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Hochbegabte Schüler

Auch hochbegabte Schüler brauchen eine spezielle Förderung - sonst langweilen sie sich in der Schule. Wie diese allerdings aussehen kann, war bislang unklar. Jetzt liefert das Projekt "Schulen in Europa fördern Begabung" nach drei Jahren erste Ergebnisse.

Von Lena Fichtner | 04.01.2013
    Im Werkraum des Stuttgarter Karlsgymnasiums herrscht große Aufregung. Gut 20 Kinder, die in knielangen alten Hemden stecken, arbeiten sich durch Stapel von Altpapier.

    "Also wir schöpfen Papier und da müssen wir jetzt erstmal Zeitungen zerreißen'..'und Göttergeschichten hatten wir auch schon einige im Zusammenhang mit Pyramiden..."

    Die Fünftklässler behandeln gerade "Ägypten" und versuchen Schriftrollen herzustellen. Die Geschichtslehrerin erklärt die Bedeutung der Pyramiden, während die Mathematiklehrerin deren Maße und Winkel berechnen lässt. Dass zwei Fachlehrer gemeinsam unterrichten, ist typisch für das Fach "Mensch und Natur". Es wurde speziell für den Hochbegabtenzug entwickelt. Schulleiter Dieter Elsässer erklärt das Ziel:

    "Vernetzung im Kopf des Schülers, von zwei Seiten aus gedacht ein Thema angehen, z. B: eine römische Fußbodenheizung: Ich bin Lateinlehrer, ich könnte viel erzählen über römisches Leben, aber ich bin kein Physiker und kann`s naturwissenschaftlich nicht so nachvollziehen wie ein Physiker."

    Deshalb steht er gemeinsam mit dem Physiklehrer vor der Klasse. Der fächerübergreifende Unterricht gehört zu den sogenannten "Enrichment"-Angeboten, die den Stoff für Hochbegabte erweitern und vertiefen. Ähnlich wichtig ist die Beschleunigung des Lerntempos, die sogenannte "Akzeleration". Ohne sie langweilen sich hochbegabte Schüler im Unterricht. Auch deshalb haben Lena, Veronika und Konstantin ihre Grundschulzeit in schlechter Erinnerung.

    "Ich hab eigentlich nichts mehr gemacht, bin in die Schule gegangen und hab meine Lehrer verbessert. Ich kam mit den anderen nicht klar, weil die gesehen haben, dass ich besser bin."

    "Ich hatte in der Grundschule das Bedürfnis mehr zu machen und kein Lehrer hat mir dabei geholfen!"

    "Die meisten Leute halten einen für `nen Streber oder wollen nichts mit einem zu tun haben, haben alle meine Leistungen abwertend betrachtet, haben gesagt: `Du musst ja eh nichts dafür tun, dann gib nicht so an`, wenn ich ne gute Note hatte..."

    "Die Grundschulzeit war sehr schlimm, weil ich hab immer gute Noten geschrieben und da haben die mich immer geärgert. Die haben wirklich gesagt, ich bin ganz anders als sie. Ich bin ein ganz normaler Mensch!"

    In der Hochbegabtenklasse fühlen sie sich nicht mehr als Außenseiter. Doch diese Rolle kann man auch in gemischten Klassen vermeiden, betont Günther Vormeyer, der im österreichischen Linz für die Hochbegabten zuständig ist. Dort lässt man sie mit normal begabten Schülern gemeinsam lernen. Der Landschulinspektor erklärt den Unterricht:

    "Er sollte weniger frontal ablaufen, er sollte mehr in Richtung Gruppenarbeit, Einzelarbeiten, Projektarbeiten gehen. Dort wo`s tatsächlich stattfindet: sehr gute Erfahrungen! Aber wenn man ganz ehrlich ist, findet` s noch zu wenig statt. Darum geht’s jetzt eher in die Richtung, dass man sagt, wie können wir unser System optimieren, durch entsprechende Fortbildungen, die Lehrerinnen und Lehrer dafür zu sensibilisieren und dorthin zu bringen."

    Trotz der vorhandenen Mängel fiel die Evaluation positiv aus. Der Vergleich zwischen der österreichischen Hochbegabtenförderung (in gemischten Klassen) und der deutschen Förderung in getrennten Zügen brachte ein verblüffendes Ergebnis, sagt Hein Hofmeister vom Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart.

    "Ob man sie trennt oder zusammen unterrichtet, ist keine relevante Größe. Wenn man die Daten entsprechend interpretiert, kann man sagen, dass keine Leistungsunterschiede sichtbar werden. Für uns ist deutlich geworden, dass es auf die Qualität des Unterrichts ankommt, welche Kultur in der Unterrichtssituation geschaffen wird. Kinder wollen sich wohlfühlen, wollen wertgeschätzt und angenommen werden, und wenn es die Lehrkräfte hinbekommen, eine Situation des Vertrauens zu schaffen, und vor allen Dingen bei ihrem Unterricht vom Kinde her zu denken, also die Kinder nicht nur mit Erwartungen zu konfrontieren, dann fühlen sich die Kinder in einer gemeinsamen oder in einer getrennten Klasse gleich wohl."