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Hubertus Heil (SPD) zur Grundrente
"Das muss sich dieses Land leisten"

2021 wird die Grundrente in Deutschland eingeführt. Die Große Koalition hat sich jetzt darauf geeinigt, dass sie nicht über Sozialbeiträge, sondern über Steuereinnahmen finanziert wird. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte im Dlf, die Grundrente sei eine Frage der Leistungsgerechtigkeit.

Hubertus Heil im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, wartet auf den Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung im Kanzleramt.
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales (dpa/Michael Kappeler)
Über die Finanzierung der Grundrente herrschte lange Uneinigkeit in der Großen Koaltion. Die CDU hatte etwa eine Auzahlung im Rahmen der Sozialhilfe vorgeschlagen. Doch für Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wäre das ein falsches Signal gewesen. Er betonte im Dlf, dass es bei der Grundrente nicht um Bedürftigkeit gehe, sondern um erworbene Lebensleistung. Darum begrüßt er die Finanzierung durch zusätzlich bereitgestellte Bundesmittel und die Auszahlung über die Rentenkasse.
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Mit der Grundrente sollen Menschen, die lange gearbeitet haben, aber nur wenig Rente bekommen, einen Bonus erhalten. Jetzt hat sich die Große Koalition auf eine Finanzierung geeinigt.
Jörg Münchenberg: Herr Heil, wie groß ist Ihr heimlicher Triumph, dass die Union jetzt doch einem Vorhaben zustimmt, das sie vom Ansatz her eigentlich strikt ablehnt?
Heil: Ich freue mich vor allen Dingen für diejenigen, die jetzt von der Grundrente profitieren werden. Es geht hier um Kassiererinnen, um Lagerarbeiter, um Altenpflege-Helferinnen, und gerade in diesen Corona-Zeiten sind die alle als Helden des Alltags bezeichnet worden. Die haben mehr verdient als warme Worte, sondern im Alter auch eine ordentliche Absicherung. Und deshalb: Das ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Das steht für mich im Vordergrund.
"Es geht nicht zu Lasten des Rentenniveaus"
Münchenberg: Darauf kommen wir gleich noch mal zu sprechen. Lassen Sie uns vielleicht mal anfangen mit der umstrittenen Finanzierung. 1,5 Milliarden Euro kostet das Projekt, Tendenz deutlich teurer, nicht finanziert über eine Finanztransaktionssteuer, sondern jetzt aus Steuermitteln. Ist das eine seriöse Rentenpolitik?
Heil: Mir ist vor allen Dingen wichtig, dass die Grundrente aus Steuern finanziert wird und nicht aus Beiträgen, aus Sozialversicherungsbeiträgen. Beim Thema Mütterrente gab es ja erhebliche Diskussionen. Ich bin froh – und das ist eine solide Finanzierung -, dass diese Leistung für die Menschen, die sich das verdient haben, aber die nicht beitragsgedeckt ist, tatsächlich aus dem Bundeshaushalt finanziert wird. Das heißt, es geht nicht zu Lasten der Rentenversicherungsbeiträge oder des Rentenniveaus, und das ist eine vernünftige Finanzierung. Die haben wir miteinander gewuppt und das muss sich dieses Land auch leisten an dieser Stelle.
Münchenberg: Herr Heil, wenn Sie mir erlauben, dass ich da noch mal einhake. Ursprünglich war ja die Ansage, Finanzierung durch die geplante Finanztransaktionssteuer, und über die wird ja in Europa schon seit Jahren gestritten. War der Ansatz nicht von vornherein sehr wackelig?
Heil: Im Gesetzentwurf ist ganz klar, dass es um einen Bundeszuschuss aus dem Bundeshaushalt geht. Politisch ist tatsächlich vereinbart worden, dass man dazu auch eine Finanztransaktionssteuer heranziehen will. Allerdings ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die im europäischen Geleitzug zu erfolgen hat, und es haben sich in Europa noch nicht genug Staaten darauf committet. Es sind eine Reihe von Staaten dabei, aber das wird kommen und daran arbeitet der Finanzminister. Aber es ist richtig, dass wir die Grundrente jetzt einführen und nicht auf andere europäische Staaten warten, und sie soll zum 1. Januar in Kraft treten. Sie ist längst überfällig.
