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Hoffen auf die Beamten aus Brüssel

Dem kroatischen Autor Renato Baretic hängt sein Staat zum Hals heraus. In seinem Roman "Der achte Beauftragte" zieht er folgerichtig den Politikbetrieb einer jungen Demokratie mit allen Widersprüchen und grotesken Zügen durch den Kakao. Der EU-Beitritt Kroatiens soll Besserung bringen.

Von Martin Sander |
    Split, die Metropole Dalmatiens, hat viele Gesichter. Einst der Sitz des römischen Kaisers Diokletian, später unter venezianischer und österreichischer, dann unter jugoslawischer Herrschaft, ist die Stadt im unabhängigen Kroatien zur Hochburg von Nationalisten und Kriegsprofiteuren geworden. Doch Split ist auch das Terrain von komischen Plebejern, den Redikuli, allseits respektierten Stadtstreichern mit clowneskem Talent. Und: In Split ist die politische Satire zu Hause. Viele Jahre erschien hier "Feral Tribune", eine Wochenzeitung, bitterböse und oft urkomisch im Ton. "Feral" ließ kein gutes Haar am Kroatien des Staatsgründers Franjo Tudjmans und seiner Nachfolger. Zu den Autoren der inzwischen eingestellten "Feral Tribune" gehörte der 1963 geborene Schriftsteller Renato Baretic. Baretic hängt sein unabhängiger Staat ziemlich zum Halse heraus und bei einem Bier in der Spliter Altstadt spricht er gern darüber:

    "Anfangs gefiel mir die Idee eines selbstständigen Kroatien aus verschiedenen Gründen. Nur: Hätte ich in den 90er Jahren gewusst, wie dieses Kroatien heute aussehen würde, wäre mir die Frage jugoslawisches oder selbstständiges Kroatien ganz egal gewesen. Es stört mich, dass gleich zu Beginn Leute nach oben kamen, die das eine sagten und das andere taten, die über Heimatliebe, Gott und die Familie redeten, aber eigentlich nur gestohlen haben."

    Der verkehrten Welt des unabhängigen Kroatien hat Renato Baretic einen satirischen Roman gewidmet, der nach seinem Erscheinen 2003 auf Anhieb zum Bestseller wurde.

    Nun liegt er unter dem Titel "Der achte Beauftragte" auf Deutsch vor. Baretic nimmt sich einen typischen Vertreter des Politbetriebs vor. Allerdings ist sein Protagonist namens Siniša Mesnjak kein Freund des nationalistischen Staatsgründers Franjo Tudjman, sondern der ehrgeizige Gehilfe eines sozialdemokratischen Regierungschefs, der wiederum Ivica Raèan ähnelt, von 1998 bis 2003 Ministerpräsident Kroatiens. Der Ausgangspunkt des Romans: Ein rechtsnationales Boulevardblatt hat Fotos von Mesnjak geschossen, als die Polizei ihn im bewusstlosen Zustand vom Fahrersitz seines Dienstwagens zog, angeblich vollgepumpt mit Drogen und in Begleitung einer weißrussischen Prostituierten. Nun wacht dieser Mann in einem Krankenhaus auf – unter der Obhut von Parteikollegin Željka:

    Genau genommen war Željka nicht nur seine Parteikollegin, sondern mit ziemlicher Regelmäßigkeit auch ein – wie er es für sich selbst gern definierte – "Kollektor für überschüssige Energie". (…) Während sie ihm jetzt in nicht eben gewählten Worten erklärte, was eigentlich geschehen war, zupfte er unter dem Laken an seinen Schamhaaren herum, um wach zu werden, um diesen Schrecken in einen gewöhnlichen Albtraum zu verwandeln, ähnlich jenem, den er immer wieder träumte und in dem ihn irgendwelche Zöllner bei dem Versuch ertappten, hinter dem Lenkrad eines Riesenschleppers acht Tonnen Schmelzkäse aus Ungarn einzuschmuggeln.

    Um Schaden von sich und der Partei abzuwenden, schickt der Premierminister seinen gestolperten Schützling als Regierungsbeauftragten auf die ferne, fast schon in italienischen Gewässern liegende Adria-Insel Drittchen. Mesnjak soll dort das erreichen, woran sieben Vorgänger scheiterten. Er soll politische Strukturen aufbauen, sprich eine Selbstverwaltung etablieren und demokratische Wahlen abhalten. Für den Karrieristen Mesnjak mit Ambitionen auf höchste Ämter in Zagreb bedeutet Drittchen die pure Verbannung: kein Internet auf dem fernen Eiland, kein Handyempfang und keine Aussicht auf unverbindlichen Sex. Die Bewohner der Insel, alle mehr oder weniger verwandt oder verschwägert, sind meist im Rentenalter.

