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Hörerwelten: DFB-Arzt Tim Meyer
Das Doping-Stigma

Tim Meyer, Professor für Sportmedizin an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Arzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat sich bei uns gemeldet, sein Anliegen: Die Debatte um Doping im Fußball. Seiner Ansicht nach findet die Diskussion sehr einseitig statt.

Von Moritz Küpper | 20.07.2018
    Dr. Tim Meyer Professor für Sportmedizin an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Arzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft
    Wünscht sich eine differenzierte Diskussion über Doping: Dr. Tim Meyer (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    "Lass uns eben einen Schritt rausmachen, weil es ist für den Kontext gar nicht so schlecht."
    Tim Meyer öffnet die Tür, führt raus aus seinem Institut.
    "Was für uns besonders gut ist und was sie bundesweit fast sonst nicht gar nicht haben. Da wo die Schranke zu sehen ist, da beginnt der Olympia-Stützpunkt und die Landessportschule. Diese Nähe ist wirklich sehr praktisch."
    Tennisplätze, eine Beachvolleyball-Anlage, dahinter ein Fußballfeld, eine Turnhalle – alles fügt sich malerisch ein und an den Campus der Universität des Saarlandes, auf dem Meyer sein Institut hat. Alles umgeben von nun grünen Bäumen.
    "Selbst wenn wir jetzt eine Studie machen wollen oder so, dann können wir mal zum Trainer rübergehen uns sagen: Folgendes haben wir vor – willste oder nicht? Hier das ist eine Schwimmhalle mit 50 Meter Becken, weil hier auch die Triathleten sind."
    "In die rechte Ecke" vs. "in die Dopingecke"
    Meyer zeigt auf ein Gebäude. Der 50-jährige, groß gewachsene Mann mit Brille, trägt Jeans und ein kariertes Hemd – und führt zurück in sein Institut, er geht die Treppen rauf.
    Es war Ende März dieses Jahres, als Meyer dem Deutschlandfunk eine E-Mail schrieb.
    Betreff: "In die rechte Ecke" vs. "in die Dopingecke"
    "Sie hatten damals einen Bericht im Radio über die Essener Tafel und darüber, dass jemand, der für die Essener Tafel verantwortlich zeichnete und dann Ausländer ausschließen wollte von der Tafel in ein mediales Gewitter geraten ist und auch in eins in den sozialen Medien und in die völlig rechte Ecke gerückt wurde, während man – wenn man näher hinguckte, ihm das in keiner Weise unterstellen konnte."
    In dem Beitrag ging es auch um Frank Duda, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins im ärmeren Essener Stadtteil Karnap, der Anfang 2016 zu einer Demonstration aufgerufen hatte, um sich dagegen zu positionieren, dass ausgerechnet sechs der insgesamt sieben geplanten neuen Flüchtlingsunterbringungen im ärmeren Norden angesiedelt werden sollten. Den dann folgenden medialen Sturm erkannte Duda – knapp zwei Jahre später – dann auch bei der Diskussion rund um die Essener Tafel wieder:
    "Ja, das ein unbescholtener Bürger auf einmal in die rechte Ecke gedrückt wird. Ja, das hat mich dann schon erinnert, bei mir war es die gerechte Verteilung, eigentlich was positives, für die Flüchtlinge, genauso für die Helfer."
    Schild mit der Aufschrift: "Arztzimmer". Darüber: "Die Nationalmannschaft". Darunter: "Tim Meyer"
    Die deutschen Nationalspieler gehören zu seinem Patientenstamm (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    Das Fazit des SPD-Mannes Duda aus dem Essener Norden damals:
    "Viele, viele trauen sich an dieses Thema gar nicht ran, weil sie nämlich dann, ganz schnell, in die rechte Ecke geschoben werden. Und das finde ich wirklich fatal."
    Es sind diese Worte, bei denen der DFB-Mannschaftsarzt Meyer Parallelen erkannt haben will:
    "Das erinnerte mich ein bisschen an manche Debatte, wenn Äußerungen gemacht worden sind, im Bereich Doping im Sport, im Leistungssport insbesondere, wo man auch relativ schnell gesteinigt wird, wenn man nicht exakt den richtigen Ton trifft, der gerne gehört wird."
    "Eine verschwindend kleine Zahl"
    Gerne, heißt in dem Fall, so Meyer, eine Art Generalverdacht:
    "Ja, es ist schon so, dass vielfach auch Formulierungen gewählt werden, wo "Die Sportmediziner" da steht, obwohl es sich vielleicht auch irgendwie nur um einen in Italien handelt oder aber gar nicht um Ärzte, es wird da gar nicht weiter überprüft. Natürlich bringen Sportmediziner ein gewisses Knowhow mit, das beispielsweise zum Doping nutzbar wäre. Dennoch ist es so, dass es eine verschwindend kleine Zahl von Sportmedizinern gibt, von denen man wirklich sagen kann: Sie haben aktiv gedopt. Insofern kann man sich vielleicht vorstellen, dass mich das so ein bisschen nervt, wenn pauschal darüber geredet wird."
