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Hoffmanns Erzählungen
Vier Frauen und ein Todesfall

Am 20. Juni feiert die Musikwelt Jacques Offenbachs 200. Geburtstag. Das Badische Staatstheater Karlsruhe gratulierte vorab mit seinem Opern-Klassiker „Hoffmanns Erzählungen“ – erzählt von Opernregisseur Floris Visser und Dirigent Constantin Trinks.

Von Ursula Böhmer | 10.06.2019
    Eine Tänzerin im Bühnenvordergrund steht vor einer Menschengruppe. Dahinter eine Tafel und ein Regal mit Gläsern
    Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" am Staatstheater Karlsruhe (Falk von Traubenberg)
    "Paff-Paff"-Töne zu Beginn der Oper "Hoffmanns Erzählungen": Zackig und präzise raunzt sie die Badische Staatskapelle heraus – eine von vielen Charakterfarben, mit denen das exzellente Orchester unter Gastdirigent Constantin Trinks die Erzählungen des glücklosen Dichters E.T.A. Hoffmann untermalen wird. Von Offenbachs Oper existieren allerdings zahlreiche Versionen – denn so Trinks: "Die Uraufführung hat erst nach dem Tod Offenbachs stattgefunden und zum Zeitpunkt des Todes war er nicht fertig. Das heißt, man wusste nicht genau, welche Version, z.B. manche Arien existieren in zwei oder drei Fassungen, und es ist nicht in jedem Fall eindeutig beantwortbar, welche dieser Fassungen Offenbach favorisiert hätte."
    Der Mainzer Schott-Verlag hat eine Ausgabe mit allen Skizzen und Bearbeitungen der Oper herausgegeben. Constantin Trinks und Regisseur Floris Visser haben sich daraus für ihre Karlsruher Produktion eine gut dreistündige Fassung zusammengestellt, die überwiegend auf Offenbachs Handschriften beruht. Zu den Ausnahmen zählt das selten zu hörende Sextett mit Chor im 4. Akt, das der Komponist André Bloch 1904 dazu arrangiert hat. Constantin Trinks: "Das ist gleichzeitig auch einer der Regie-Höhepunkte. Wir haben ja diese Drehbühne mit drei Räumen und während des Septetts geht der Hoffmann einmal durch alle Zimmer und begegnet in den anderen Zimmern nochmal Figuren aus den vorangegangenen Akten. Nämlich aus dem Antonia- und Olympia-Akt, was eindrucksvoll ist!"
    Drei Seiten derselben Frau
    Olympia, Antonia und Giulietta - die drei Frauencharaktere, die sich der glücklose Hoffmann in Offenbachs Oper herbeifantasiert, sind eigentlich drei Seiten ein und derselben Frau: Operndiva Stella, die auf der Karlsruher Bühne immer mal wieder als Maria Callas-Verschnitt mit Pelz und Rosenstrauß erscheint. Seelenlos wie die "Puppe" Olympia kann Stella sein, eine Tragödin wie Antonia, die ausgerechnet am Singen tödlich erkrankt, aber auch intrigant wie die Kurtisane Giulietta. Jacques Offenbach wollte all diese Frauenfiguren eigentlich von einer Sängerin verkörpert sehen. Constantin Trinks hat sich in Karlsruhe anders entschieden: "Weil letztlich führt das zu Kompromissen in mindestens zwei der Partien. Normalerweise liegt eine Sängerin auf einer Partie voll drauf, entweder Olympia, Antonia oder Giulietta. Aber nicht auf allen dreien. Das ist physisch, sängerisch unmöglich. Und so haben wir für jede der Frauen, sogar noch für Stella, vier Sängerinnen, die diese Frauen verkörpern."
    Herz-OP mit Herzdamen und Muse mit E-Gitarre
    Sophia Theodorides singt die "Puppe" Olympia ungemein virtuos und darstellerisch witzig: Puppenhaft tappelt das Kunstgeschöpf ängstlich vor dem verliebten Hoffmann davon, sucht Schutz bei ihren Schöpfern und die verrückten Professoren Spalanzani und Coppelius müssen ihr erst was spritzen, bevor sie sich schließlich rittlings auf den überraschten Hoffmann stürzt. Der niederländische Regisseur Floris Visser hat Sinn fürs Komödiantische, findet aber auch drastische Bilder. Irgendwann wird einem Double von Hoffmann auf einem OP-Tisch das Herz blutig herausgerissen, wobei seine drei Herzdamen als OP-Schwestern assistieren. Was ist Wahn, was Wirklichkeit? Für dieses Wechselspiel funktioniert Vissers Drehbühnen-Konzept hervorragend. Das Bistro aus den Fünfziger Jahren, in dem Hoffmann betrunken von seinen Liebschaften erzählt, erscheint hier in drei Varianten, die vor- und zurückgedreht werden. Im "Olympia"-Teil mutiert das Bistro zum Horror-Labor, in dem plötzlich Gläser mit eingelegten Augen im Weinregal stehen. Im tragischen "Antonia"-Teil ist das Regal dann bildungsbürgerlich mit Partituren und einer Beethoven-Büste bestückt. Für den "Giulietta"-Akt wiederum wird die Bühne auf Anfang zurückgedreht.
    Der mexikanische Tenor Rodrigo Porras Garulo füllt Hoffmanns Fantasieräume mit wunderschön lyrischen Tönen und zeigt den in sich zerrissenen Künstler in seiner Schaffenskrise. In der Liebe gescheitert, bleibt ihm schließlich nur noch seine Dichtkunst und sein treuer Freund Niklaus, der hier nicht von ungefähr immer mit einer E-Gitarre herumläuft. Denn er entpuppt sich in der Karlsruher Fassung als Muse der Lyrik. Die Türkin Dilara Baştar singt die Doppelrolle als Muse und Niklaus in Karlsruhe und vertauscht ihre Männerverkleidung am Ende gegen ein griechisches Göttinnen-Gewand. Von seiner Muse geküsst, macht sich Hoffmann endlich wieder an die Arbeit. Ein tröstlich produktives Ende dieses überaus fesselnden Abends.