Mittwoch, 17. April 2024

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Höcke-Äußerungen
"Diese Ausflüge in die Zeit des Dritten Reichs sind absolut kontraproduktiv"

Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke habe mit seiner umstrittenen Äußerung zum Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" nicht das Denkmal selbst als Schande bezeichnen wollen, sagte Uwe Junge von der AfD Rheinland-Pfalz im DLF. Zugleich kritisierte Junge Höckes regelmäßige Wortmeldungen zur NS-Zeit.

Uwe Junge im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.01.2017
    Der Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen AfD, Uwe Junge.
    Der Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen AfD, Uwe Junge. (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Höcke habe das Holocaust-Mahnmal nicht als Schande bezeichnet, sondern als "Denkmal der Schande". Höcke habe sagen wollen, dass das deutsche Volk als einziges die Größe besitze, der eigenen Schande ein Denkmal zu setzen.
    Bei anderen Äußerungen Höckes müsse man ihn fragen, wie er dazu komme. Junge sagte, die deutsche Geschichte dürfe nicht ausschließlich auf die 12 Jahre der Naziherrschaft reduziert werden.
    "Mehr Sorgfalt bei dieser sensiblen Thematik"
    Höcke sage, dass es ihm Leid tue, dass er missverstanden worden sei. Junge räumte aber auch ein, dass er sich wünschen würde, "dass er dieses sensible Thema mit deutlich mehr Sorgfalt behandeln würde". Das Dritte Reich habe "gar keinen Bezug zu unserer Programmatik" und Höcke bringe dadurch die AfD in ein Fahrwasser, in das sie nicht reingehöre.
    "Diese Ausflüge in die Zeit des Dritten Reichs sind absolut kontraproduktiv", sagte Junge, und sie seien ungeeignet für die AfD gerade jetzt im Wahlkampf.
    Die AfD müsse auch mit "Querdenkern" wie Höcke das persönliche Gespräch führen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Mit dem AfD-Vorsitzenden von Rheinland-Pfalz, Uwe Junge. Guten Morgen, Herr Junge!
    Uwe Junge: Schönen guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Ist Björn Höcke dieses Mal zu weit gegangen?
    Junge: Ich habe mir gestern Abend noch mal die Rede angesehen. Ich habe auch mit ihm selber noch mal telefoniert, weil ich mich grundsätzlich nicht über Parteifreunde nur aufgrund von Medienberichten äußere. Was hat er sinngemäß gesagt? Er hat gesagt, dass das deutsche Volk das einzige Volk auf der Welt ist, und jetzt schiebe ich mal ein, das die Größe besitzt, der eigenen Schande ein Denkmal zu setzen.
    Kaess: Das hat er nicht gesagt.
    "Er hat das so nicht gemeint"
    Junge: Das hat er aber so gemeint und das kann man auch so herauslesen. Man kann es natürlich auch anders interpretieren. Ich weiß aber, dass er das so nicht gemeint hat. Das Denkmal selbst war ja auch schon bei seiner Entstehung aufgrund der Monumentalität durchaus umstritten. Und ich denke auch, Frau Kaess, dass wir uns in der objektiven Reflektion der eigenen Geschichte - und das ist das, was er sagt und das sehe ich auch so - nicht ausschließlich auf diese grauenhaften zwölf Jahre der Nazi-Diktatur reduzieren lassen sollten. Die deutsche Geschichte ist doch weit mehr als nur Nazi-Deutschland.
    Kaess: Herr Junge, darüber können wir gleich noch sprechen. Aber ich möchte noch mal zurückkommen auf die Interpretation. Herr Höcke hat ja nicht nur diesen Satz gesagt, sondern er hat auch gesagt, bis jetzt sei der deutsche Gemütszustand der eines brutal besiegten Volkes. Er hat gesagt, anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten weltbewegenden Philosophen und so weiter in Berührung zu bringen, anstatt dessen werde die deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht. Und er hat das Holocaust-Gedenken als lähmend und dämlich bezeichnet und er hat eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad gefordert. Wie kann dieser Satz anders interpretiert werden, so wie es jetzt gerade gesagt haben, das deutsche Volk hätte die Größe, dieses Denkmal zu setzen?
