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Hessischer Rundfunk
Umstrukturierung als Mentalitätswandel

Serien für die Mediathek, Podcasts oder Videoshows im Netz - einst nur auf Radio und Fernsehen ausgerichtet, investieren die öffentlich-rechtlichen Sender zunehmend im Digitalen. Damit der Umbruch klappt, versuchen sich die Sender zu reformieren. Keine einfache Aufgabe, wie das Beispiel Hessischer Rundfunk zeigt.

Von Daniel Bouhs | 06.04.2020
Auf einem Tisch liegt ein Mikrofon, auf dem das Logo des Hessischen Rundfunks prangt.
Der Umbau des Hessischen Rundfunks steht exemplarisch für die Reformen der ARD-Anstalten (imago images / Alfred Harder)
Intendant Manfred Krupp sagt das ganz klar: Wenn die ARD, wenn sein Hessischer Rundfunk (hr) immer mehr Neues im Digitalen anbieten soll, dann gehe das nur noch, indem anderes wegfalle. Auch, wenn der Rundfunkbeitrag im nächsten Jahr steigen sollte. Die Parole: loslassen.

"Wir werden bestimmte tradierte Produkte, an die sich viele Menschen gewöhnt haben, die aber nach und nach immer weniger Erfolg haben, einstellen müssen, um neue Dinge auf neuen Plattformen zu machen."
Der hr hat von seinen vielen Quiz-Shows im Fernsehen einige gestrichen. Das Geld floss bereits in Serien für die Mediathek, etwa eine Doku-Reihe über den Frankfurter Flughafen. Auch über den Sport sendet der hr weniger im Fernsehen. Stattdessen testete er – bevor der Spielbetrieb eingestellt wurde - Podcasts und Videoshows im Netz.
"hr hat Zeichen der Zeit erkannt"
Vor allem aber baut der hr auch seine Struktur um. Redaktionen, die einst parallel mehr oder minder dasselbe für Radio, Fernsehen und Online produziert haben, werden "Units", also Einheiten, die alle Ausspielwege bedienen. Nach dem Sport folgte "Hesseninformation".
Medienjournalistin Ellen Nebel vom Frankfurter Fachdienst "epd Medien" lebt im Sendegebiet. Der hr ist die ARD-Anstalt vor ihrer Haustür. Nebel sagt: Das Angebot wandele sich tatsächlich.

"Wenn ich mir hier so die Internetangebote der Regionalzeitungen anschauen, dann bin ich froh, dass der hr die Zeichen der Zeit echt erkannt hat und sich bemüht, online zügig gut recherchierte regionale Nachrichten zur Verfügung zu stellen – gerade jetzt aktuell in der Coronakrise nehme ich das auch wieder ganz stark wahr, dass ich da beim hr in den Onlineangeboten, also konkret auf hessenschau.de, wirklich gut informiert werde darüber, wie hier die Situation auch hier vor Ort in Hessen denn aussieht."
Umbau der hr-Kultur- zur Klassikwelle
Gespannt wartet sie darauf, was die geplante nächste "Unit" für die Kulturberichterstattung bringt. Als Intendant Krupp bekanntgab, bei der Kulturwelle hr2 Ressourcen abzuziehen, um Kultur stärker ins Netz zu bringen, schrie die Kulturszene auf, vor allem im Feuilleton der FAZ.
Eine blaue hr-Fahne weht vor dem Unternehmenssitz des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main.
Widerstand gegen Umbau der hr-Kultur- zur Klassikwelle
Die Proteste gegen die Reform des bisherigen Kulturradios hr2 reißen nicht ab. Der Hessische Rundfunk will ab April 2020 aus hr2-kultur einen reinen Klassikkanal machen.
Kritikerin Nebel nimmt indes wahr: Die Kulturwelle wird nicht gänzlich ausgedünnt. "Es ist ja so, dass das Flaggschiff 'Der Tag' jetzt auf jeden Fall bei hr2-Kultur bleiben soll. Klassik soll jetzt nur noch das Tagesprogramm bestimmen. Am Abend soll es dann mehr musikalische Vielfalt geben. Herr Krupp hat auch schon betont, dass Moderation und Gespräche gestärkt werden sollen."
Eigentlich wollte der hr sein neues Kulturprogramm im Frühjahr vorstellen. Inzwischen stockt diese Reform aber: Wegen des Virus seien Konferenzen dazu schwieriger, sagt ein Sprecher des Senders. Ein verbindlicher Termin für die Präsentation stehe noch nicht fest.
Tatsächlich verliert hr2 immer stärker an Bedeutung. Bei der Anfang April veröffentlichten Umfrage "MA Audio" sackte die sogenannte Tagesreichweite um 13.000 auf nur noch 74.000 Hörerinnen und Hörer ab – während andere Wellen des hr zulegen konnten. Aus der Intendanz heißt es: Diese Entwicklung sei eine Bestätigung für den Plan, die Kulturberichterstattung im Haus grundsätzlich anders aufzustellen.
Intendant will "Mentalitätswandel"
Der hr versucht jedenfalls, mit einem kompletten Umbau seiner Struktur möglichst viele Synergien zu schöpfen und flexibler zu werden. Dafür schrumpft auch die Zahl der Direktionen. Diese Entwicklung zieht sich durch die ARD. Alle neun Landesrundfunkanstalten hoffen auch, dass ihr Zukunftsprojekt abfärbt: das junge Angebot Funk, das keinen eigenen Sender betreibt, sondern Dutzende Formate in sozialen Netzwerken.
"Die haben eine klar definierte Zielgruppe und die haben sehr, sehr klare Kriterien, was Erfolg haben soll und was Erfolg bedeutet", sagt hr-Intendant Krupp. Funk experimentiere vor allem immer wieder mit seinen Formaten – praktisch am lebenden Herzen. Genauso so müssten nun auch traditionelle Sender arbeiten.
"Wir werden jetzt nicht hunderte von Produkten auf den Markt bringen, aber: Wir müssen neue Dinge ausprobieren und wenn sie nicht funktionieren, auch wieder einstellen. Das ist ein Mentalitätswandel."
Reccourcen können schneller verlagert werden
Während der Corona-Krise baut der hr ein von ihm zugeliefertes Funk-Format aus: In "Bubbles" erzählen derzeit jeden Tag YouTuber oder junge Corona-Patienten, wie sie mit der aktuellen Lage umgehen, wie sich ihr Leben verändert hat und was sie tun, um andere zu schützen – die Sorge um die eigenen Eltern spielt eine Rolle und das Entlarven von Verschwörungstheorien.
Ressourcen bei großen Lagen rasch auch in solche vermeintlich nebensächlichen Projekte zu verlagern ist Teil dieser neuen Zeit. Der hr macht durchaus vor, wie das geht.