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Höhn fordert schnellen Ausstieg aus Braunkohleabbau

Der Energiekonzern RWE will entgegen anderslautender Meldungen doch am Braunkohle-Tageabbau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen festhalten. Die Grünen-Politiker Bärbel Höhn warnt ausdrücklich davor: Braunkohleabbau sei die klimaschädlichste Form der Stromproduktion.

Das Gespräch führte Mario Dobovisek | 09.10.2013
    Mario Dobovisek: 14 Dörfer haben die Bagger bei Köln im Braunkohle-Tagebau Garzweiler bereits verschlungen, als Nächstes soll Immerath weichen. Bis 2045 soll es so weitergehen. Allerdings mehren sich Stimmen, dass schon in den kommenden Jahren Schluss sein könnte, schlicht, weil immer mehr Kohlekraftwerke als unrentabel stillgelegt werden und dementsprechend auch der Braunkohleabbau zu wenig abwirft – der Energiewende sei Dank.

    Der Braunkohle-Abbau in Garzweiler und dem rheinischen Revier zählt zu den heißesten politischen Eisen in Nordrhein-Westfalen. Immer wieder gibt es wütende Bürgerproteste mit Polizeieinsätzen. Beim Bundesverfassungsgericht liegt eine Klage gegen Zwangsumsiedlungen und eine rot-grüne Landesregierung wäre schon fast daran zerbrochen. Umweltministerin in Düsseldorf war damals Bärbel Höhn. Sie wollte Garzweiler II mit unzähligen Gutachten totprüfen und ist nun als grüne Bundestagsabgeordnete bei uns am Telefon. Guten Morgen, Frau Höhn!

    Bärbel Höhn: Guten Morgen!

    Dobovisek: Garzweiler-Betreiber RWE dementiert zwar das vorzeitige Aus für den Tagebau, betont aber, wie sehr sich doch die wirtschaftliche Situation der Braunkohle-Verstromung verschlechtert habe. Freut Sie diese Diskussion, das mögliche Aus für Garzweiler?

    Höhn: Das freut mich eigentlich nicht, weil ich gehofft hätte, dass diese Erkenntnis schon viel früher bei RWE aufgeschlagen wäre. Dann hätten wir zum Beispiel Umsiedlungen, die ja schon geschehen sind, oder Menschen, die sich auf Umsiedlungen vorbereitet haben, dann hätten wir diesen Druck überhaupt gar nicht gehabt. Damals war ja auch die Idee eines Kompromisses, Garzweiler II nur zu einem Drittel zu genehmigen. Das wäre ungefähr bis 2017. Das wäre viel besser gewesen, wenn wir das damals gemacht hätten, mehr Planungssicherheit für die Menschen. Man sieht mittlerweile, dass die Energiewende so vorangeschritten ist, dass auch ein Kraftwerk, ein Braunkohle-Kraftwerk, was 40, 50 Jahre läuft, auf diese Strecke sich nicht rechnen wird.

    Dobovisek: Nun stehen wir aber vor dem Dilemma, dass wir trotzdem Strom brauchen, gerade wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Wie kommen wir aus diesem Dilemma raus?

    Höhn: Ja, wohl ganz sicher nicht mit Braunkohle-Kraftwerk. Braunkohle-Kraftwerke sind ja ähnlich wie Atom-Kraftwerke Kraftwerke mit Grundlast. Das heißt, sie laufen durch, man kann sie nicht flexibel hoch- und runterfahren. Eben ist zwar gesagt worden, und das ist auch richtig, dass in der Tat Gas-Kraftwerke teurer sind im Betrieb, aber sie sind sehr viel günstiger in der Anschaffung, in der Investition. Sie laufen auch sehr viel kürzer. Deshalb sind sie eigentlich flexibler. Deshalb macht es viel mehr Sinn, als Kompensation für die erneuerbaren Energien Gas-Kraftwerke zu verwenden.
    Ich will noch auf einen Punkt hinweisen, der in Ihrer Anmoderation war. Da wurde gesagt, dass die EEG-Umlage jetzt wieder auf gut sechs Cent steigen wird, und das wäre dem Ausbau der erneuerbaren Energien geschuldet. Das ist in der Tat ja nur minimal der Fall. Nur 13 Prozent dieser Erhöhung gehen auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zurück. Der größte Teil, über 50 Prozent mittlerweile, auf den gesunkenen Börsenstrompreis, der durch die erneuerbaren Energien erreicht wird. Und man muss in der Tat – das macht die Situation deutlich ...