    "Es tut ihm leid, dass er dort missverstanden worden ist"
    Junge: Ich sehe schon, dass er das Denkmal nicht als Schande bezeichnet hat, sondern schon als Denkmal der Schande.
    Kaess: Was ist denn dann mit diesen anderen Äußerungen, die ich Ihnen jetzt gerade noch mal zitiert habe?
    Junge: Da muss man natürlich schon fragen, wie kommt er dazu. Ist das überhaupt mit unserer Programmatik vereinbar.
    Kaess: Wie kommt er denn dazu? Sie haben doch mit ihm gesprochen am Telefon.
    Junge: Ja. Er sagt durchaus, dass er diese Äußerungen so getan hat. Das ist ja auch nachgewiesen und völlig klar. Es tut ihm auch leid, dass er dort missverstanden worden ist. Aber ich muss allerdings auch sagen, dass er in dieser Art ja schon öfters sich geäußert hat.
    "Das hat überhaupt keinen Bezug zu unserer Programmatik"
    Kaess: Und das macht es besser?
    Junge: Nein, das macht es überhaupt nicht besser. Aber ich würde mir wünschen, dass er dieses sensible Thema mit deutlich mehr Sorgfalt behandeln würde, zumal das auch überhaupt keinen Bezug zu unserer Programmatik hat. In dieser einen Aussage pflichte ich Ihnen bei. Insgesamt, was die Tonalität anbelangt und was die Art und Weise der Thematik anbelangt, die er dort immer wieder anspricht, das ist für die AfD nicht gut. Das ist ja auch deutlich geworden durch die anderen Äußerungen von anderen AfD-Politikern. Das sehe ich genauso. Er bringt damit die AfD in ein Fahrwasser, in das wir überhaupt nicht rein gehören, das auch gar nichts mit unserer Programmatik zu tun hat.
    Kaess: Herr Junge, das haben wir jetzt verstanden. Aber damit ist die Frage noch nicht beantwortet: Wie kommt Herr Höcke zu diesen unmissverständlichen Äußerungen, die ich Ihnen jetzt auch noch mal zitiert habe? Vielleicht ist das einfach seine Meinung.
    Junge: Na ja, da müssen Sie ihn schon selber fragen.
    Kaess: Sie haben ja mit ihm gesprochen.
    Junge: Ich bin nicht berufen, seine Meinung …
    "Diese Ausflüge in die Zeit des Dritten Reiches gefallen mir auch nicht"
    Kaess: Aber Sie haben doch mit ihm gesprochen mit dem Ziel herauszufinden, warum er es gesagt hat, haben Sie gerade vorhin gesagt.
    Junge: Ja. Ich sage Ihnen ja auch, was das Ergebnis dieses Gespräches war, dass ihm das leidtut, dass er noch mal klar wiederholt hat, was er in seiner persönlichen Erklärung geschrieben hat. Das ist das, was wir im Ergebnis, was ich von ihm erfahren habe. Ich meine, ich kenne Björn Höcke nun nicht so gut, aber wir treffen uns immer wieder mal und ich schätze ihn grundsätzlich. Aber diese Ausflüge in die Zeit des Dritten Reiches sind absolut kontraproduktiv und gefallen mir auch nicht, lösen ja in der gesamten AfD auch Widerspruch aus und sind ungeeignet für die AfD, gerade jetzt im Wahlkampf.
    Kaess: Herr Junge, ist das Taktik der AfD, zunächst übers Ziel hinauszuschießen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dann zurückzurudern?
    Junge: Ich weiß es nicht, ob das für Einzelne vielleicht eine Möglichkeit ist, auf sich selbst aufmerksam zu machen. Das kann durchaus sein. Ich halte das für nicht klug, weil ich glaube, dass wir mit unserer Programmatik, wenn wir sie sachlich, hart in der Sache und moderat im Ton vortragen, den Erfolg erzielen wollen, den wir anstreben.
