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"Hier ist millionenfach gegen deutsches Strafrecht verstoßen worden"

Die US-Spionage sei der größte Angriff auf deutsche Bürgerrechte in der Geschichte der Nachrichtendienste "und die Bundesregierung schweigt dazu", sagt Jürgen Trittin. Der Grünen-Politiker fordert Aufklärung. Fehler im Umgang mit den USA während der rot-grünen Regierungszeit schließt er aus.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen", heißt es im Volksmund. Allerdings ist fraglich, ob das auch für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gilt, wenn er aus den USA zurückkommt. Morgen reist er nach Washington, um Aufklärung zu verlangen über das US-Spionagesystem, mit dem der Geheimdienst NSA Deutschland und Europa überzogen hat, wenn denn die Schilderungen des abtrünnigen NSA-Spions Edward Snowden zutreffen. Offen ist, ob Friedrichs Gesprächspartner ihm wirklich einen tiefen Blick in ihre Karten gewähren, und ebenso offen ist, ob Friedrich anschließend öffentlich darüber Auskunft geben kann. – Bei uns am Telefon ist nun Jürgen Trittin, der Spitzenkandidat der Grünen. Guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Trittin, die Antworten auf welche Fragen soll der Innenminister Ihrer Meinung nach unbedingt aus den USA mitbringen?

    Trittin: Nun, erstens hat er den Versuch ernsthaft zu machen, die Wahrheit herauszufinden. Es geht hier nicht um eine Bagatelle. Hier ist millionenfach gegen deutsches Strafrecht verstoßen worden. Diese Form der Protokollierung von Verbindungen, wenn sie zutreffen, sind in Deutschland strafbar. Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland ist strafbar. Insofern sollte Herr Friedrich dort nicht als Bittsteller auftreten, sondern als jemand, der dabei ist, Rechtsverstöße (und zwar strafrechtlich bedrohte und bewährte Rechtsverstöße) gegen deutsche Bürger und deutsche Unternehmen zu verfolgen. Er ist ja sonst auch ein Mensch, der sich an die Verteidigung von Recht und Gesetz gerne halten möchte.

    Kapern: Wie groß sind Ihre Zweifel daran, dass die Berichte von Edward Snowden zutreffen?

    Trittin: Bisher hat es nichts gegeben, was das widerlegt hat. Es deutet darauf hin. Dazu zählen dann eben auch nicht nur übrigens die Praktiken der Amerikaner, sondern auch das vollständige Absaugen des Datenverkehrs über den Atlantik durch den britischen Nachrichtendienst. Auch dieses wäre eigentlich eine Reaktion wert, nämlich der Frage nachzugehen, ob innerhalb der Europäischen Union für alle Mitgliedsstaaten beispielsweise die europäischen Datenschutzbestimmungen gelten. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass das Recht des Binnenmarktes umfassend alle Mitglieder der Europäischen Union bindet.

    Kapern: Lässt die Reaktion der Bundesregierung bisher Ihrer Meinung nach zu wünschen übrig?

    Trittin: Wenn man Frau Merkel, Herrn Friedrich und Herrn Westerwelle anschaut, dann ist man an jene sprichwörtlichen drei Affen erinnert: nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Das ist die Reaktion darauf gewesen, auf den wahrscheinlich größten Angriff auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Deutschen. Das was Not täte, wäre, jetzt sich klar dafür einzusetzen, dass das Abkommen über die Übermittlung von Fluggastdaten, dass das Abkommen über die Übermittlung von Bankdaten mit den USA gekündigt würde, dass wir endlich in Europa zu einer neuen Datenschutzrichtlinie kommen und dass völlig klar ist, dass es kein Freihandelsabkommen geben kann, wobei dieses Datenschutzrecht dann nicht auch von allen Beteiligten dieser Freihandelszone entsprechend respektiert und gewahrt wird.

    Kapern: Nun ist es ja so, Herr Trittin, dass die deutschen Geheimdienste durchaus von der Arbeit der US-Kollegen profitieren. Immer wieder werden da wertvolle Sicherheitshinweise geliefert. Vernachlässigen Sie nicht diesen Aspekt der transatlantischen Sicherheitskooperation?

