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Holocaust-Überlebender Max Mannheimer
Unermüdlicher Mahner gegen das Vergessen

Eigentlich wollte Max Mannheimer, ein jüdischer Kaufmannssohn aus Mähren, nie mehr deutschen Boden betreten. Doch der Überlebende mehrerer Konzentrationslager kehrte nach Deutschland zurück und hielt jahrzehntelang Vorträge, um an die NS-Zeit zu erinnern. Am 6. Februar 1920 wurde er geboren.

Von Otto Langels | 06.02.2020
    Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer starb im Alter von 96 Jahren.
    Max Mannheimer starb im Alter von 96 Jahren. (dpa/picture-alliance/Andreas Gebert)
    Max Mannheimer "Ein SS-Offizier steht vor uns, Obersturmführer, wird von einem Posten so angesprochen, vermutlich Arzt, in grüner Uniform. Mit Totenkopf." Max Mannheimer liest aus seinen Erinnerungen eine Passage über die berüchtigte Selektion im KZ Auschwitz-Birkenau. "Einzeln treten wir vor. Einige Antworten höre ich: Schlosser links, Verwalter rechts. Dann komme ich, 23 Jahre, gesund, Straßenbauarbeiter, links." Jahrzehntelang, bis kurz vor seinem Tod, tritt Max Mannheimer öffentlich auf, um die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachzuhalten.
    Geboren wird er am 6. Februar 1920 im mährischen Neutitschein in der Tschechoslowakei als ältestes von fünf Kindern eines jüdischen Kaufmanns. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in das Sudentenland im September 1938 glaubt sich die Familie immer noch vor der Verfolgung durch das NS-Regime sicher. "Mein Vater, ein Großhandels-Kaufmann mit Schokolade und anderen guten Dingen, politisch naiv, war der Meinung, weil er sieben Jahre treu dem Kaiser und König, dem Franz Josef I. von Österreich, treu gedient hat und pünktlich seine Steuern bezahlt hat, dass ihm nichts passieren würde." Stattdessen wird der Vater nach den Novemberpogromen 1938 vorübergehend inhaftiert, Sohn Max muss Schwerstarbeit im Straßenbau leisten. Im Januar 1943 deportiert die SS die gesamte Familie nach Auschwitz, wo bis auf die Brüder Max und Edgar alle Familienmitglieder ermordet werden.
    Die traumatischen Erinnerungen lassen ihn nicht los
    Die Brüder haben das Glück, zusammenzubleiben und landen schließlich im KZ Dachau, bis die Amerikaner sie Ende April 1945 befreien. Max Mannheimer, ausgezehrt und an Typhus erkrankt, ist knapp dem Tode entronnen. Er erholt sich und kehrt in seine mährische Heimat zurück. "Mein Entschluss stand fest, nach dem was passiert ist, nämlich der Verlust von sechs nächsten Verwandten, war ich fest entschlossen, nie mehr deutschen Boden zu betreten."
    Doch es kommt anders, er verliebt sich in eine Sudetendeutsche, eine Widerstandskämpferin. Er heiratet sie, mit der gemeinsamen Tochter zieht das Paar 1946 nach München, wo er sich eine Existenz als Kaufmann aufbaut. Die traumatischen Erinnerungen an die NS-Zeit lassen ihn aber nicht los. Er leidet unter Alpträumen und Depressionen, nimmt Schlafmittel und beginnt zu malen, um die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben. Fast 20 Jahre lang redet er nicht über das, was er erlebt hat. "In dem Nachlass meiner Frau, die `64 verstorben ist, fand ich die Kopie eines Briefes an einen guten Freund. Und da stand: Max, obwohl er nie in einem Getto gelebt hat, hat sich ein Getto selbst aufgebaut."
    Einer der letzten Zeitzeugen des Nationalsozialismus
    Jetzt erst schreibt er seine Erinnerungen auf, 1976 erstmals veröffentlicht in den Dachauer Heften. Seitdem geht er an die Öffentlichkeit, tritt als Zeitzeuge vor Schulklassen oder Besuchergruppen in Gedenkstätten auf, engagiert sich im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Selbst im hohen Alter nimmt er noch bis zu 100 Termine im Jahr wahr, ein unermüdlicher Mahner gegen das Vergessen. "Viele fragen, ob es einen Sinn hat, über diese Zeit zu sprechen. Und ich sage, es ist so wie bei Medikamenten: Man weiß nicht, wie sich der Körper verhalten würde, wenn man keine Medikamente nehmen würde. Und das Medikament heißt Demokratie, Demokratie und nochmal Demokratie."
    Max Mannheimer ist darüber hinaus in der Gedenkstätte Dachau aktiv und übernimmt 1988 den Vorsitz der Lagergemeinschaft. In dieser Funktion empfängt er, als 93-Jähriger im Rollstuhl sitzend, im Jahr 2013 Bundeskanzlerin Angela Merkel. Keiner ihrer Amtsvorgänger hat bis dahin das ehemalige KZ besucht.
    Angela Merkel und Max Mannheimer: "Die Erinnerung an diese Schicksale erfüllt mich mit tiefer Trauer und mit Scham." - "Frau Bundeskanzlerin, ich habe zwei Büchlein geschrieben. Eins endet: Wir sind frei. Ich freue mich, Ihnen diese Bücher übergeben zu können." - "Ganz herzlichen Dank, Herr Mannheimer." - "Gern geschehen."
    Max Mannheimer, einer der letzten Zeitzeugen des Nationalsozialismus, eine Jahrhundertgestalt, stirbt am 23. September 2016 in München im Alter von 96 Jahren.