
Noch im Morgengrauen um 6 Uhr machen sich die Teilnehmer des 100-Meilen-Laufs in Berlin auf den Weg. Vor ihnen liegen umgerechnet ungefähr 160 km Laufstrecke entlang der ehemaligen Mauer um Westberlin.
"Am besten gefällt mir, dass es eine Symbiose zwischen Erinnerungskultur und Sportveranstaltung ist." Das sagt Harald Reiff vom Verein LG Mauerweg Berlin. Er ist der Hauptkoordinator des seit 2011 stattfindenden Ultralaufs.
Ein Opfer wird jedes Jahr besonders gewürdigt
Jedes Jahr findet um den Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961 der 100 Meilenlauf in Berlin statt. Er soll an die Teilung Berlins und deren Opfer erinnern. Jedes Jahr wird ein Opfer besonders gewürdigt:
"Dieses Jahr ist es Erna Kelm, die zu Tode kam in Sacrow. Ungefähr an der Stelle, wo sie zu Tode kam, haben wir eben eine Pinnwand. Da kann man auch Grabkerzen anzünden. Die Teilnehmer bekommen ein Kärtchen in ihren Teilnehmer-Beutel und schreiben da eben ihre Gedanken auf, die sie vor oder während des Laufes haben, zum Thema Maueropfer und pinnen das dann da an. Und die gesamte Pinnwand findet sich dann bei der Siegerehrung wieder."
Auch auf den Finisher-Medaillen ist das Konterfei von Erna Kelm abgebildet. Bis sich die Läufer und Läuferinnen die aber um den Hals hängen können, dauert es: Die meisten Einzelläufer kommen erst nach über 20 Stunden ins Ziel.
An Verpflegungsstellen entstehen Gespräche über die Vergangenheit
Der Mauerweglauf führt durch Berlin und Potsdam. An insgesamt 26 Punkten sind Verpflegungsstellen aufgebaut, viele an Gedenkstätten oder historischen Orten. Die Verpflegungsstelle an der Mauergedenkstätte Griebnitzsee nimmt in diesem Jahr zum zehnten Mal am Mauerweglauf teil.
„Die Spitzenläuferinnen und -läufer, die kommen tatsächlich angehetzt und nehmen eine halbe Banane oder einen Schluck Wasser und sind wieder weg. Das ist klar“, berichtet Manfred Kruczek von der Aufarbeitungsinitiative FORUM, die die Gedenkstätte am Griebnitzsee betreut.
Er fährt fort: "Aber je länger der Abend, also so interessanter werden die Gespräche. Es sind ja dann verschiedene Läufer und Läuferinnen, die bleiben dort 15-20 Minuten, setzen sich auf die bereitgestellten Stühle, legen die Füße ins Wasser, lassen sich von uns verpflegen – und dann kommen wir ins Gespräch natürlich. Und das sind relativ viele Teilnehmer, die sich dann auch fotografieren lassen an diesen letzten sechs grauen Mauersegmenten, die also noch an diese Diktatur erinnern. Die fotografieren die und dann schicken die meistens ihre Fotos gleich in die Heimatländer."
Keine Beteiligung der Stadt Potsdam am Event
Der 100 Meilenlauf ist über die deutsche Grenze hinaus bekannt. Viele setzen sich während der langen Strecke auch mit der Historie des Wegs auseinander. An der Gedenkstätte am Griebnitzsee finden sich Informationen zu den Todesopfern und Fluchtversuchen dort.
Manfred Kruczek wünscht sich aber mehr Unterstützung von Seiten der Stadt Potsdam: "Es ist ja nicht nur so, dass dieser Lauf nicht angekündigt wird. Es ist eigentlich noch weniger nachvollziehbar, dass diese einzige Mauergedenkstätte, die es in Potsdam gibt mit original Mauerresten unter dem Thema 'Gedenkstätten' im Internetauftritt der Stadt nicht zu finden ist. Diese Mauergedenkstätte gibt ja auch verschiedene Informationen. Insofern ist es mir immer wieder unverständlich, dass die Stadt Potsdam an der Stelle nicht aktivere Erinnerungskultur betreibt."
Auf Deutschlandfunk-Anfrage antwortet der Pressesprecher der Stadt Potsdam schriftlich: "Wir begrüßen dieses sportliche Event im Rahmen der Erinnerungskultur außerordentlich, aber die Stadtverwaltung ist weder in die Organisation involviert noch wird das Event durch uns finanziell gefördert."
100-Meilen-Lauf hat Strahlkraft in andere Nationen
Über die Jahre habe man sich in Berlin passende Kooperationspartner gesucht und ein Netzwerk aufgebaut, erzählt Hauptkoordinator Harald Reiff. Dennoch: "Das läuft sehr viel eben über Privatpersonen oder eben über Vereine, die eine Gedenkstätte betreuen."
Und dank mehr als 500 Volunteers, ohne die die Veranstaltung nicht möglich wäre. Unter ihnen Manfred Kruczek. Er sieht in dem Event auch eine positive, aber nicht genutzte Werbemöglichkeit für die Stadt Potsdam. Sogar ein Läufer aus Hongkong hat das Event vor ein paar Jahren für seine politische Botschaft genutzt, sagt Reiff:
"Der hatte einen Flyer mit, ich habe den sogar noch zu Hause: 'Stand with Hongkong'. Das ist ja doch damals auch schon absehbar gewesen, dass Hongkong als freiheitliches Land von China bedroht wird. Und das war besonders beeindruckend."