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Kommentar zu Hunger und Klima
Bisherige Agrarsubventionspolitik überdenken

Bei der Selbstversorgung mit Getreide produziert die EU mehr als genug, kommentiert Jule Reimer. Den Hunger in der Welt bekämpfe die hiesige Agrarindustrie damit nicht. Es gebe klügere Methoden als die bisherige Agrarsubventionspolitik.

Ein Kommentar von Jule Reimer |
Reis fliesst durch die Hand eines Reisbauern im Kongo
Offene Agrarmärkte haben viele Vorteile, aber jedes Land der Erde braucht Spielraum, um ein Mindestmaß an Versorgung durch heimische Produzenten festlegen zu können – die Welthandelsregeln müssen dies berücksichtigen, meint Jule Reimer. (picture alliance / Mika Schmidt)
Rund 2.800 Millionen Tonnen Getreide wird die kommende Welternte wohl bringen. Ein weiterer Rekord nach den Rekorden der letzten zwei Jahre. Was in der Ukraine wegbrach, haben andere Konkurrenten schnell überkompensiert:  Russland, Australien und auch die EU steigerten ihre Exportmengen für Weizen erheblich. Und dann diese Nachricht: 735 Millionen Menschen haben laut den Vereinten Nationen 2022 Hunger leiden müssen, über 100 Millionen mehr als vor der Corona-Pandemie.

„Produzieren auf Teufel-komm-raus“

Die Zahlen zeigen, wie absurd die Diskussion über Ernährungssicherheit in der Europäischen Union geführt wird – allen voran von der Konservativen Fraktion im Europaparlament und CDU/CSU sowie den Agrarinteressenverbänden. Sie predigen „Produzieren auf Teufel-komm-raus“ hierzulande – doch das löst keine Hungerprobleme, schon gar nicht in ferneren Ländern. Hunger tritt auf, wenn Kleinbauern als die Hauptversorger in vielen Ländern der Erde von Dürre und Überschwemmungen getroffen werden.
Wenn Menschen in den Städten wegen Corona ihre Jobs verlieren und ihre Regierungen nicht über wohlgefüllte Staatskassen und Entschädigungsfonds verfügen. Hunger tritt auf, wenn Klimaerhitzung und Kriege Menschen zur Flucht zwingen, weil der eigene Acker und das Haus zerstört wurden, das Vieh verdurstet ist. Hunger tritt auch auf, wenn Nahrungsmittel auf den Märkten unerschwinglich teuer werden. Aber dass Masse allein noch lange nicht für niedrigere Lebensmittelpreise sorgt, das zeigen die - trotz Rekordernten –  in die Höhe getriebenen Preise in unseren Supermarktregalen.
Was ist zu tun? Offene Agrarmärkte haben viele Vorteile, aber jedes Land der Erde braucht Spielraum, um ein Mindestmaß an Versorgung durch heimische Produzenten festlegen zu können – die Welthandelsregeln müssen dies berücksichtigen.

Es braucht klügere Methoden

Es sollte weniger Getreide in der Viehhaltung verschwendet werden. Gut die Hälfte der Weltgetreideernte landet in Futtertrögen. Die weltweite Fleischproduktion hat sich seit 1990 verdoppelt und sie ernährt vergleichsweise wenige Menschen. Um den Ärmeren Zugang zu diesem Lebensmittel zu ermöglichen, gäbe es klügere Methoden als die bisherige Agrarsubventionspolitik.
Außerdem empfiehlt es sich, die Kostenstruktur der landwirtschaftlichen Produktion zu überprüfen. Synthetischer Dünger wird unter viel Einsatz von Erdgas hergestellt – oft in Russland - weshalb die Agrarpreise jedes Mal hochschießen, wenn Putin hustet. Dünger- und Pestizideinsatz zu reduzieren, auf die guten alten Methoden von Fruchtwechsel und Zwischenfrüchten zurückzugreifen, das möge den Ertrag etwas schmälern, aber unterm Strich steht vielleicht doch ein ordentliches Plus und Fauna und Flora werden es danken. Halten wir fest: Bei der Selbstversorgung mit Getreide produziert die EU mehr als genug. Den Hunger in der Welt bekämpft die hiesige Agrarindustrie damit nicht.
Jule Reimer
Jule Reimer
Jule Reimer, Redakteurin in der Abteilung Wirtschaft und Gesellschaft des Deutschlandfunk, spezialisiert u. a. auf internationale Handels-, Rohstoff-, Agrar-, Energie- und Umweltpolitik. Studium der Volkswirtschaft und Portugiesisch an der Universität zu Köln, journalistische Ausbildung in der „Kölner Schule“ und bei der Deutschen Welle. Kurzzeitkorrespondentenvertretung der ARD für das südliche Afrika. Neben der Leidenschaft für Globalisierungsthemen ein tiefe Zuneigung zur lusophonen Welt. Deshalb immer mal wieder Kommentare zu und Reportagen aus Brasilien, Angola, Mosambik.