    Dobovisek: Der wird ja erreicht, weil immer die Grundlast anliegt, auch von den fossilen Energieträgern, weil eben die Kraftwerke nicht abgeschaltet werden können. Wie kommen wir aus dieser Situation raus, wenn wir nicht alle Kohle-Kraftwerke von heute auf morgen abschalten können? Und da habe ich eine Zahl für Sie: 26 Prozent des Strombedarfs wurden im vergangenen Jahr durch Braunkohle in Deutschland gedeckt.

    Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn
    Bärbel Höhn war früher Umweltministerin in NRW (AP)
    "Ich glaube, dass man gerade bei der Braunkohle schnell aussteigen muss "
    Höhn: Momentan ist Braunkohle deshalb sogar angestiegen, die Kohle ist sogar angestiegen im Mix, weil die weitere Komponente – das ist nämlich der Klimaschutz – von der Bundesregierung total vernachlässigt worden ist. Die Emissionszertifikate für CO2, die sollten eigentlich in diesem Jahr, das waren die Vorausplanungen, bei 35 Euro pro Zertifikat liegen; sie liegen mal gerade bei einem Zehntel davon, und das macht Braunkohle-Kraftwerke kurzfristig attraktiv. Aber es wird deutlich, dass das natürlich mit dem Klimaschutz nicht vereinbar ist, dass diese Zertifikatspreise wieder steigen werden und dann auch die Braunkohle mit entsprechenden Kosten belastet wird – zurecht, denn Braunkohle ist wirklich ein absoluter Klimakiller.

    Dobovisek: Wie lange werden wir die Braunkohle in Deutschland noch brauchen?

    Höhn: Ich glaube, dass man gerade bei der Braunkohle schnell aussteigen muss - das wäre sozusagen die Stufe, die man neben den Atom-Kraftwerken wirklich angehen muss -, weil wir dramatische CO2-Probleme haben. Wir stoßen mit so einem Braunkohle-Kraftwerk ungefähr dreimal so viel CO2 aus wie mit einem Gas-Kraftwerk, teilweise noch erheblich mehr bei diesen alten Braunkohle-Kraftwerken, pro Kilowattstunde, pro erzeugte Energie, und das bedeutet natürlich, dass die Braunkohle die wirklich klimaschädlichste Art der Stromproduktion ist. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir da umsteigen.

    Dobovisek: Sie haben die CO2-Verschmutzungsrechte angesprochen. Die wollen Sie am liebsten weiter erhöhen. Würde sich damit auch die Ökostrom-Umlage erhöhen?

    Höhn: Gerade das Gegenteil ist ja der Fall. Die Ökostrom-Umlage erhöht sich momentan, weil die erneuerbaren Energien immer mehr werden und weil deshalb der Börsenstrompreis sinkt, und das erhöht die EEG-Umlage. Das ist ein absolut verrückter Effekt. Das heißt, die Verbraucher müssten eigentlich doppelt zahlen. Für die Wirtschaft, für viele Wirtschaftsbereiche, die sogenannten Sonderkunden, ist das ein Supereffekt, weil deren Strompreis hat sich seit 2008 gar nicht erhöht. Der ist weiter bei ungefähr zehn Cent festgeschrieben. Aber die Verbraucher haben in dieser Zwischenzeit sieben Cent mehr gezahlt, 35 Prozent mehrt. Also die Verbraucher und die kleinen Wirtschaftsbetriebe, die leiden darunter, und deshalb müssen wir da absolut zu einer Veränderung kommen, denn das ist natürlich eine unfaire Verteilung der Kosten der Energiewende, die wir aufheben müssen. Übrigens müssen wir das auch deshalb, weil die EU das ja schon auch kritisiert hat und das auch angehen will.