    Kaess: Es steht ja im Strategiepapier der AfD, das haben wir auch gerade gehört in dem Beitrag, die AfD müsse bewusst und gezielt politisch inkorrekt sein, um Wähler anzusprechen. Demnach hat Höcke alles richtig gemacht.
    "Im Wettstreit mit anderen muss man plakativ sein"
    Junge: Ja, das ist Ihre Interpretation.
    Kaess: Nein, das ist meine Frage an Sie. Hat er alles richtig gemacht?
    Junge: Nein. Gemeint ist, dass man durchaus auch mal im Wahlkampf und wenn man im Wettstreit mit anderen ist plakativ sein muss. Wenn dann der eine oder andere über das Ziel hinausschießt, dann kritisiere ich das auch, aber das mache ich im persönlichen Gespräch.
    Kaess: Jetzt sagt die AfD-Bundessprecherin Frauke Petry, Höcke sei eine Belastung für die Partei. Der nordrhein-westfälische AfD-Vorsitzende Marcus Pretzell wirft Höcke vor, er treibe die bürgerlichen Wähler zurück in das Lager der Nichtwähler. Auf der anderen Seite sagt der AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen, Anlass zu Tadel gebe diese Rede, aber nicht zu weitergehenden Maßnahmen. Ist sich die Parteispitze überhaupt nicht einig über den Umgang mit Björn Höcke?
    Junge: Ja, Björn Höcke ist natürlich eine starke Persönlichkeit, die auch innerhalb der AfD sehr stark polarisiert. Das ist völlig klar und da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich sage mal, wenn Jörg Meuthen sagt, das ist zu tadeln, aber keine weiteren Maßnahmen - ich meine, Parteiausschluss-Verfahren, das wissen Sie auch, sind sehr, sehr schwierig. Björn Höcke hat auch einen gewissen Rückhalt innerhalb der Partei.
    "Das hat mit AfD nichts zu tun"
    Kaess: Also er wird akzeptiert?
    Junge: Ich denke, wir müssen auch mit Querdenkern, auch wenn einem das nicht gefällt, leben. Das müssen andere Parteien auch. Man muss das persönliche Gespräch führen. Das ist nicht immer einfach und für eine junge Partei, die noch in einem Findungsprozess ist. Für mich war der eigentlich zum Teil jetzt abgeschlossen durch unser Grundsatzprogramm. Und das muss auch ganz klar sein, wer sich außerhalb dieses Grundsatzprogramms oder nicht uneingeschränkt auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland befindet und wer damit ein Problem hat, der muss raus. Das ist völlig klar.
    Kaess: Sie haben andere Parteien angesprochen, die von der AfD als etablierte Parteien bezeichneten. Die grenzen sich klar von solchen Leuten ab.
    Junge: Ja, das tun wir ja auch. Wir haben ja ein sehr restriktives Aufnahmeverfahren. Wir haben eine sehr lange Unbedenklichkeitsliste, wo all diese Gruppierungen, die in irgendeiner Form sich rechtsradikal oder auch linksradikal äußern, ausgeschlossen werden. Wir führen mit jedem Mitglied vorher ein Gespräch, um auszuschließen, dass wir Leute, die nicht auf der Parteilinie sind und auf dem Boden unseres Grundsatzprogramms sich befinden, von vornherein ausschließen können. Aber da rutscht immer mal auch jemand durch, wo sie plötzlich eine Äußerung hören, wo sie sagen, mein Gott, wo hat der die denn her, das hat mit AfD nichts zu tun.
    "Wir können sehr wohl auch stolz sein auf die deutsche Geschichte"
    Kaess: Sie haben Herrn Höcke als Querdenker bezeichnet. SPD-Fraktionschef Oppermann bezeichnet ihn als Nazi.