"Es geht um Respekt vor Lebensleistung"
Münchenberg: Ist denn trotzdem schon absehbar, wie das künftig finanziert werden soll, weil die Union ja bislang sagt, okay, wir stimmen jetzt zu, aus Steuermitteln ja, aber wir wollen eine andere Finanzierungsquelle haben?
Heil: Nein, es ist ganz deutlich, dass wir das über einen Bundeszuschuss aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung tragen, und das ist das, was zählt. Ich halte das für keinen Pappenstiel. Das ist ein erheblicher Betrag. Aber dieses Land kann und muss das leisten. Es geht am Ende des Tages um Respekt vor Lebensleistung, vor allen Dingen von Frauen, die mindestens 33 Jahre gearbeitet haben, die Kinder erzogen haben, die Angehörige gepflegt haben. Das muss es unserer Gesellschaft auch wert sein. Deshalb ist es richtig, das aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.
Münchenberg: Sie sagen, Respekt vor Lebensleistung. Auf der anderen Seite werden ja von dieser Grundrente viele Menschen ausgeschlossen werden, nämlich Langzeitarbeitslose, kleine Selbständige oder auch Erwerbsunfähige. Die werden ja keine Grundrente bekommen. Ist dann dieses Reformvorhaben wirklich sozial gerecht?
"Es profitieren vor allen Dingen Frauen"
Heil: Es ist vor allen Dingen wichtig für die Menschen, um die es konkret geht. Das sind 1,3 Millionen Menschen. Und das sind diejenigen, die Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt haben. Und es profitieren vor allen Dingen Frauen übrigens besonders in Ostdeutschland davon, weil die ihr Leben lang gearbeitet haben, aber nur aufgrund von viel zu niedrigen Löhnen am Ende des Tages nicht viel mehr haben als die Grundsicherung.
Ich mache es mal an einem konkreten Beispiel. Ich kenne eine Frau aus Bochum. Die arbeitet im Krankenhaus, nicht als Chefärztin, sondern die putzt da die Betten. Die steht jetzt mitten im Leben. Nach geltender Rechtslage hat sie Rentenversicherungsansprüche von 750 Euro, wenn sie am Ende des Tages da ist. Das ist ein systemrelevanter Beruf. Es geht um Hygiene in Krankenhäusern. Nach der Grundrente hat sie weit über 1000 Euro. Das ist auch noch kein Reichtum, aber für die macht das einen heftigen Unterschied.
"Es ist ein Baustein im Kampf gegen Altersarmut"
Das heißt, ich sage nicht, dass das alle sozialen Fragen in der Alterssicherung beantwortet. Es ist ein Baustein im Kampf gegen Altersarmut, aber vor allen Dingen geht es um Leistungsgerechtigkeit gegenüber den Menschen, wie gesagt, die heftig gearbeitet haben. Alle anderen Maßnahmen muss man besprechen. Da geht es vor allen Dingen darum, dass wir zukünftig auch zu besseren Löhnen kommen. Deshalb bin ich ja für die Erhöhung des Mindestlohns. Aber jetzt geht es darum, dass die, die darauf einen Anspruch haben, es endlich auch bekommen.
Münchenberg: Aber der Vorwurf geht ja auch schon in die Richtung, dass man nicht sagt, viele finden den Ansatz insgesamt gut zu sagen, kleine Einkommen sollen später einen Zuschuss bekommen, aber das Problem ist, dass diese Grundrente auch neue Privilegien und neue Ungerechtigkeiten schafft, zum Beispiel über die 33 Beitragsjahre.
