen solchen Vorschlag aus der Wissenschaft vorurteilsfrei diskutieren und bewerten muss, und wie dann die Bewertung ausfällt, das werden dann die Parteien vornehmen.

    Meurer: Antje Hermenau, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen in Dresden, im sächsischen Landtag. Schönen Dank fürs Interview im Deutschlandfunk. Auf Wiederhören!

    Hermenau: Auf Wiederhören.

    Interview: Staatsrechtler Kirchhof schlägt "fundamentale Erneuerung" des Steuerrechts vor