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Humanitäre Hilfe in Syrien
"Zunahme von Hunger führt zu erhöhter Migration"

David Beasley vom World Food Programme hat die Bedeutung der Ernährungshilfe in Syrien betont. Eine Zunahme von Hunger führe zu erhöhter Migration, sagte er im Dlf. Doch die Menschen wollten eigentlich ihre Heimat nicht verlassen. Hilfe im Land selbst sei zudem erheblich kosteneffizienter.

David Beasly im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    David Beasley, Direktor des Welternährungsprogramms
    "Leider haben wir nicht genug, um wirklich jeden Menschen satt zu kriegen. Aber immerhin können wir den Kindern bieten, sodass die Menschen ihre Heimat nicht verlassen", sagte David Beasley im Dlf (imago stock&people)
    Mario Dobovisek: Jeder Vorstandschef freut sich darüber, wenn sein Unternehmen wächst, wenn die Zahlen immer imposanter werden, der Umsatz steigt. Anders ist das bei David Beasley. Er ist Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, des World Food Programme, des WFP. Es wächst und wächst, weil Leid und Hunger weltweit zunehmen - zum Beispiel in Syrien, wo seit Jahren Bürgerkrieg herrscht und die jüngste Eskalation im Streit um einen möglichen Giftgas-Angriff in Duma wenig Hoffnung auf baldigen Frieden lässt. Mit David Beasley habe ich gestern Nachmittag gesprochen und ihn eingangs gefragt, wie er die Situation der Menschen in Syrien im Moment beschreiben würde.
    David Beasley: Syrien stellt uns vor viele neue Probleme, vor allem in der letzten Zeit. In mancher Hinsicht wird es besser; in vieler anderer Hinsicht wird es aber schlechter. Wir unterstützen mit Nahrung weiterhin mehr als 5,5 Millionen Menschen, auf Jahresdurchschnitt gerechnet. Wir haben auch ausreichende Mittel, um all diese Menschen zu ernähren, aber nicht mit den hochwertigen Nahrungsmitteln und in dem Umfang, wie wir das gerne hätten.
    Das Interview im englischen Originalton können Sie hier nachhören.
    "Zunahme des Hungers führt zu einer erhöhten Migration"
    Dobovisek: Was brauchen die Menschen in Syrien derzeit am dringendsten?
    Beasley: Was wir vor allem dringend benötigen, ist Stabilität in diesen Konfliktzonen. Wir brauchen zweitens Zugang zu den Gegenden, in denen der Konflikt noch weiter ausgefochten wird. Und drittens brauchen wir Geldmittel, um das zu leisten. Wir haben im Moment zwei Drittel der benötigten Mittel, um die nächsten sechs Monate abdecken zu können. Leider haben wir nicht genug, um wirklich jeden Menschen satt zu kriegen. Aber immerhin können wir den Kindern bieten, was sie brauchen, und auch gewisse Lücken füllen, sodass die Menschen ihre Heimat nicht verlassen.
    Erstens werden wir tun, was wir können. Zweitens lernen wir aus unserer historischen Erfahrung, dass Menschen sich auf den Weg machen, wenn sie nicht genug zu essen haben. Wir wissen, dass eine Zunahme des Hungers um ein Prozent zu einer um zwei Prozent erhöhten Migration führt. Die Menschen werden sogar, ehe sie das Land verlassen, zwei- oder dreimal innerhalb ihres Heimatlandes sich umsiedeln, bevor sie dann das Land verlassen.
    Dobovisek: Der Schlüssel für Migration und Flucht ist Ihrer Meinung nach also Nahrung?
    Beasley: In der Tat. Ernährung ist das A und O im Bereich der Migration. Unsere eigenen Studien zeigen es. Die Menschen wollen eigentlich ihre Heimat nicht verlassen, in der sie seit Generationen gelebt haben. Das zeigen unsere Untersuchungen zu Afrika, zu Asien immer wieder. Sobald aber nicht genug Nahrung da ist - man will seine Familie, man will die Knaben und man will die Mädchen ernähren, weil man will, dass sie überleben und gesund leben. Und wenn man das an dem Ort nicht mehr schafft, wo man gerade ist, dann wird man einen Ort suchen, wo das möglich ist.
    "Die Syrer wollen ihr Land grundsätzlich nicht verlassen"
    Dobovisek: Wenn wir noch einmal zusammen nach Syrien blicken, würde ich sagen, die Syrer brauchen vor allem Frieden, ein Ende des Krieges. Jetzt haben die USA zusammen mit Frankreich und Großbritannien gemeinsam Ziele in Syrien angegriffen. Verschlimmert diese jüngste Eskalation die Lage der Menschen in Syrien noch?
