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Hip-Hop in Marokko
Mit einem Bein im Knast?

Der marokkanische Rapper Gnawi ist dafür berühmt, Klartext zu rappen. In seinen Texten geht er mit den Zuständen im Königreich hart ins Gericht. Nun ist er zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Rapper in Marokko hinter Gitter kommt. Steckt ein System dahinter?

Von Marc Dugge | 07.12.2019
Der marokkanische Rapper Mouad Belghouat auf einer Pressekonferenz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, Casablanca, 2013
Auch der marokkanische Rapper Mouad Belghouat musste für seine Musik ins Gefängnis (AFP Photos / Fadel Senna)
"Ich will nichts von diesem Land, ich will mich nur trösten. Ich will Gleichheit, etwas zu essen, während die anderen Profit machen. Wir haben die Hoffnung auf den Erfolg verloren - und auch die Stimme, um zu schreien!"
Es sind harte Worte. Hart wie die Welt, aus der er kommt. Der Song "Aacha chaab", "Es lebe das Volk", vom Rapper Gnawi. Mehr als 17 Millionen mal wurde sein Video auf YouTube geklickt. Der Gerichtsprozess dürfte mit dafür gesorgt haben, dass es so viele geworden sind. Denn Gnawi hat von sich reden gemacht – auch außerhalb von Marokko.
Im Song tritt Gnawi zusammen mit zwei weiteren Rappern auf. Sie prangern Ungerechtigkeit an, die schlechten Perspektiven der Jugend - und die Raffgier der Reichen:
"Es ist nicht nötig, nach den Reichtümern zu fragen, von jenem, der das Geld unterschlagen hat. Der Phosphat abbaut und die größten Firmen besitzt, der das ganze Land sein Eigen nennt und immer noch mehr Reichtümer sucht."
Direkte Kritik am König
Das wird in Marokko als direkte Kritik am König gewertet – was in dem Land grundsätzlich unter Strafe steht. Offiziell war es aber nicht dieser Song, der Gnawi ins Gefängnis gebracht hat, sondern ein Video auf Instagram. Dort hatte er die Polizei beleidigt, nachdem er sich in einer Kontrolle von ihr schlecht behandelt gefühlt hatte. Das Video machte in den sozialen Netzwerken die Runde. Gnawi in einem Interview mit der Info-Website "akhbarona":
"Ich habe niemanden beleidigt, ich habe nur kritisiert. Die, die mich so behandelt haben, sollten ins Gefängnis – wenn wir denn in einem Rechtsstaat leben! Tausende werden jeden Tag malträtiert, und niemand spricht darüber. Ich habe wenigstens eine Stimme, die Menschen hören mir zu."
Die Polizei sieht das anders. Sie klagte gegen den Rapper wegen Beamtenbeleidigung – und hat nun Recht bekommen. Gnawi wurde zu einem Jahr Haft und umgerechnet knapp 100 Euro Geldstrafe verurteilt. Für Amine Laqbabi von der Menschenrechtsorganisation AMDH geht es aber in Wirklichkeit um etwas anderes, um die Musik:
"Dieses Urteil ist ein Urteil der Rache und der Ungerechtigkeit! Wir alle wissen, dass der Song 'Es lebe das Volk' der Grund für seine Verhaftung ist. Dafür wurde er verurteilt!"
Ein Angriff auf die Insititutionen des Staates
Zum Gefängnis in Rabat-Salé sind am Tag der Urteilsverkündung einige Dutzend Menschen gekommen, um den Rapper zu unterstützen. Sie rufen "Es lebe das Volk", den Titel seines umstrittenen Songs.
Der marokkanische Minister für Menschenrechte, Mustapha Ramid, ist dagegen kein Fan des Songs. Für ihn ist der Titel "abstoßend", "provokativ" und ein "Angriff auf die Insititutionen des Staates".
Wo hören künstlerische Freiheit und Meinungsfreiheit auf, ab wo verstößt man gegen Gesetze? Darum wird in Marokko gerungen - wieder einmal. Denn es ist nicht das erste Mal, dass ein marokkanischer Rapper ins Gefängnis muss.
"Klab Dawla", "Hunde des Staates", heißt dieser Song des Rappers Mouad Belghouat. Für ihn sind Polizisten diese Hunde Marokkos. Ihnen wirft er Korruption und Machtmissbrauch vor. "Ihr werdet bezahlt, um die Bürger zu schützen", rappt Mouad, "und nicht um Geld für Euren Chef zu kassieren." Ein typischer Track des Musikers, der sich selbst "El Haked" nennt, "der Empörte", der "Wütende".
"Meine Musik nenne ich Rap Prisonnier – Hip-Hop der Gefangenen. Ich betrachte uns alle als Gefangene. Wir sind gefangen in Ideologien, in Konventionen, in Armut. Wir sind nicht frei. All das will ich mit meiner Musik ausdrücken."
Das sagte El Haked vor sieben Jahren – vor seiner Haftstrafe. Auch er wurde kurz darauf wegen Beamtenbeleidung verurteilt. Auch in seinem Fall vermuteten Menschenrechtler einen seiner Songs als wirklichen Grund für die Haft. Heute lebt er in Brüssel – weit weg von Marokko.
Helden der Straße
El Haked oder Gnawi kommen aus den armen Vierteln von Großstädten wie Rabat und Casablanca. Sie geben den Sorgen und Nöten wütender, junger Menschen eine Stimme - und von denen gibt es in Marokko sehr viele.
Die Rapper testen mit ihren Texten Grenzen aus – und gehen teils auch darüber hinaus. Dadurch werden die Rapper zu Meinungsführern, zu Helden der Straße. Schon Kinder tragen T-Shirts mit den Bildern ihrer Idole, die Texte kennen sie oft auswendig.
Längst sind Rap und Hip-Hop Teil der marokkanischen Jugend- und Musikkultur geworden. Die Künstler werden zu großen Festivals eingeladen. Aber die Regierung versucht auch, Grenzen zu ziehen. Der marokkanische Regierungssprecher Hassan Abyaba kürzlich auf einer Pressekonferenz:
"Jedes Lied, egal um was es sich handelt, muss die Rechte der Mitbürger achten. Genauso wie die Grundlagen und die Prinzipien, nach denen die Marokkaner erzogen worden sind."
Die marokkanischen Prinzipien heißen ganz offiziell: Gott, Vaterland und König. Wer diese drei nicht achtet, muss mit Konsequenzen rechnen. Das gilt auch für die sozialen Netzwerke. So wurde gerade ein bekannter YouTuber festgenommen. Er hatte in einem Video seine Landsleute "Esel" und "feige" genannt, weil sie nicht genug gegen die grassierende Korruption aufstünden. Auch den marokkanischen König spart er in seiner Schimpftirade nicht aus. Damit hat er einerseits für viele Klicks gesorgt, sich auf der anderen Seite aber auch heftige Probleme mit der Justiz eingebrockt.