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Hinduismus
Sadhus: Indiens heilige Männer

Sie sind Anhänger des Gottes Shiva und haben sich von allem Weltlichen losgesagt: die Sadhus. Die Wandermönche leben in Armut, verzichten auf Mission und essen, was sie am Wegesrand finden. Ihr Ziel: göttliche Erlösung und bloß keine Wiedergeburt.

Von Horst Blümel | 08.04.2019
Ankunft von Naga Sadhus beim Kumbh Mela- Fest in Allahabad im Februar 2019
Ankunft von Naga Sadhus beim Kumbh Mela- Fest in Allahabad im Februar 2019 (imago stock&people)
Jeden Tag kommen Hunderte Gläubige nach Varanasi, um hier im Ganges ein rituelles Bad zu nehmen und anschließend etwas Wasser des heiligen Flusses mit nach Hause zu nehmen. Unter den Neuankömmlingen in der Pilgerstadt im Norden Indiens sind auch immer wieder einige Sadhus. Manche dieser hinduistischen Wandermönche haben einen wochenlangen Fußmarsch hinter sich. Um dann hier, am Gangesufer oder in der Nähe eines der vielen kleinen Tempel, ihr Lager aufzuschlagen.
Die Anhänger des Gottes Shiva erkennt man an den drei horizontalen Streifen auf ihrer Stirn. Andere Sadhus haben sich von Kopf bis Fuß mit Asche eingerieben und sind, wie es in den Schriften heißt, "mit dem Unendlichen bekleidet" – also nackt. Einige dieser heiligen Männer verharren reglos in kaum nachvollziehbaren Yoga-Positionen auf dem Boden. Und wieder andere Sadhus graben sich am Flussufer in selbst geschaufelte Erdlöcher ein, so dass nur noch ihr Kopf heraus schaut.
Weder Lehre noch Anhänger
Der australische Religionswissenschaftler Prof. John Powers:
"Als Sadhu bezeichnet man in Indien denjenigen, der sich von allem Weltlichen losgesagt hat und sich von den Fesseln der Wiedergeburt zu befreien sucht. Doch einige dieser Asketen sind nichts anderes als gewiefte Bettler. Sie machen sich den Umstand zunutze, dass Hindus, die einen Asketen durch eine Spende unterstützen, religiöses Verdienst erwerben."
Etwa vier bis fünf Millionen Sadhus soll es in Indien heute geben, um die zehn Prozent davon sind angeblich Frauen, Sadhvis genannt. Manchmal werden Sadhus auch als Gurus bezeichnet. Aber im Gegensatz zu einem Guru haben Asketen nicht das Ziel, eine Lehre zu verbreiten und möglichst viele Anhänger um sich zu scharen.
"Asketen haben in Indien eine sehr lange Tradition. Die ersten Sadhus gab es bereits vor über dreitausend Jahren im Land. Schon damals wollten diese Sadhus weder eine Familie gründen noch am gesellschaftlichem Leben teilhaben. Reichtum, Ansehen und materielle Güter waren für sie nicht erstrebenswert. Ihr Ziel war es, göttliche Erlösung zu erlangen."
Sagt der Indologe Prof. Tripathi aus Neu-Delhi.
Unterschiedliche Lebensstile
Der Verzicht auf materiellen Besitz, das Zölibat und die Weltabgewandheit sind unabdingbar für das Dasein eines Sadhus oder einer Sadhvi.
Abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten führen Asketen in Indien ein sehr unterschiedliches Leben. Manche Sadhus leben in Gemeinschaften, wie die Nagas zum Beispiel, andere sind Einsiedler und meditieren abgeschieden in den Bergen des Himalaya. Und wieder andere Asketen wandern von Ort zu Ort.
"Asketen der Jainas führen ein sehr viel schwierigeres Leben als Hindu-Asketen. Jain–Mönche müssen acht Monate des Jahres auf Wanderschaft sein und sie dürfen in dieser Zeit nicht mehr als drei Tage an einem Ort verweilen. Während einige unserer Mönche noch mit einen schlichtem Tuch bekleidet sind, leben die anderen nackt. Unsere Asketen halten sich aber nicht abseits der Gesellschaft auf, sondern sie fördern durch ihre Gegenwart den Zusammenhalt unserer Glaubensgemeinschaft."
Sagt Anil Kumar Jain, Leiter einer Jain-Organisation in Neu-Delhi.