    Beasley: Ja, die Eskalation hat die Lage bis zu einem gewissen Punkt verschärft. Hoffentlich aber ist das ein einmaliger Schlag gewesen, der mittlerweile zur Vergangenheit gehört, und wie Sie wissen, hat ja die syrische Armee im Bereich Ghouta im Wesentlichen die Kontrolle wieder übernommen.
    Dobovisek: War es ein Fehler, Herr Beasley?
    Beasley: Diese Frage überlasse ich den politischen Führungsgestalten. Wir haben es mit den Auswirkungen zu tun, wie auch immer sie ausfallen. Wir sind als humanitäre Akteure neutral im Einsatz und wir überlassen die politische Bewertung den politischen Führern.
    Eines aber ist sicher: Egal wie es aussieht, dieser Krieg muss ein Ende finden, denn er hat die Existenz so vieler Kinder verhehlt in diesem Land, ganz abgesehen von den Auswirkungen auf die Region. Wir haben Flüchtlinge, die, wie Sie wissen, nach Deutschland kommen, in die Türkei, nach Jordanien, Libanon, Irak, in andere Länder, auch nach Ägypten. Es sind 5,6 Millionen Flüchtlinge in anderen Ländern, zusätzlich zu den etwa fünfeinhalb Binnenflüchtlingen, die innerhalb des Landes vertrieben sind.
    Wir ernähren etwa fünfeinhalb Millionen im Lande selbst. Wir unterstützen Millionen von Flüchtlingen in Libanon, wie Sie wissen. Zusätzlich muss erwähnt werden das Kostenargument. Die Ernährung kostet in Syrien uns etwa 50 Cent pro Tag. In Berlin dagegen kostet die humanitäre Versorgung und Ernährung eines Flüchtlings pro Tag etwa 50 Euro. Erstens geht man davon aus, dass die Syrer ja ihr Heimatland grundsätzlich nicht verlassen wollen. Zweitens haben wir einen viel höheren Gegenwert, wenn wir Hilfe im Land selbst leisten. Es ist einfach unendlich viel kosteneffizienter und wir tun das, was wir in Syrien selbst tun können.
    "Terroristischen Gruppen verwenden Ernährung als eine Waffe zur Rekrutierung neuer Kämpfer"
    Dobovisek: Jeder drängt jetzt derzeit auf eine diplomatische Lösung, nicht gerade eine neue Idee. Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht eine schnelle diplomatische Lösung? Ich frage Sie auch, weil Sie ein Politiker in den USA waren.
    Beasley: Ja, in der Tat. Und ich war auch als Politiker in Syrien vor Ort, in Damaskus, und ich muss sagen, vor 30 oder 60 Tagen war ich naiv genug zu hoffen, dass der Syrien-Krieg bis Ende 2018 beigelegt sein könnte. Ich bin jetzt nicht mehr so sicher, aber ich hoffe es immer noch, denn die Menschen verdienen es. Sie brauchen es gerade jetzt. Und die Welt insgesamt braucht es genau jetzt, denn eines müssen wir auch bedenken: Die Zunahme des Hungers in den letzten Jahren, weltweit betrachtet, und insbesondere der extreme Anstieg des Hungers in den letzten beiden Jahren ist zurückzuführen auf Konflikte bewaffneter Art.
    Wir haben einen Anstieg der Hungernden von 80 auf 124 Millionen Menschen und 82 Prozent unserer Ausgaben sind bedingt durch Konflikte, die der Mensch verursacht hat. Wir sehen das in Syrien, in Somalia, im Nordosten Nigerias, im Jemen, im Irak, aber auch in anderen Gegenden, wo herkömmliche bewaffnete Konflikte im Einklang mit neu entstehenden terroristischen Gruppen für Instabilität sorgen. Wir sehen das insbesondere in der weiteren Sahel-Gegend. Wir sehen zusätzlich noch die Auswirkung des Klimawandels. Gruppen terroristischer Art wie etwa ISIS, die Syrien schon verlassen haben, sind jetzt in diese Gegend, in die größere Sahel-Zone gezogen, um die Länder dort zu destabilisieren. Staaten, die ohnehin schon fragil waren, werden nun zusätzlich unterminiert.
    Hier müssen wir einen Schritt voran sein. Wir müssen Stabilität in diese Länder bringen, damit die Familien widerstandsfähig werden gegenüber der Verlockung der terroristischen Gruppen, die Ernährung als eine Waffe zur Rekrutierung neuer Kämpfer verwenden. Wir müssen mit unserem Stabilitätsbemühen denen einen Schritt voraus sein. Wenn wir das schaffen, dann werden wir Großes bewirken und Gruppen wie Al-Qaida, ISIS, Boko Haram oder al-Shabaab werden nicht mehr so leichtes Spiel haben.