Heil: Nein, das sind keine Privilegien, sondern das sind Voraussetzungen. Es geht ja darum, dass wir über die Rentenkasse feststellen können, wer tatsächlich so lange eingezahlt hat. Die meisten Menschen übrigens arbeiten mehr als 33 Jahre. Das heißt, es profitieren sehr, sehr viele Menschen davon. Und richtig ist, dass Arbeit einen Unterschied machen muss an dieser Stelle. Wir haben ein System der Grundsicherung, das steht jedem zu, der im Alter nicht über die Runden kommt. Aber wir wollen, dass diejenigen, die tatsächlich die Voraussetzungen erfüllt haben, deutlich mehr haben als die Grundsicherung.
"Das ist erworbene Lebensleistung"
Münchenberg: Warum hat man nicht trotzdem diesen Zuschuss über die Sozialhilfe geregelt? Das war ja ein Vorschlag der Union.
Heil: Weil es tatsächlich nicht um eine Sozialleistung im Sinne von Bedürftigkeit geht, sondern um erworbene Lebensleistung. Das ist das System der Rente. Und wenn es eine Grundrente sein soll, die den Namen auch verdient, dann geht es um Ansprüche.
Mir war übrigens wichtig, dass die Grundrente tatsächlich nicht beantragt werden muss, dass man nicht dicke Formulare ausfüllen muss, sondern dass wir klären, wem die Rente zusteht. Das ist erworbene Lebensleistung und kein Almosen des Staates.
Münchenberg: Auf der anderen Seite gehört doch auch zur Vollständigkeit: Weil bestimmte Menschen ausgeschlossen werden, taugt die Grundrente jetzt kaum als Instrument zur Bekämpfung der Altersarmut.
Heil: Nein, das ist ein Beitrag im Kampf gegen Altersarmut, weiß Gott nicht der einzige, der notwendig ist. Ich habe ja vorhin davon gesprochen, dass Altersarmut meistens das Ergebnis von Armut im Erwerbsverlauf ist. Deshalb brauchen wir höhere Löhne, höhere Mindestlöhne, auch mehr Tarifbindung. Das ist eine Baustelle, die ist noch zu beackern. Aber die Grundrente leistet einen Beitrag im Kampf gegen Altersarmut. Sie ist aber vor allen Dingen eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Beides sind die Ziele des Koalitionsvertrages und deshalb setze ich das auch um.
"Es wird aber rückwirkend ausgezahlt"
Münchenberg: Noch ein Punkt, der auch kritisiert wird, weil Sie sagten, Anerkennung von Lebensleistung. Die Einkommensprüfung ist trotzdem extrem aufwendig. Viele werden ihr Geld ja erst später ausgezahlt bekommen. Wird das bei vielen Geringverdienern dann nicht neuen Frust auslösen?
Heil: Nein, das war ein Kompromiss. Das war auch ein Wunsch der Union. Ich hätte mir das durchaus ursprünglich anders vorstellen können. Aber ich stehe zu dieser Lösung und wir kriegen das auch hin. Wissen Sie, die Frage der Umsetzung ist eine technische. Es wird ja niemand zum 1. Januar, wenn die Grundrente in Kraft steht, seinen Anspruch verlieren, sondern es wird dann ein paar Monate später sein. Es wird aber rückwirkend ausgezahlt. Und es ist eigentlich auch ein Beispiel, wie der Staat funktionieren soll, dass wir zwischen Finanzverwaltung und Rentenversicherung die Fragen klären und die Menschen nicht mit Anträgen belästigen oder mit Bürokratie. Das finde ich eigentlich wegweisend. Wenn das in anderen Bereichen unseres Staates mal gelingt, dass der Staat die Fragen klärt und nicht die Menschen behelligt mit Bürokratie, dann kommen wir weiter. Insofern: Das ist nicht schön, dass das verzögert ausgezahlt wird, aber in diesen Pandemie-Zeiten auch nicht anders zu handhaben, weil es durchaus am Anfang voraussetzungsvoll ist. Aber es wird den Menschen zugutekommen, die sich das verdient haben.