Mit Speeren und Schwertern
Die heiligen Städte am Ganges sind seit jeher Anziehungspunkt für Asketen, zum Beispiel Haridwar. Hier wird alle paar Jahre die Kumbh Mela gefeiert. Sadhus und Millionen Gläubige kommen zu diesem hinduistischen Fest, um zu einem besonders günstigen Zeitpunkt im Fluss ein rituelles Bad zu nehmen. Dieses Untertauchen im Ganges soll die Sünden der Gläubigen fort waschen. Sadhus aller Couleur sind bei der Kumbh Mela anwesend. Unter den heiligen Männern sind auch die Nagas, unbekleidet und bewaffnet.
"Diese kämpferische Gruppe entstand, als unter der Herrschaft der Muslime in Indien Tempel und Götterstatuen der Hindus zerstört wurden. Die Mitglieder der Nagas kamen damals aus allen Schichten der Gesellschaft, sie kämpften mit Speeren und Schwertern gegen die Muslime. Auch heute tragen die Nagas noch die gleichen Waffen wie früher und üben sich im Kampf damit."
So unterschiedlich ein Asketenleben auch sein mag, ob am Ganges oder als Eremit in den eisigen Höhen des Himalaya – alle verfolgen dasselbe Ziel. Professor Tripathi:
"Asketen versuchen durch ihren Lebensstil möglichst wenig Karma, das Resultat vergangener Taten, anzuhäufen und sich letztendlich durch absolut strenge Askese von jeglichem Karma zu befreien. Wenn dies gelingt, sind sie eins mit Gott und befreit von Tod und Wiedergeburt."
Verschiedene Praktiken für ein Ziel
Um dieses Ziel zu erreichen, führen Asketen ganz verschiedene Praktiken durch. Dabei genießt ein Sadhu, der sich selbst körperliche Qualen zufügt, hohes Ansehen unter seinesgleichen.
So verharren manche Asketen jahrelang in derselben Position, einige stehen über Jahre hinweg nur auf einem Bein. Andere sitzen fortwährend in dichtem Dornengestrüpp oder unter einem tropfenden Wassereimer.
Und manche Sadhus haben ein Schweigegelübde abgelegt und reden jahrelang kein einziges Wort. Auch die innere Zwiesprache ist für sie tabu.
"Jeder Sadhu genießt größten Respekt unter den Gläubigen. Niemand fragt nach seiner Herkunft oder Kaste. Schon allein der Anblick eines Asketen erzeugt in jedem Hindu ein Gefühl der Verehrung. Es spielt dabei keine Rolle, welcher Gruppe oder Schule er angehört – alle Asketen erfahren höchste Achtung."
John Powers:
"Sadhus spielen in Indien nach wie vor eine wichtige Rolle. Viele Inder suchen einen Asketen auf, um seinen Segen zu erbitten. Sadhus werden besonders geachtet, weil sie vehement versuchen, das höchste Ziel der Religion zu erreichen. Sie verkörpern das Ideal, welches jeder Hindu zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben anstreben sollte."
Außergewöhnliche Eigenschaften
In den Yoga-Texten werden die übernatürlichen Fähigkeiten der Asketen beschrieben.
In diesen Schriften heißt es, dass jeder, der spirituell schon sehr weit fortgeschritten ist, diese außergewöhnlichen Eigenschaften von selbst erlangt.
Prof. Tripathi:
"In den Texten ist auch zu lesen, dass ein Asket sich nicht von diesen übernatürlichen Fähigkeiten verwirren lassen sollte. Er soll sich nicht damit rühmen, dass er zum Beispiel aus dem Nichts ein Feuer entfachen könne. Dadurch würde er nur von seinem spirituellen Pfad abkommen und sein eigentliches Ziel, die Einheit mit Gott, verfehlen."
Unter den Asketen fallen einige besonders auf. Dazu gehören auch die langhaarigen "Aghoris". Sie stechen durch ihr extremes Verhalten hervor. "Aghoris" halten sich gewöhnlich an Plätzen auf, an denen auf Scheiterhaufen Tote verbrannt werden. Mit der zurück bleibenden Asche reiben die Asketen ihren Körper ein, als Trinkgefäß und Almosenschale benutzen die Aghoris einen menschlichen Schädel.
"Für Aghoris ist keinerlei Nahrung tabu, nichts gilt für sie als unrein. Die Nahrung dient ihnen lediglich zur Erhaltung ihres Körpers. Aghoris verzehren jedes tote Tier und es wird behauptet, dass für sie sogar das Fleisch eines verstorbenen Menschen nicht tabu ist. Viele Praktiken werden von den Aghoris geheimgehalten oder sind kaum bekannt, da sie vollkommen zurückgezogen leben."