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Historiker: Deutschland kann in Israel wenig bewirken

Die Worte des einstigen DDR-Bürgerrechtlers Joachim Gauck kommen in Israel besser an als die eines "blassen Wessi-Präsidenten", meint der Historiker Moshe Zimmermann. Ob der deutsche Bundespräsident im israelisch-iranischen Konflikt oder in der Palästinenserfrage etwas bewirken kann, bezweifelt Zimmermann allerdings.

Das Gespräch führte Anne Raith |
    Christiane Kaess: Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seiner Reise in Israel mit einer Menge sensiblen Themen zu tun. Eines davon der Konflikt mit dem Iran. Gauck hat deutsche Unterstützung zugesichert, aber vor einer kriegerischen Eskalation gewarnt. Er wolle nicht in Kriegsszenarien denken, sagte Gauck in Jerusalem während seines Staatsbesuchs gestern. Heute setzt Gauck seinen Besuch in Israel fort, geplant ist unter anderem ein Gespräch mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
    Meine Kollegin Anne Raith hat gestern Abend mit Moshe Zimmermann gesprochen. Er ist Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem und war beim Staatsbankett gestern Abend mit Bundespräsident Gauck dabei. In Deutschland wird diesem Besuch viel Aufmerksamkeit geschenkt. Anne Raith hat Moshe Zimmermann zuerst gefragt, welche Erwartungen man denn in Israel hat.

    Moshe Zimmermann: Die Israelis haben keine hohen Erwartungen an einen solchen Besuch, schon deswegen, weil es um Deutschland geht und nicht um die USA. Deutschland kann hier relativ wenig bewirken. Man erwartet, dass dieser Besuch wieder die Freundschaft zwischen Israel und Deutschland bestätigt, und wie es bisher gelaufen ist, ist das eben auch so geschehen.

    Anne Raith: Vielleicht können Sie uns Ihre Eindrücke noch schildern, Sie waren heute Abend ja auch Gast beim Staatsbankett. Wie haben Sie Joachim Gauck erlebt?

    Zimmermann: Also er war so, wie man ihn erwartet hat: Sehr locker, hat eine gute Rede gehalten und hat dazu auch Israel aufgefordert, Initiative zu ergreifen beim Friedensprozess mit den Palästinensern. Ob man richtig zugehört hat, ist eine andere Frage, aber summa summarum war es eine gute Rede, die hier gut angekommen ist wie der gesamte Besuch. Das Thema Iran war selbstverständlich diskutiert, erwähnt sowohl vom israelischen Präsidenten als auch von Präsident Gauck. Das ist für die Israelis sehr wichtig zu erfahren, dass man Iran nicht nur als Gefahr für Israel betrachtet, sondern auch als potenzielle Gefahr für Europa, sogar für Deutschland. Das hat er eben betont und da waren die Zuhörer sowohl im Haus des Präsidenten, als auch diejenigen, die darüber über die Medien erfahren haben, zufrieden.

    Raith: Sie haben es eben angedeutet: Er findet ja auch deutliche Worte, zum Beispiel was den Nahost-Konflikt betrifft. Wird das wahrgenommen?

    Zimmermann: Am Rande wird das wahrgenommen, weil die Leute nicht hellhörig genug verstehen, was von Israel da eigentlich verlangt wird. In Israel versteht man Druck nur, wenn es echter Druck ist mit viel Gewalt. Worte spielen für Israelis nicht die entscheidende Rolle, solange sie nicht mit der Shoa etwas zu tun haben. Aber hoffentlich begreifen die israelischen Politiker langsam, dass Israel etwas mehr unternehmen muss im Friedensprozess als bisher, weil der Friedensprozess ins Stocken geraten ist und am Ende dann statt ein Frieden wieder eine neue Krise kommt, und wer weiß, wie radikal diese Krise sein wird.

    Raith: Ein Politiker, den Joachim Gauck ja noch treffen wird, ist Ministerpräsident Netanjahu. Was glauben Sie, wie werden die beiden sich verstehen, gerade auch mit Blick auf den Nahost-Konflikt, mit Blick auf die Siedlungspolitik?

    Zimmermann: Also ich nehme an, dass Gauck Bescheid weiß, mit wem er es zu tun hat. Netanjahu ist unbelehrbar und Netanjahu wird versuchen, immer wieder zu betonen, wie gefährlich die Lage für Israel ist, also wir sind umkreist von Feinden und am schlimmsten sind die Iraner. Das sind die Mantras, die er immer wieder benutzt. Ich nehme an, dass der deutsche Präsident, auch wenn er Gauck heißt, vorsichtig genug sein wird, um hier nicht schroff eine Antwort zu geben. Man ist sehr vorsichtig mit Israel, wenn es Präsidenten sind oder Ministerpräsidenten oder Politiker aus Deutschland, die sind immer etwas zurückhaltend, wenn sie mit israelischen Politikern konfrontiert sind. In diesem Fall ist es so, wenn es Netanjahu sein wird oder Lieberman, der Außenminister.

    Raith: Glauben Sie, dass Gauck eigene Akzente setzen kann und vielleicht auch wird, gerade mit Blick auf seine eigene Geschichte, auf seine Geschichte als Bürgerrechtler?

    Zimmermann: Also da muss man schon mehr betonen. Der populärste Film in Israel vor zwei, drei Jahren war "Das Leben der Anderen". Das heißt, viele Israelis haben mittlerweile erfahren, was das bedeutet, in der DDR gelebt zu haben. Die Israelis wissen Bescheid, dass Gauck ein ehemaliger DDR-Bürger war, der Widerstand geleistet hat, und seine Worte kommen besser an als die Worte eines blassen Wessi-Präsidenten. Ob er dann etwas richtig bewirken kann, das ist eine offene Frage.

    Raith: Wie schwierig ist denn der Spagat, den er anstrebt? Er plant ja auch, ins Westjordanland zu reisen, Palästinenserpräsident Abbas zu treffen. Wie schwierig ist dieser Spagat, es beiden Seiten doch irgendwie recht machen zu wollen?

    Zimmermann: Das ist heute nicht so schwer, weil es um Worte, um Gerede geht, nicht um konkrete Maßnahmen. Er kann sowohl in Israel als auch bei den Palästinensern von der Zwei-Staaten-Lösung sprechen. Netanjahu wird dagegen nichts sagen. Netanjahu weiß nur Bescheid, dass er nichts unternimmt, um die Zwei-Staaten-Lösung herbeizuführen. Aber es ist immer wieder wichtig zu zeigen, dass man auf der Seite der Palästinenser steht, nicht nur auf der Seite der Israelis, und dass ein Frieden für beide Seiten ein Vorteil ist, nicht nur für die eine Seite.

    Kaess: Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem, im Gespräch mit meiner Kollegin Anne Raith.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.