"Wir müssen Bürokratie abbauen"
Münchenberg: Sie sagen, der Staat soll funktionieren, Herr Heil. Auf der anderen Seite: Die Rentenkasse beziffert den Verwaltungsaufwand allein auf 400 Millionen Euro. Die Deutsche Rentenversicherung sagt, wir brauchen 1000 neue Mitarbeiter. Da stellt sich ja schon die Frage nach Aufwand und Ertrag.
Heil: Aber noch mal: Das ist am Anfang so. Das System wird sich einpendeln. Und wenn wir das schaffen, dann halten wir Bürgerinnen und Bürger, die sich das erworben haben, von Bürokratie frei. Dann klären wir die Rentenkonten, dann machen wir einen automatischen Abgleich mit der Finanzverwaltung, wem die Rente zusteht, und die Leute bekommen das. Das halte ich in einem modernen Staat für wegweisend.
Wir müssen Bürokratie abbauen. Ich glaube, dass viel Frust in diesem Land entsteht, dass Menschen nicht zu ihrem Recht kommen, weil sie tonnenweise Anträge ausfüllen können. Gerade bei der Rente wäre das hoch ärgerlich an dieser Stelle. Deshalb: Das ist anfangs Aufwand für die Rentenversicherung. Das ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch eine starke Belastung. Das weiß ich sehr wohl. Aber es ist der richtige Weg, damit die Grundrente in Deutschland bürokratiearm für die Bürgerinnen und Bürger kommt.
"Für mich ist die Grundrente ein Herzensanliegen"
Münchenberg: Wird die Grundrente der SPD mehr Unterstützung bei den Wählern bescheren? Man muss ja sagen, bislang haben die Sozialdemokraten auch von der Corona-Krisenpolitik zum Beispiel im Gegensatz zur Union kaum profitiert.
Heil: Herr Münchenberg, ob Sie es glauben oder nicht: Für mich ist die Grundrente ein Herzensanliegen, keine taktische Frage.
Münchenberg: Aber so ganz selbstlos wird die SPD das ja nicht gemacht haben.
Heil: Ja! Aber glauben Sie es oder nicht. Ich denke an die Leute, die was davon haben, und es ist ja eine Frage des Vertrauens. Wir haben ja erlebt, dass das Vertrauen in unsere soziale Marktwirtschaft, in unsere Demokratie gelitten hat, weil Leute jeden Tag sich abrackern und das Gefühl haben, sie haben am Ende des Tages nicht den Lohn und auch die Alterssicherung, die ihnen zusteht. Das ist das, was unsere Gesellschaft braucht, dass wir in dieser Corona-Krise grundlegende Konsequenzen ziehen, dass wir nicht nur im Bundestag applaudieren für die sogenannten Heldinnen und Helden des Alltags, sondern dass die Menschen, die hart arbeiten, am Ende des Tages ordentliche Löhne bekommen und auch eine bessere Alterssicherung. Ja, dafür steht die SPD. Das ist doch gar keine Frage. Das ist auch unser Job. Aber die Frage, ob man damit Wahlen gewinnt, steht für mich nicht im Vordergrund, sondern erst mal die Menschen, die das bekommen.
Münchenberg: Herr Heil, jetzt kommt die parlamentarische Sommerpause. Dann rückt auch die Bundestagswahl immer näher. Ist das das letzte größere Reformprojekt, das die Große Koalition noch zustande bringt?
Heil: Nö, ich habe noch viel vor in dieser Regierung. Wir haben beispielsweise die Aufgabe, dass wir auch Selbständige absichern, besser absichern in der Alterssicherung. Ich werde Vorschläge machen, wie wir den Mindestlohn weiterentwickeln. Also, ich glaube, es ist noch keine Zeit für Wahlkampf, und wir haben die große Frage nach wie vor zu managen, wie kommen wir gut durch die Krise, wie kommen wir besser durch die Krise, wie sichern wir Arbeitsplätze in diesem Land. Wahlkampf ist in einer Demokratie notwendig, aber Wahlkampf zur Bundestagswahl ist im nächsten Jahr. Die Regierung muss und soll weiterarbeiten. Dafür stehe ich.
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