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Historiker zu Hohenzollern-Debatte
"Sagbarkeits-Regeln gegenüber der Geschichte verändern sich"

Die Hohenzollern forderten schon vor 25 Jahren von der Bundesregierung Schlösser und Kunstwerke zurück. Aber erst seit wenigen Monaten ist dieser Streit zu einer öffentlichen Debatte geworden. Dies sage viel über die großen Unsicherheiten in unserer Gegenwart aus, sagte der Historiker Jörn Leonhard im Dlf.

Jörn Leonhard im Gespräch mit Michael Köhler |
(l-r) Major a.D. von Neufville, Joseph Goebbels und Kronprinz Wilhelm von Preussen beim Polizeisportfest 1933 in Berlin.
Major a.D. von Neufville, Joseph Goebbels und Kronprinz Wilhelm von Preussen (l-r) beim Polizeisportfest 1933 in Berlin. (picture-alliance / dpa)
Michael Köhler: Der Streit um Rückgabe von Kunst und Immobilienbesitz sowie Entschädigungsansprüche der Hohenzollern ist im Sommer des Jahres bekannt geworden. Die Geheimverhandlungen bestehen seit Langem. Neu ist, dass sich das Land Brandenburg äußern soll wie es weiter gerichtlich vorgeht, weil das Verhalten des Bundes davon abhängt, ob eine außergerichtliche Einigung noch gelingt. Neuerlichen Auftrieb hat die Diskussion bekommen als kürzlich der Fernsehsatiriker Jan Böhmermann dem Thema eine ganze Sendung widmete und vier Historiker-Gutachten dazu online stellte.
Wir wollen nun nicht noch einmal über Rechtsansprüche und die Rückgabe von Schloss Cecilienhof sprechen, oder ob da jemand nicht mitbekommen hat, dass wir seit 1918 keine Monarchie mehr sind, sondern seit 1919 eine Demokratie, sondern die Frage stellen, warum wir darüber diskutieren.
Ich habe den Neuzeithistoriker Jörn Leonhard gefragt - er hat ein dickes Buch über den "Überforderten Frieden 198-1923" vorgelegt: Haben sie eine Erklärung, warum wir uns heute, bald 75 Jahre nach Kriegsende mit Entschädigungsansprüchen der Hohenzollern befassen?
Jörn Leonhard: Ich finde das deshalb interessant, und das wäre auch fast mein Ergebnis dieser Debatte, wie sie bis jetzt gelaufen ist,, weil uns das weniger über die Involvierung des Kronprinzen in die Krisenphase der Weimarer Republik erzählt, sondern vielmehr etwas über Erregungszustände und vielleicht auch etwas über Verunsicherungsschwellen unserer eigenen Gesellschaft. Und da wäre mein Ansatz zu sagen, dass im Augenblick vielleicht sehr viel zusammen klommt, was dann auch erklärt, warum solche Debatten plötzlich eine ganz wichtige Funktion übernehmen. Das eine ist sicher, dass wir insgesamt erleben, dass Milieus, Parteien, Parteiensysteme sich verändern, erodieren, und dass damit aber, und da sind wir dann ganz schnell beim Thema, sich die Regeln, nach denen Geschichtspolitik formuliert, vermittelt wird, verändern. Dass sich die, man könnte sagen, Sagbarkeits-Regeln gegenüber der Geschichte verändern."
Sind wir wieder ganz nah dran an Weimarer Verhältnissen?
Leonhard: Das Zweite: Wenn wir über das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Beginn des Nationalsozialismus sprechen, dann sprechen wir in der Gegenwart über die Bedingungen, wann Demokratien warum und wie scheitern. Das ist plötzlich eine Frage, die plötzlich sehr nah in unserer Gegenwart angekommen ist. Von der wir alle glauben, intuitiv, fühlen, vielleicht auch beim Blick auf "Babylon Berlin" im Modus der Selbsterschauderung denken: ‚Da sind wir doch wieder ganz nah dran!‘.
Das Dritte: Wir haben eine intensive Debatte um den Stellenwert der DDR in der deutschen Geschichte, um den Stellenwert von 1989. Frage nach der Anerkennung von Lebensleistung, war die DDR ein Unrechtsstaat – und dagegen steht jetzt eben die Rückgabe-Forderung der Hohenzollern.
Und das Vierte und Letzte, und das ist, glaube ich, ein Thema, das dauernd in all diesem Restitutions- oder Restaurationsdebatten wieder auftaucht, oder mit was wir konfrontiert sind: Diese Berliner Republik, die in irgendeiner Form ihren Ort sucht. Ist das ein postnationaler Nationalstaat? Ist das ein Heimatmuseum? Gibt es eine besondere Verantwortung der Deutschen für Europa? Oder gar für die ganze Welt? Das ist die Suche nach irgendeiner Form der Selbstvergewisserung. Und wenn sie diese je nach Zählung vier oder fünf Faktoren zusammennehmen, dann wird eigentlich das Entscheidende deutlich, nämlich dass diese Debatten in einem größeren Kontext stehen. Und der Kontext geht sehr viel weiter, als die Frage: persönliche Verantwortung eines Kronprinzen am Ende der Weimarer Republik. Das ist für mich das eigentlich Interessante.
Kein Konsens mehr, Institutionen werden fragwürdig
Köhler: Ich höre da raus, wir sprechen in einem Moment, wo wir an hundert Jahre Weimarer Reichsverfassung denken, wo wir an siebzig Jahren Grundgesetz erinnern, wo wir an dreißig Jahre Mauerfall erinnern, wo wir teils antidemokratische Neigungen im eigenen Land, aber auch in Europa haben. Wenn wir über Geschichte reden und streiten und debattieren, dann ist uns eigentlich die Gegenwart fragwürdig geworden?
Leonhard: Ja, in dem Augenblick, in dem wir erleben, dass Erwartungssicherheit verkürzt wird, dass wir das Gefühl haben, es gibt keinen Konsens mehr über bestimmte Dinge. Institutionen werden fragwürdig, oder wir erleben einfach, dass sie ins Rutschen kommen. Dieses Gefühl, dass man auf Eisschollen triebt oder dass man fast wie beim Klimawandel damit konfrontiert ist, dass Geschichte in Bewegung kommt, dann wird der Blick in die Geschichte, aber eben auch die Neigung, Geschichte zu instrumentalisieren, dann nimmt das erheblich zu. Das ist für die Bundesrepublik gar nicht so etwas Neues, das haben wir auch mit der Fischer-Kontroverse in den Sechziger Jahren oder mit dem Historiker-Streit um die Einzigartigkeit des Holocaust erlebt. Ich glaube, was im Augenblick dazukommt ist die Suche nach geschichtspolitischer Identität, Identifizierung, Selbstvergewisserung und da merken wir eben, dass wir sehr selektiv vorgehen, Wir rekonstruieren Schlösser, wir haben, wir haben das Humboldt Forum, in Potsdam die Diskussion um eine Garnisonkirche, aber gleichzeitig hoffen wir, dass wir andere Kontexte, die da mit reingehen, etwa die Frage nach der Rolle der Hohenzollern oder die Frage nach der Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs oder die Frage nach dem Untergang, der Zerstörung der Weimarer Republik – diese Dinge können wir da nicht raushalten. Also wenn wir in den Städten die Vakua schließen architektonisch, dann ist es für mich nicht überraschend, dass wir eben auch andere Debatten führen. Und das passiert im Augenblick ganz exemplarisch.