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Hofnarren mit politischer Stimme

An 20 Beispielen von Dietmar Dath bis Juli Zeh zeigt der Kultursoziologe Thomas Wagner, dass die engagierte Literatur nicht verschwunden ist - wenn sie vielleicht auch weniger präsent ist als zu Zeiten von Grass, Lenz und Böll.

Von Detlef Grumbach | 10.03.2011
    "Das ist sicherlich so, dass die engagierten Autoren in früheren Zeiten, in Zeiten der alten Bundesrepublik, anders wahrgenommen wurden als heute."

    Günter Grass, Siegfried Lenz und Heinrich Böll mischten sich ein in die Wahlkämpfe Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, galten als moralische Instanz, als das Gewissen der Nation. Sie und die Generation der 68er - F.C. Delius, Peter Schneider, Uwe Timm, um nur drei Beispiele zu nennen - äußerten sich gleichermaßen in ihrem literarischen Werk und mit der Reputation als Schriftstelle zu politischen oder sozialen Fragen, zur Ostpolitik, zu Abrüstung und Berufsverboten.

    Sie wollten als Schriftsteller und Staatsbürger ihren Beitrag leisten, die Gesellschaft verändern. Ihre Gewerkschaft, der VS in der IG Druck und Papier, wurde gehört. Und heute? 20 Jahre nach der Wende, nach einem verpufften Manifest für einen relevanten Realismus? Wie engagieren sich Schriftsteller heute? Dieser Frage ist der 1967 geborene Kultursoziologe Thomas Wagner nachgegangen. Er kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass sich auf Seiten der Autorinnen und Autoren wenig geändert hat:

    "Was ich aber festzustellen glaube, ist, dass die mediale Verstärkung eine andere ist. Man hat diese Stimmen früher größer gemacht als man sie heute macht. Heute diskutiert man darüber, wo sie denn geblieben sind, die kritischen Autoren, und damals hat man ihnen ein Forum geboten, was heute so nicht mehr da ist. Deswegen kann der Eindruck entstehen, dass die engagierte Literatur verschwunden ist, dabei ist sie nicht verschwunden. Um das zu belegen, habe ich diesen Band gemacht und an 20 Beispielen gezeigt: Da gibt es etwas."

    Zu diesen 20 Beispielen gehören Junge und Ältere, Bekanntere und Unbekanntere, Männer und Frauen. Es sind unter anderen: Dietmar Dath, Raul Zelik und Juli Zeh, Ilija Trojanow, Robert Menasse und Erasmus Schöfer, Michael Wildenhain, Sabine Kügler und Jürgen Todenhöfer, Wladimir Kaminer und Christine Lehmann.

    Am Anfang dieses Buchs stand sein eigenes Leseinteresse. Seit drei Jahren etwa hat Wagner die Autorinnen und Autoren, die er für sich neu entdeckt oder wieder gelesen hat, für verschiedene Zeitungen, meist für die "Junge Welt", interviewt. Irgendwann gewann dieses Projekt Kontur, hat er beschlossen, was als loses Work in Progress begonnen hat, auch zwischen zwei Buchdeckeln zu vereinen.

    Die Auswahl ist deshalb nicht zielgerichtet, repräsentativ, sondern eher zufällig. Wichtige Stimmen wie Sherko Fatah, Ulrich Peltzer oder Kathrin Röggla fehlen. Dennoch dokumentieren die Gespräche einen starken Akzent im Literaturbetrieb und unterstreichen vor allem die Breite der Themen und Politikfelder, um die Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich heute kümmern.

    "Es gibt Autoren, die haben sozusagen einen direkten Draht zu Welt in dem Sinne, dass sie aus multikulturellen Kontexten kommen. Ilija Trojanow wäre so ein Beispiel, der auf Deutsch schreibt in erster Linie, aber literarisch, politisch einen Horizont hat, der weit über die deutschen Verhältnisse hinausreicht und der Themen der Kulturvermischung nach vorne schiebt gegen die Diskussion, ob denn sich Kulturen bekämpfen und bekriegen müssen."

    Mit solchen Themen beschäftigen sich auch Sabine und Saddek Kebir. Michael Wildenhain und Erasmus Schöfer liefern Beiträge dazu, dass Literatur so etwas wie ein lebendiges Archiv vergangener Auseinandersetzungen ist und damit auch der Möglichkeiten, die in ihnen stecken. Dietmar Dath lotet Chancen und Grenzen seiner Utopien im Genre des Science Fiction oder Fantasie aus, etliche Autorinnen und Autoren stehen für den gesellschaftskritischen Kriminalroman.

    Über solche Strömungen hinaus registriert der Autor eine neue Belebung des literarisch-politischen Essays. Als Beispiele nennt er Dietmar Daths Manifest "Maschinenwinter”, Robert Menasses Vorlesung "Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung”, Ilija Trojanows und Juli Zehs Essay "Angriff auf die Freiheit” oder das kapitalismuskritische Gespräch, das Raul Zelik mit dem Politikwissenschaftler Elmar Altvater geführt hat: "Die Vermessung der Utopie”. Wie weit die Wirkung solchen Engagements reicht, weiß aber weder Thomas Wagner noch einer seiner Gesprächspartner einzuschätzen.

    "Dietmar Dath ist jemand, der sagt, wenn ich in der FAZ oder in irgendeiner Fernsehsendung einen klugen Satz sage, dann hat das schon einen Effekt, das ist also nicht bedeutungslos."

    Andererseits meint Dath in dem Gespräch, dass er diese Sätze nur sagen darf, weil seine Gegenüber sowieso denken: "Fabelhafter Dichter, aber halt verrückt." Sind "die Einmischer” - so der Titel der Interviewsammlung - also doch nur eine Art Hofnarren? Vielleicht.

    "Wobei Dath sagen würde, den Hofnarr sollte man aber auch nicht unterschätzen. Er ist natürlich nicht derjenigen, der auf eine direkte Weise politisch etwas bewegen könnte, sondern jemand, der immerhin die Möglichkeit hat, etwas öffentlich zu sagen und öffentlich wahrgenommen zu werden. Das ist nicht nichts."

    Schade ist, dass sich die Gespräche vorwiegend um politische Themen und Einschätzungen, um direktes Einmischen und seine Wirkung drehen. Literarische Programme und ästhetische Strategien, unterschiedliche Schreibweisen des Widerstands,spielen nur in Ausnahmen eine Rolle. Alles in allem bildet das Buch so eine recht vielstimmige Bestandsaufnahme. Es kann durchaus als Wegweiser dienen, der beim nächsten Besuch einer Buchhandlung durch die Regale führt. Darüber hinaus lautet das optimistische Fazit des Autors:

    "Dass man, nachdem einiges zerschlagen ist, im Grunde genommen wieder von Neuem anfängt. Und was mir aufgefallen ist bei den Autoren, die ich interviewt habe über mehrere Jahre, dass sie anfangen, sich gegenseitig wahrzunehmen. Dass Leute wie Dietmar Dath und Ilija Trojanow so jemanden wie Erasmus Schöfer für sich entdecken und Kontakt aufnehmen. Solche Geschichten. Also da ist eine Suchbewegung da, auch unter den Autorenkollegen, sich füreinander zu interessieren, den Kontakt zu suchen und wenn möglich auch zusammen zu arbeiten. "

    Thomas Wagner: "Die Einmischer. Wie sich Schriftsteller heute engagieren". Argument Verlag, Hamburg 2011, 213 Seiten, 14,90 Euro.