    Trittin: Es ist sicherlich richtig und vernünftig, dass auch Geheimdienste von militärischen Verbündeten miteinander kooperieren. Das kann aber nur geschehen auf der Basis von Recht und Gesetz der einzelnen Staaten. Und das deutsche Recht und das europäische Recht verbieten eine Komplett- und Totalerfassung der Bürgerinnen und Bürger. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es in den USA wirklich anders ist, aber wenn ich die Verfassung der Vereinigten Staaten lese, dann würde ich sagen, die sind da eigentlich von den europäischen und deutschen Standards so weit auch nicht entfernt. Deswegen kann es eine Kooperation zwischen Nachrichtendiensten nur auf der Basis von Recht und Gesetz und nicht auf der Basis von Illegalität geben. So klar ist das geregelt und so klar ist das auch zu praktizieren.

    Kapern: Herr Trittin, viele Menschen hier im Lande haben ja den Eindruck, da sei etwas bei der Geheimdienstarbeit möglicherweise außer Kontrolle geraten, und Dick Marty hat gestern hier in dieser Sendung erläutert, wo er den Ausgangspunkt für diese Fehlentwicklung sieht. Dick Marty, das wissen Sie, das war der Sonderermittler des Europarats, als es um die Aufklärung unter anderem der CIA-Geheimgefängnisse hier in Europa ging. Wir können uns mal einen kurzen Auszug aus dem gestrigen Gespräch anhören:

    O-Ton Dick Marty: "Ganz am Anfang von Oktober im Jahr 2001 war eine normale Sitzung der NATO in Brüssel und in dieser Sitzung haben die Amerikaner sich auf Artikel fünf des NATO-Vertrages gestützt. Diese Bestimmung sagt: Wenn ein Mitglied der Allianz militärisch angegriffen ist, müssen die anderen Mitglieder Hilfe leisten. Und dann, nach der ordentlichen Sitzung, ist eine Geheimsitzung einberufen worden und dort hat man entschieden: Erstens, alle Operationen liegen bei der CIA. Die Mitgliedsstaaten der NATO, aber auch die, die Kandidaten zur NATO waren, verpflichten sich, eine totale Immunität dieser Agenten zu gewähren. Dritte Entscheidung: die ganze Operation wird auf die höchste Stufe des Geheimnisses gesetzt. Das bedeutet: Das, was in Brüssel damals entschieden wurde, war nur einzelnen Mitgliedern der europäischen Regierungen bekannt. Normalerweise waren der Premierminister beziehungsweise der Präsident, der Innenminister und der Verteidigungsminister und der politische Verantwortliche der Geheimdienste natürlich im Bilde. Ich glaube, man hat den Schlüssel des Hauses an die CIA und andere Dienste von den Vereinigten Staaten gegeben und man weiß heute nicht mehr, was die ganz genau mit diesem Schlüssel gemacht haben."

    Kapern: Der frühere Sonderermittler des Europarats, Dick Marty, gestern hier im Deutschlandfunk. – Herr Trittin, damals, im Oktober 2001, da regierte in Deutschland Rot-Grün, als dieser, wie Dick Marty es gewissermaßen ausdrückte, Persilschein für die US-Geheimdienste ausgestellt worden ist. Ist es Zeit für eine rot-grüne Vergangenheitsbewältigung in dieser Sache?

    Trittin: Nein. Artikel fünf des NATO-Vertrages beinhaltet die Unterstützung von Verbündeten, beinhaltet aber nicht die Unterstützung von illegalen Operationen, und Sie wissen, dass mehrere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, nicht nur Deutschland, sondern auch Italien beispielsweise, die Aktionen, die der CIA hier in diesem Zusammenhang unternommen hat, nicht nur nicht geduldet, sondern strafrechtlich verfolgt hat. Sie wissen aber auch, dass die Amerikaner bisher davon abgesehen haben, die Anklagen und die Haftbefehle wegen Entführung, wegen Beihilfe zur Folter so umzusetzen, dass die dafür Verantwortlichen und von einem Gericht Beschuldigten nach Italien ausgeliefert worden sind. Insofern mag da das eine oder andere richtig dran sein, aber der Artikel fünf des NATO-Vertrages rechtfertigt keinen Rechtsbruch, und an dieser Stelle kann ich nur sagen, diese Form von Rechtsbruch ist nicht mit Zustimmung irgendeiner Regierung, nach meiner Kenntnis jedenfalls, erteilt worden.