    Als Gastarbeiter haben sie Jahrzehnte im australischen Bergbau geschuftet; nun genießen sie ihren Ruhestand auf der Heimatinsel. Bonino Langfuß, einer von ihnen, der in Australien geblieben ist und es dort durch Heirat zum Bergwerksbesitzer gebracht hat, sorgt aus der Ferne dafür, dass die Renten ankommen. Auch bestellt er Schnellboote der italienischen Mafia, die im Wochenabstand alles auf der Insel anliefern, was man zum täglichen Leben braucht. Kein Wunder, dass die Menschen auf Drittchen Bonino verehren wie einst viele Jugoslawen Josip Broz Tito. Demokratie interessiert sie überhaupt nicht. Um den Beauftragten der sozialdemokratischen Regierung machen sie daher einen Bogen, sodass der schließlich nach Gesellschaft Ausschau hält, die er eigentlich lieber verschmäht hätte. Der großkotzige, illegal auf Drittchen lebende Bosnier Selim gehört dazu:

    Selim Ferhatoviæ war eine der seltenen Möglichkeiten, die Langeweile zu vertreiben und die Wartezeit zu verkürzen, eine Möglichkeit, über die Siniša schon mehrfach nachgedacht hatte. Und die er jedes Mal gleich wieder verworfen hatte. Es war ihm peinlich, dass er sich beim Kennenlernen derart mit dem lausigen serbischen Slibowitz abgefüllt hatte (…). Außerdem war Selim allem Anschein nach eine Art illegaler Asylant ohne Ansehen und ohne jeden Einfluss auf die Ereignisse, was ihn in den Augen des Beauftragten, der die Dinge durch das Prisma seiner politischen Aufgabe betrachtete, keinen Deut wichtiger machte als irgendein Schaf oder einen Baum auf Drittchen. (…) Doch jetzt stand dieser Typ hinter ihm, (…) und lächelte ihn an, als wären sie Verwandte. "(…) Alder, sachma, isch dachte schon, Siniša hat sich verpisst, dat alles hier hat ihn kirre gemacht, isch schwör dir."

    Siniša Mesnjak freundet sich nicht nur mit Selim an. Er beginnt auch eine Affäre mit dessen junger Gefährtin Zehra. Zwischenzeitlich verliert der Beauftragte gar die Lust an seiner politischen Aufgabe, taucht stattdessen ins Inselleben ein, lässt sich von der bizarren Landschaft und der scheinbar stoischen Gleichmut der Bewohner in den Bann ziehen. Da es sonst nicht viel zu tun gibt, bringt er deren Geschichten, die man ihm allmählich anvertraut, zu Papier.

    Als endlich der Ministerpräsident vorbeischaut, brilliert Mesnjak bereits in der Sprache der Insulaner, einem Mischmasch aus Englisch, Italienisch und Kroatisch – hier in der kongenialen Übertragung von Alida Bremer.

    "Drittchenser! Schout, Signor Prajmminister ist koumen, primo in tuta storija wat je ouf Drittchen koume ist!"

    Alle drehten ihre Köpfe dem Premierminister zu und murmelten "Benvenout", und dann taten sie weiter so, als konzentrierten sie sich vollständig darauf, wie Toma die Karten mischte.


    Am Ende glaubt Mesnjak doch noch, den Dreh gefunden zu haben, wie man in Drittchen die anscheinend überflüssige Demokratie einführt und sich damit in Zagreb für höhere Aufgaben empfiehlt.

    "Der achte Beauftrage" ist ein leicht zu lesender, spannender Roman. Der Politikbetrieb einer jungen Demokratie wird hier mit vielen Widersprüchen und allen grotesken Zügen durch den Kakao gezogen. Über den Ehrgeiz und das mitunter plumpe Weltbild Mesnjaks lässt sich gut lachen, aber man kann sich in diesen Romanhelden auch hier und da einfühlen. Was den Romanautor Renato Baretic betrifft: Als Spliter Bürger hat er seinen Glauben an die Heilkräfte der Politik in der Demokratie noch nicht aufgegeben. Angesichts des gerade erfolgten EU-Beitritts seines Landes hofft er dabei auf Besserung vor allem durch die Beauftragten aus Brüssel:

    "Die Kroaten sind ein sympathisches, fleißiges, begabtes Volk – und auch gute Menschen, im Prinzip. Aber nur dann, wenn sie jemand kontrolliert, die Aufsicht führt. Schließlich haben wir 23 Jahre Zeit gehabt, zu zeigen, was wir allein können, und gezeigt haben wir nichts. Also ich wünsche mir, dass die Europäische Union etwas mehr Ordnung in unser Verhalten bringt."


    Renato Baretic, "Der achte Beauftragte"
    Aus dem Kroatischen von Alida Bremer, Dittrich Verlag Berlin, 336 Seiten, 19,80 Euro