    Junge: Na ja. Ich bezeichne Herrn Oppermann ja auch nicht als Kommunisten. Herr Höcke ist ganz sicher kein Nazi. Dazu kenne ich ihn wirklich dann auch so weit, dass er in diese Richtung sich überhaupt nicht entwickelt hat und auch nicht denkt. Seine Äußerungen sind allerdings grenzwertig, das muss man schon sagen, und da darf man sich auch nicht wundern, wenn der politische Gegner dann die Nazi-Keule rausholt.
    Kaess: Ab wann ist jemand Nazi im Umgang mit der deutschen Geschichte?
    Junge: In dem Moment, wo er auch nur ansatzweise die Geschichte des Dritten Reiches in irgendeiner Weise positiv sieht.
    Kaess: Und wenn Herr Höcke sagt, bis jetzt sei der deutsche Gemütszustand der eines brutal besiegten Volkes, was sagt das dann?
    Junge: Ja dann sagt das aus, dass er nicht sich und das deutsche Volk reduziert sehen möchte in der Reflektion der Geschichte auf diese zwölf Jahre, sondern auch darüber hinaus wir sehr wohl auch stolz sein können auf die deutsche Geschichte, aber bitte nicht nur auf diese zwölf Jahre kaprizieren ausschließlich. Das sage ich auch und an dem Punkt bin ich auch bei ihm.
    "Wir dürfen nachfolgende Generationen nicht damit in Geiselhaft nehmen"
    Kaess: Und die deutsche Geschichte wird im Schulunterricht mies und lächerlich gemacht.
    Junge: Na ja, gut. Er ist Lehrer. Ich bin schon lange aus der Schule raus, er noch nicht. Das kann ich nicht beurteilen. Dazu habe ich zu wenig Einblick in den tatsächlichen Schulunterricht, ob das wirklich so der Fall ist. Aber auch ich habe in meiner Schulzeit in den 70er-Jahren durchaus auch erfahren, dass wir als Schüler doch in erster Linie auch auf diese Zeit hingewiesen worden sind, sehr massiv hingewiesen worden sind. Das war sicherlich auch notwendig, aber diese Einseitigkeit war auch für mich sehr bedrückend.
    Kaess: Ist Ihrer Meinung nach der Holocaust ein Verbrechen eines Ausmaßes, dass an ihn erinnert werden sollte?
    Junge: Absolut!
    Kaess: Und in welcher Form?
    Junge: Ob wir jetzt den Gedenktag haben hier im Landtag am 27. 1., ob wir uns auch mit entsprechenden Mahnmalen daran erinnern, auch Dokumentationen sind notwendig. Das darf nicht in Vergessenheit geraten. Aber wir dürfen auch alle anderen nachfolgenden Generationen nicht damit in Geiselhaft nehmen. Wir müssen versuchen, darauf eine objektive Sicht zu bekommen, so grauenvoll wie das war. Auch andere Völker haben Völkermord begangen. Ich will das nicht relativieren, das war sicherlich einmalig in der Weltgeschichte. Aber ich meine auch, wir müssen daran denken. Wir müssen auch die Menschen darauf immer wieder aufmerksam machen. Aber wir sollten sie nicht damit geißeln.
    "Höcke hat klar gesagt, dass die Zeit des Dritten Reiches eine Schande ist"
    Kaess: Im Grunde sind Sie gar nicht so weit entfernt von der Position von Herrn Höcke?
    Junge: Nein, grundsätzlich nicht. Aber Höcke hat ganz klar gesagt, dass die Zeit des Dritten Reiches eine Schande ist, und ich sage das auch in meinen Reden, ein Schandfleck der deutschen Geschichte, und darauf muss immer wieder auch hingewiesen werden. Aber nicht ausschließlich, Frau Kaess. Es gibt doch auch andere, noch gute Phasen der deutschen Geschichte. Auf die müssen wir auch hinweisen dürfen, ohne dass man in den Verdacht gerät, die Gräueltaten der Nazis zu relativieren.
    Kaess: Die Meinung des AfD-Vorsitzenden von Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, war das. Danke für das Gespräch.
    Junge: Sehr gerne, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.