Samstag, 27. April 2024

Recherche zu Hubert Aiwanger
Kritik an der Berichterstattung der SZ

Vor 35 Jahren wurde aus Hubert Aiwangers Familie antisemitische Hetze verbreitet. Doch nicht nur er, sondern auch die „Süddeutsche Zeitung“, die das aufdeckte, steht in der Kritik. Warum? Die Vorwürfe im Überblick.

Text: Michael Borgers | Stefan Niggemeier im Gespräch mit Sören Brinkmann | 28.08.2023
Hubert Aiwanger von hinten, wie er vor Menschen spricht
Hubert Aiwanger ist Gast beim Rinderzuchtverband Franken - einen Tag nach der SZ-Berichterstattung (picture alliance / dpa / Pia Bayer)
Markus Söder zeigt sich alarmiert. Es gehe um das "Ansehen Bayerns", ließ der bayerische Ministerpräsident über seine Staatskanzlei gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mitteilen. Es gebe noch viele offene Fragen. Deshalb habe man eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen.
Hintergrund sind Vorwürfe gegen seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger, bayerischer Wirtschaftsminister und als Chef der Freien Wähler einer der Hauptkonkurrenten von Söders CSU bei der Landtagswahl Anfang Oktober.

Die Vorwürfe von "Seite Drei"

Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) hatte am Samstag auf ihrer renommierten "Seite Drei'" über ein Flugblatt berichtet, das vor gut 35 Jahren am Burkhardt-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg in Niederbayern gefunden wurde. Auf diesem einseitigen Blatt unter der Überschrift „Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ werden „Preise“ ausgelobt wie ein, so wörtlich, „Freiflug durch den Schornstein in Ausschwitz“. Ein von der SZ beauftragtes Gutachten weist nach, dass das Papier "sehr wahrscheinlich" auf derselben Schreibmaschine getippt wurde wie eine spätere Facharbeit Hubert Aiwangers am Gymnasium.

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Dass der Inhalt des Flugblatts „ekelhaft und menschenverachtend“ ist, räumt Aiwanger selbst ein. „Ein oder wenige“ Exemplare seien damals zwar in seiner Schultasche gefunden worden, er habe den Text aber nicht verfasst, betont der Politiker. Und kurz nach Veröffentlichung des SZ-Artikels gibt sein Bruder bekannt, Urheber der wohl 1988 verfassten Worte gewesen zu sein.
Die Debatte um das „Ausschwitz-Pamphlet“, wie die Tageszeitung die Geschichte ihrer fünf Autorinnen und Autoren überschreibt, dauert seitdem an. Eine offene Frage ist, warum sich Aiwangers Bruder nicht bereits im Laufe der SZ-Recherchen als Verfasser zu erkennen gegeben hat. Aber auch die SZ selbst muss sich Fragen und Kritik gefallen lassen.

Die Kritik an der SZ

Die Verdachtsberichterstattung in diesem Fall sei „klar rechtswidrig“, stellt auf der Plattform X etwa der Kölner Medienrechtsanwalt Carsten Brennecke fest: Die Informationen zum Verdacht gegen Aiwanger seien frei abrufbar, sein Dementi hingegen hinter einer Paywall versteckt.

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Der (auch fürs Deutschlandradio tätige) Journalist Timo Rieg kritisiert in seinem medienkritischen Blog SpiegelKritik, der SZ-Text sei ein Beispiel „für die derzeit ausufernde Verdachtsberichterstattung, die sich ihrer eigenen Grundlagen nicht sicher ist“. Im Gegensatz zu Berichten etwa über Rammstein-Frontmann Till Lindemann behaupte die SZ aber nicht einmal, dass ihr eidesstattliche Versicherungen von Zeugen vorlägen.
Die SZ behandle anonyme Aussagen wie Tatsachen und verwechsele Journalismus mit Aktivismus, heißt es in der „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ). Die SZ nenne zwar „rund zwei Dutzend Personen“, mit denen sie gesprochen habe, zitiere aber niemanden mit Namen. Der NZZ-Autor unterstellt der Münchner Redaktion deshalb „Absicht“ und fordert „personelle Konsequenzen“.