    "Trump weiß um die Wichtigkeit des Welternährungsprogramms"
    Dobovisek: Und Ihre Botschaft, Herr Beasley, ist klar: Mehr Hunger, mehr Leid bedeutet mehr Geld für das WFP. Doch es fehlt im Moment. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind der größte Geldgeber für die Vereinten Nationen und auch das WFP - und US-Präsident Donald Trump ist nicht gerade bekannt dafür, der beste Freund der Vereinten Nationen zu sein. Er kritisiert sie für ihre Ineffizienz und kürzt die US-Beiträge. Sie waren selbst Politiker in den USA, ich habe es gerade erwähnt: Gouverneur von South Carolina, ein Republikaner wie Präsident Trump. Nur um unseren Hörern einen kleinen Eindruck zu vermitteln: Wie klingt es, wenn Sie ihn versuchen, von der Bedeutung der Vereinten Nationen und ihrer humanitären Hilfe zu überzeugen?
    Beasley: Nun, ich darf vielleicht für Ihre Zuhörer in diesem Land einige Fakten aufzählen. Als ich diese Rolle übernahm, gaben die USA 1,9 Milliarden Dollar für das Welternährungsprogramm aus. Das war im Jahr 2016. Im Jahr 2017 haben Demokraten und Republikaner zusammen die Zuschüsse für das Welternährungsprogramm von 1,9 auf 2,5 Milliarden angehoben. In diesem Jahr, in 2018 wird der Präsident zusammen mit den führenden Kräften in Senat und Repräsentantenhaus etwa drei Milliarden Dollar für das WFP ausgeben. Ich kann jetzt nichts für die anderen UN-Einsätze sagen im Bereich humanitärer Hilfe, aber ich kann wirklich sagen, dass die führenden Kräfte in den USA die Wichtigkeit des Welternährungsprogramms verstehen. Auch General Mattis hat sich ja dementsprechend geäußert.
    Dobovisek: Aber glauben Sie, dass Präsident Donald Trump die Bedeutung der Vereinten Nationen insgesamt versteht?
    Beasley: Ich habe das früher schon gesagt. Wenn man dem Präsidenten die Tatsachen vor Augen legt, wird er die richtige Entscheidung treffen. Er weiß um die Wichtigkeit des Welternährungsprogramms. Er versteht es auch wirklich, worum es geht, wie wichtig die Rolle dieses WFP ist. Und in dem Maße, wie man ihn vertraut macht mit der Wichtigkeit von Organisationen wie UNICEF oder dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR, wird er auch die entscheidende Rolle dieser Organisationen würdigen. Ich glaube, dass die UNO Länder wie die USA, Deutschland, das Vereinigte Königreich braucht, damit diese Länder sich produktiv einbringen können. Ich glaube aber auch, dass diese Länder umgekehrt die UNO brauchen. Zum wechselseitigen Nutzen müssen sie zusammenarbeiten. Es wird letztlich jedem einzelnen dieser Länder, die sich einlassen, damit nützen und es wird auch der Welt insgesamt Nutzen bringen.
    "Es ist wirklich nicht der Augenblick, jetzt einzusparen"
    Dobovisek: Auch in neuen Vereinten Nationen nach einer Reform?
    Beasley: Ja! Die Reform läuft weiter. Als ich diesen Posten übernahm, ging es vor allem darum, die USA-Zuschüsse zu schützen und weiter zu erhalten. Denn wenn das nicht geschehen wäre, wenn die Zuschüsse weggefallen wären, dann hätten wir ein gewaltiges Chaos in den Migrationsbewegungen gesehen, eine Katastrophe weltweit. Jetzt aber sind wir im Prozess der UN-Reformen, die auch weitergehen werden, und ich bin zuversichtlich, dass wir Verbesserungen bewirken, dass das System effizienter wird.
    Ich bin ja noch ziemlich neu in dem Geschäft. Ich muss noch lernen, während ich zugleich auch bereits Gelder auftreibe, und das ist mehr als nötig, angesichts dieser Zunahme an bewaffneten Konflikten und angesichts dieser schlimmsten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, der wir uns jetzt gegenüber sehen. Der Bedarf wächst ständig. Es ist wirklich nicht der Augenblick, jetzt einzusparen. Denn noch einmal, ich muss es sagen: Wenn wir nicht einen Schritt vorne weg sind und die Dinge in die eigene Steuerungsgewalt bekommen, dann werden wir hundertfach dafür bezahlen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.