    Vor allem, so Meyer, ärgere ihn, dass die Berichterstattung häufig nicht neutral erfolge:
    "Jeder, der zu diesem Thema häufig in den Zeitungen liest oder bestimmte Fernseh- oder Rundfunkbeiträge hört, der weiß, es gibt vermeintliche Experten unter den Journalisten, die sich hauptsächlich damit befassen. Schaut man sich deren Kommentare, teilweise über mehrere Jahre an, gibt es keinen einzigen, der mal in eine andere Richtung geht, obwohl man das ja, bei jemanden der ja an sich neutral berichterstattend an die Sache herangeht, erwarten würde. Man findet auch manchmal Interviews zu diesem Thema und dann sind Fragen in einer Weise formuliert, dass sie eine Anklage beinhalten, obwohl man ja eigentlich auch ein normales Interview führen könnte und später kommentieren könnte."
    Probleme der öffentlichen Debatte
    Seit rund fünf Jahren hält er sich daher zurück, gibt keine Interviews, weil man darüber – so sein Eindruck – in der Öffentlichkeit nicht differenziert sprechen könne. Wie reflexhaft und einseitig die Diskussion mitunter läuft, zeigte – auf der anderen Seite – ein Interview von Meyers Nationalmannschaftskollege Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: "Im Fußball, soweit ich das übersehe", sagt er im April in einem Interview mit "Der Zeit", "gibt es kein Doping." Eine Aussage, die Meyer nicht unterschreiben würde:
    "Hm, keine Frage: Doping würde auch im Fußball was bringen. Das habe ich auch mehrfach geäußert und auch differenziert erklärt. Das sind aber auch so Äußerungen, die dann relativ ungern zitiert werden. Jetzt könnte man sagen: Dafür bin ich nicht prominent genug. Das ist in Ordnung. Dafür wurden ältere Aussagen von mir schon zitiert, wo ich – würde ich jetzt sagen – mich etwas unvorsichtiger geäußert hab, aber weit weniger prominent und weit weniger ausführlich."
    Meyer meint damit seine Äußerungen rund um die Jahrtausendwende, als er sagte: Doping würde im Fußball ohnehin wenig bringen. Es ist dieser Duktus, der immer wieder – auch von zahlreichen prominenten Köpfen aus dem Fußball – wiederholt wird, obwohl es parallel zahlreiche Äußerungen von Spielern und Beteiligten gab und gibt, die Doping einräumten, hinzu kam eine Liste nachgewiesener Dopingfälle. Meyer sieht ein, dass dies die öffentliche Debatte nicht einfacher macht:
    Nicht die richtigen Leute herangezogen
    "Ein Verband ist groß und es gibt auch nicht immer den einen, der dafür zuständig ist, das Thema Doping zu thematisieren. Das sieht man gerade im Fußball, glaube ich, häufig, den komischerweise werden ja auch für Zitate meistens Leute herangezogen, Stichwort Mehmet Scholl, der jetzt mit dem Anti-Doping-Management beim DFB wirklich nichts zu tun hat und dessen Meinung insofern seine persönliche Meinung ist, wenn er sagt, Doping spielt im Fußball keine Rolle, aber natürlich nicht die Meinung des Fußballs darstellt und schon gar nicht die Meinung derjenigen, die sich bemühen, das Anti-Doping-Management so ordentlich wie möglich zu machen."
    Doch, wen fragen, wenn Anfragen abgeblockt werden? Auch das zeigt die Schwierigkeit in der Diskussion. Meyer jedenfalls hält sich nicht für naiv. Und anders als Nationalmannschaftskollege Müller-Wohlfahrt, der beispielsweise beide Hände dafür hergeben würde, dass sein Patient, der jamaikanische Sprinter Usain Bolt während seiner aktiven Karriere sauber gewesen sei, formuliert es Meyer anders:
    "Nein, die Formulierung zum Beispiel "Hand ins Feuer legen", die würde ich sehr ungerne wählen. Das heißt überhaupt nicht, dass ich jetzt irgendeinem einzelnen misstraue. Im Grunde genommen habe ich gar kein schlechtes Gefühl bei einem von denen, aber, ich finde, die Lebenserfahrung lehrt, wenn man über die Jahre mit hunderten dieser Sportler zu tun hat, da wird auch irgendjemand vielleicht mal nicht so handeln, wie ich das aus meiner Kenntnis seiner Person erwarten würde. Deswegen wäre ich da zurückhaltend."
    Und auch das prägt natürlich, die Diskussion um Doping und Fußball.