Kritiker Niggemeier: Wertende Berichterstattung

Ähnlich sieht das Stefan Niggemeier. In seinem Portal "Übermedien" erinnert der Medienjournalist an die Berichterstattung über den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Diese sei damals teilweise offenkundig angetrieben gewesen von dem Ziel, „ihn (also Wulff) endlich wegzubekommen“.
Nun, bei Aiwanger, gebe die SZ „all jenen Munition (…), die ihr unterstellen, eine Agenda zu haben: Aiwanger kurz vor der Wahl wegzuschreiben“, findet Niggemeier und kritisiert eine „wertende Art der Berichterstattung“.

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„Es wäre gut gewesen, sich unangreifbar zu machen“, ergänzt Niggemeier im Interview mit dem Deutschlandfunk. Stattdessen stelle die SZ eine große Nähe zwischen dem Flugblatt damals und Aiwangers Politik heutzutage, 35 Jahre später, her.
Ein weiteres Problem sieht der Journalist darin, dass Aiwanger 1988 minderjährig gewesen sei und die ganze Episode mit der Schule in einem eigentlich geschützten Raum stattgefunden habe. Andererseits dürfe man aber auch nicht so tun, als wisse ein 17-Jähriger noch nicht, um welche Inhalte es da gehe, so Niggemeier.
Vor der Sendung hatten wir der "Süddeutschen Zeitung" einige Fragen gestellt. In einer Antwortmail erklärte ein Verlagssprecher nach Ende der Sendung, man konzentriere sich aktuell auf die Recherchen zum Thema Aiwanger und Flugblatt, werde diese "weiter vorantreiben" und wolle sich deshalb zum heutigen Zeitpunkt nicht zu den Fragen äußern.

Professor Reinemann: Eindruck des Niederschreibens

„Ganz abgesehen von einer juristischen Dimension stellt sich für mich die Frage, ob man als eines der wichtigsten, einflussreichsten und die Maßstäbe journalistischer Qualität mitbestimmendes Medium in Deutschland so eine Geschichte in dieser Weise hochziehen muss, um gewissermaßen eine Linie vom Jung-Nazi zum Alt-Populisten zu ziehen“, gibt der Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinemann gegenüber dem Deutschlandfunk zu bedenken.

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Als Populismusforscher halte er „Aiwangers rechtspopulistischen Sound für extrem problematisch“, betont Reinemann. Aber es entstehe der Eindruck: „Wir schaffen es anders nicht, da bleibt nur der Blick in seine Jugend.“
„Selbst wenn man sich entscheidet, das zu bringen, sollte man sich gerade dann darum bemühen, Fakten, Bewertungen und Raunen sauber zu trennen und den Eindruck, man wolle da jemanden auf Teufel komm raus niederschreiben, nicht auch noch befördern“, fordert Reinemann.

Und dann noch die Folgeberichterstattung

Einer der Vorwürfe gegen den Journalismus sei ja, dass Nachricht und Meinung immer mehr verwischen. „Leider ist die Art der Aufbereitung hier nicht geeignet, diesen Vorwurf zu widerlegen.“   
Auch die Wirkungen der Veröffentlichung in der eigenen Folgeberichterstattung als quasi unabhängig vom eigenen Tun darzustellen, halte er für problematisch, so Reinemann. Der Wissenschaftler bezieht sich damit auch auf die "Seite Drei" von Montag, die zwei Tage nach der Seite zum „Ausschwitz-Pamphlet“ erschienen ist. Hier thematisieren dieses Mal sieben Autorinnen und Autoren unter der Überschrift „Söders Dilemma“ die zurückliegenden Tage und ihre Folgen für Markus Söder. Auf die Medienkritik an der eigenen Rolle geht die SZ dabei nicht ein.
Eigentlich müsse beides möglich sein, wünscht sich Medienkritiker Stefan Niggemeier im Deutschlandfunk: Eine Debatte über das, woran Hubert Aiwanger als Schüler möglicherweise beteiligt war - und eine darüber, was die SZ 35 Jahre später daraus gemacht hat.