    Dobovisek: Also die Kosten anders verteilen, auch in Richtung energieintensiver Industriebetriebe. Wie können aber die steigenden Strompreise insgesamt gedeckelt werden?

    Höhn: Ich will vielleicht mal sagen, das soll eben nicht Richtung energieintensive Betriebe gehen. Wir haben als Grüne gesagt, natürlich ist es sinnvoll, dass ein energieintensiver Betrieb Ausnahmen bekommt. Das haben wir sogar unter Rot-Grün eingeführt. Aber das Problem ist, dass mit der jetzt ausgelaufenen Bundesregierung wirklich die Ausnahmen für Betriebe überbordend freigegeben worden sind und dass deshalb nicht nur energieintensive Betriebe, sondern alle möglichen Ausnahmen haben. Das kritisiert die EU. Die energieintensiven Betriebe kommen zu uns und sagen, bitte helft uns, weil dieses Ausmaß, dieses Übermaß an Ausnahmen führt jetzt dazu, dass die EU die gesamten Ausnahmen auf den Prüfstand stellt, also auch die der energieintensiven Betriebe, und bei denen droht jetzt wirklich ein Arbeitsplatzverlust, wenn diese Ausnahmen gestrichen werden. Das heißt, hier auch nach den Plänen, die wir Grünen vorgelegt haben, mäßig vorzugehen, wirklich nur den betroffenen Betrieben Ausnahmen zu erteilen, die im internationalen Wettbewerb sind, und das nicht so ausufern zu lassen, das wäre der richtige Weg gewesen. Jetzt mit diesem falschen Weg belastet man nicht nur die Verbraucher, sondern gefährdet die Arbeitsplätze bei den energieintensiven Betrieben.

    Dobovisek: Morgen sitzen Schwarz und Grün in Berlin zusammen, um eine Zusammenarbeit zu sondieren. Die Union hält an der Kohlekraft fest. Die Grünen dagegen – das haben wir jetzt auch verstanden – wollen neue Kohle-Kraftwerke vor allem verhindern. Ein koalitionsentscheidender Punkt für Sie, Frau Höhn?

    Höhn: Das ist eindeutig, dass wir gesagt haben, die Energiewende, auch im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, das ist für uns ein ganz zentraler Punkt, und da geht es in der Tat um den CO2-Ausstoß, auch um diesen angestiegenen. Übrigens der CO2-Ausstoß ist angestiegen in Deutschland, nicht gesenkt worden, sondern angestiegen. Und natürlich geht es darum, dass der Kohlestrom eingedämmt werden muss, sonst werden wir die Klimaziele nicht erfüllen. Aber es geht auch um eine faire Verteilung der Kosten.

    Dobovisek: In die Koalitionsverhandlungen wird ja jetzt nun Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt mit eintreten. Eine neue Spitze Ihrer Fraktion, aber nur eine halbe neue?

    Höhn: Ja. Katrin Göring-Eckardt bringt auch Erfahrung mit, und das ist auch gut so, denn wir wollen ja auch eine Mischung machen aus erfahrenen Leuten und Leuten, die sehr schnell in diese verantwortungsvollen Positionen hineinwachsen werden.

    Dobovisek: Ist sie die richtige für einen Neuanfang?

    Höhn: Ich finde, das ist ein Neuanfang, was Personen angeht, und ich finde es gut, dass diese beiden Personen für die Ökologie und die soziale Frage stehen, denn das sind die Wurzeln der Grünen. Deshalb ist es schön, dass unsere beiden Fraktionsvorsitzenden genau diese beiden Wurzeln der Grünen repräsentieren.

    Dobovisek: Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen!

    Höhn: Bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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