    Kapern: Das heißt, was genau ist denn Ihrer Kenntnis nach damals am Kabinettstisch besprochen worden über die Befugnisse, Sonderbefugnisse für US-Geheimdienste?

    Trittin: Wenn ich Ihnen dazu was sagen könnte, dürfte ich es nicht. Aber nichtsdestotrotz ist völlig klar, es ist nicht erlaubt, in Deutschland illegal vorzugehen. Auch Artikel fünf rechtfertigt nicht Eingriffe in dieser Form, und deswegen ist diese Form illegal und die muss verfolgt werden, und genau das ist das, was die Bundesregierung bisher versäumt. Sie macht die Augen zu, sie schweigt und sie will sich zu diesen Fragen nicht äußern, und insofern sehe ich in der Reise von Herrn Friedrich eigentlich eher ein touristisches Unternehmensprogramm, aber nicht den ernsten Willen zur Aufklärung.

    Kapern: Gleichwohl, Herr Trittin, steht ja die Frage im Raum, ob Rot-Grün nicht möglicherweise doch die Büchse der Pandora auch in der Geheimdienstkooperation geöffnet hat. Wir erinnern uns: Damals hat sich Rot-Grün gegen eine Teilnahme am Irak-Krieg gesperrt. Der Innenminister, Otto Schily, hat aber seine enge Kooperation mit dem US-Geheimdienstminister geradezu zelebriert.

    Trittin: Nichtsdestotrotz bleibt übrig, dass Deutschland im Sicherheitsrat eine Mehrheit herbeigeführt hat gegen eine Beteiligung an diesem Irak-Krieg. Durch diese Entscheidung war völlig klargestellt, dass es sich bei dieser Operation um ein völkerrechtlich nicht gedecktes Vorgehen der Amerikaner handelt, und das war eine sehr klare Haltung. Diese klare Haltung, die Rot-Grün damals gegenüber den USA eingenommen hat, die würde ich von der jetzigen Bundesregierung mir auch wünschen, denn es geht ja nicht um eine Bagatelle. Es geht darum, dass in Deutschland die Rechte deutscher Staatsbürger, die Rechte deutscher Unternehmen in einer Weise verletzt worden sind, wie es sie wahrscheinlich in der Geschichte der Nachrichtendienste bisher nicht gegeben hat. Das war der größte Spionageangriff auf den deutschen Bürger und die Bundesregierung schweigt dazu.

    Kapern: Noch mal zurück zum Jahr 2001. Sind Sie sicher, dass die rot-grüne Haltung, die rot-grüne Ablehnung sich auch auf die Arbeit der US-Geheimdienste hier in Europa bezog?

    Trittin: Ich bin sicher, dass das, was wir damals praktiziert haben, nämlich die Ablehnung der Beteiligung an diesem Krieg, die durchgehende Linie dieser Bundesregierung war, und übrigens unter anderem deswegen sind wir gewählt worden.

    Kapern: Also Schwarz-Gelb muss jetzt nicht die Suppe auslöffeln, die Rot-Grün damals eingebrockt hat?

    Trittin: Schwarz-Gelb sollte sich so verhalten, wie Rot-Grün sich verhalten hat, als es um den Schutz deutscher Interessen ging, und dieser Schutz deutscher Interessen gebietet zum jetzigen Zeitpunkt, dass man nicht nur Klartext redet, dass Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, dass schließlich die Datenabkommen mit den USA gekündigt werden und dass es kein Freihandelsabkommen geben darf, was nicht sicherstellt, dass der Datenschutz in dieser Freihandelszone, und das heißt übrigens auch die Betriebsgeheimnisse in dieser Freihandelszone, dann auch geschützt werden.

    Kapern: Der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Trittin, danke für das Gespräch, einen schönen Tag.

    Trittin: Danke Ihnen!


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