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Hobbit im Kreuzfeuer

Paläontologie. - Im September 2003 hat eine indonesisch-australische Forschergruppe die fossilen Überreste von zwergenhaft kleinen Menschen gefunden, die noch vor 18.000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores gelebt haben sollen - und es soll sich bei ihnen um eine eigene Menschenart handeln, den Homo floresiensis. Stimmt das, wäre der moderne Mensch Homo sapiens längst nicht so lange die einzige Menschenart auf Erden gewesen, wie gedacht. Aber um die Interpretation dieser Fossilien ist ein Streit entbrannt, der in der neuen "Science" in die nächste Runde geht.

Von Dagmar Röhrlich | 19.05.2006
    Auch Wissenschaftler haben Auseinandersetzungen - und anscheinend streiten sich die Paläoanthropologen besonders gerne. So verwundert es nicht, dass mit der ersten Veröffentlichung über das auf Flores gefundene Fossil namens LB 1 auch eine erbitterte Kontroverse entbrannte. Was genau ist los mit der 18.000 Jahre alten Dame, deren Gehirn nicht größer war als das eines Schimpansen: Vertritt sie wirklich eine neue, kleinwüchsige Menschenart, die noch vor kurzer Zeit mit uns die Erde geteilt hat und die sich aus dem Homo erectus heraus entwickelt hat? So wie es ihre Entdecker behaupten. Das hält Robert Martin vom Field Museum in Chicago für unwahrscheinlich:

    "Ein so kleines Gehirn bekommt man nicht durch den Zwergenwuchs eines Homo erectus. Wenn Säugetiere auf einer Insel leben, nimmt ihre Körpergröße zwar ab, aber das Gehirn schrumpft längst nicht so stark wie der Körper. Man müsste den Homo erectus wirklich winzig machen, um ein so kleines Gehirn zu bekommen."

    Für Robert Martin handelt um das Skelett eines kleinwüchsigen modernen Menschen, eines Homo sapiens also, mit krankhaft verkleinertem Gehirn und nicht um eine neue Menschenart:

    "Das interessante an der Mikrocephalie, also der krankhaften Verkleinerung des Gehirns, ist, dass mehr als 400 Gene bekannt sind, bei denen eine Mutation die Veränderung auslöst. Zählt man alle Formen der angeborenen Mikrocephalie zusammen, kommt ein Fall auf ein paar tausend Individuen. In einer kleinwüchsigen Inselbevölkerung, in der diese Mutation auftritt, könnte sie sich anhäufen, so wie sie auch in manchen Familien gehäuft vorkommt."

    Damit wächst die Chance, dass ein solches Skelett überliefert wird. Nur wenn die Erkrankung milde ausgeprägt ist, werden die Betroffenen erwachsen - und das Fossil von Flores stammt von einer erwachsenen Frau. Martin:

    "Die verkleinerten Gehirne eines Mikrocephalus sehen anders als als die eines normalen Erwachsenen. Wir denken, dass wir die ungewöhnlichen Strukturen, die das Gehirn des Hobbits in der Hirnschale hinterlassen hat, durch diese Erkrankung erklären können."

    So die Argumentation der einen Seite. Dean Falk von der Florida State University, die im vergangenen Jahr den Abguss des Hobbit-Gehirns mit denen eines Schimpansen, eines Homo erectus, eines modernen Menschen und eines im Alter von zehn Jahren verstorbenen Mikrocephalus-Patienten verglichen hat, hält dagegen:

    "Unsere Untersuchungen ergaben, dass das Gehirn von LB1 einmalig ist. Es zeigt extrem ausgeprägte Strukturen, die anders aussehen als beim modernen Menschen, und am wenigsten gleicht das Gehirn von LB1 in Form und Struktur dem des Mikrocephalus."

    Vielmehr zeige es besonders hoch entwickelte Strukturen in Bereichen, die beim modernen Menschen für das höhere Denken zuständig seien, fürs Erkennen und Planen. Dean Falk weist die Argumentation Martins zurück:

    "Er behauptet, für uns sei LB1 die Zwergform eines Homo erectus. Diese Unterstellung ist schlicht falsch. Wir sehen in LB1 keinen Homo-erectus-Pygmäen, sondern eine eigene Art. Des weiteren führt Robert Martin seine Argumentation anhand von vier Schädelzeichnungen, in denen keine Strukturen zu identifizieren sind, es gibt weder Bilder, noch Messungen. Es ist schwierig, wissenschaftlich auf nicht weiter bezeichnete Strichzeichnungen zu antworten."

    Der Schlagabtausch geht bald in die nächste Runde, denn die Gruppe um Dean Falk vergleicht in einer neuen Studie die Schädelabdrücke von modernen Menschen, die an Mikrocephalus erkrankt waren, mit denen von LB1. Falk:

    "Wir sind über unsere Ergebnisse sehr aufgeregt, dürfen aber noch nicht darüber sprechen. Wir freuen uns auf die Fortsetzung der Diskussion, wenn unsere neuen Daten und Messungen publiziert worden sind."