Kommentar zu Aiwanger
Demut wäre ein erster Schritt

Das antisemitische Flugblatt in der Schultasche Hubert Aiwangers lasse sich kaum als Jugendsünde abtun, kommentiert Tobias Krone. Ein Rücktritt würde ihn jedoch eher stärken. Für Aiwanger gebe es einen anderen Weg, Verantwortung zu übernehmen.

Ein Kommentar von Tobias Krone | 28.08.2023
Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, bei einem Wahlkampfauftritt
Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, sollte aus seinem Image heraustreten, meint Tobias Krone. (IMAGO / Wolfgang Maria Weber )
Um hier mal der gerade überall flottierenden Medienkritik zu begegnen – und ihr gleichzeitig selbst zu entgehen, wollen wir kurz das betrachten, was sich in der Affäre um Hubert Aiwanger als Fakt bezeichnen lässt.
Als Fakt bezeichnet man hier wohl die Schnittmenge dessen, was die Verdachtsberichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ behauptet, und das, was am Abend danach Aiwanger selbst behauptet hat: Es wurden ein oder mehrere der antisemitischen und rechtsextremistischen Flugblätter beim Minderjährigen Hubert Aiwanger in der Schultasche gefunden. Ob er sie verteilt habe, wisse er nicht mehr.

Das Papier lässt sich nicht als Jugendsünde abtun

Diese Schnittmenge ist im Grunde gar nicht so wenig. Und der gesunde Menschenverstand, auf den sich der Politiker Aiwanger beständig beruft, dürfte selbst genug Fantasie entwickeln, wie diese Flugblätter, als deren Urheber sich jüngst Aiwangers Bruder Helmut selbst bezichtigt hat, wohl in die Schultasche gekommen sein könnten.

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Die stringente Sprache des Papiers lässt sich nur sehr schwer als Jugendsünde abtun – zumal im Schuljahr 1987/88. Eine Zeit, in der der Historikerstreit noch präsent ist: Welchen Stellenwert in der deutschen Geschichte hat Auschwitz? Darüber debattierte damals die Geschichtswissenschaft – und die Gesellschaft. Egal, auf welcher Seite man stand, man hat damals ganz genau gewusst, was es heißt, das Wort Auschwitz zu verwenden.

Aiwanger sollte aus seinem Image heraustreten

Aiwanger ist ein Minister und trägt gesellschaftliche Verantwortung. Doch mit seinem starken Dialekt, seinen stets manuskriptfreien Reden, mit etwas unbeholfenen Begriffen nach der Art „heimische Schneekanone“, führten politische Beobachter ihn sehr lange als harmlose Unschuld vom Lande. Man sprach ihm seine große Intelligenz ab, einen politischen Instinkt, mit dem er mal Impfgegner mal die johlende Menge von Erding begeisterte – letztere mit AfD-Parolen. Aiwanger sollte spätestens jetzt aus diesem Image heraustreten – in seinem eigenen Interesse und im Interesse der Gesellschaft.

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Man solle ihn doch daran messen, was er getan habe – und nicht an diesem Flugblatt aus der Jugendzeit, entgegnen gerade einige. Aber genau das ist die Besonderheit des Holocaust und der Verantwortung eines jeden Menschen: Gegenüber dem Holocaust muss sich jeder fragen lassen, was er nicht gemacht hat. Das klingt relativ abstrakt.

Rücktritt würde Aiwanger zum Märtyrer machen    

Aiwanger lässt sich zumindest attestieren, dass er sich mit seinen teils beleidigenden Twitter-Salven und ausgrenzenden Bierzeltreden schon sehr lange nicht mehr um ein Klima der Verständigung gekümmert hat, geschweige denn um ein gesundes Zusammenleben in diesem Land.
Was ein erster Schritt für Aiwanger wäre, diese Verantwortung zu übernehmen? Nein, kein Rauswurf, auch kein Rücktritt, um dann gänzlich zum Märtyrer der Meute in den sozialen Medien aufzusteigen. Es würde vielleicht schon einmal ein Hinweis reichen, dass ihm die Flugblätter in seiner Tasche aufrichtig leidtun. - Demut, eine menschliche Regung.