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Hybride in der Evolution
Sex mit der anderen Art

Eigentlich paaren sich Tiere nur mit ihresgleichen. Aber Nachkommen unterschiedlicher Arten kommen in der Natur offenbar häufiger vor als bislang angenommen. Klimawandel und globaler Handel begünstigen die Hybridisierung – mit weitreichenden Folgen für den Artenschutz.

Von Michael Lange und Lennart Pyritz | 22.08.2021
Liger-Nachwuchs im Zoo von Haikou (20.11.2007)
Vater Löwe, Mutter Tiger: "Liger" gibt es nur in Zoos und Zirkussen, nicht in freier Wildbahn (imago/Xinhua)
Pizzlys sind Bären mit cremefarbenem Fell, die ein bisschen an Eisbären erinnern – aber auch an Grizzlys. Bei Ligern handelt es sich um Großkatzen, die gleichzeitig mit Mähne und gestreiftem Fell aufwarten. Beide haben gemeinsam, dass ihre Eltern zu unterschiedlichen Spezies zählen – Eisbär und Grizzly beziehungsweise Löwe und Tiger. Hybride werden solche Lebewesen genannt, die entstehen, wenn sich Tiere unterschiedlicher Art, Unterart oder auch Gattung miteinander paaren.

Nicht nur kuriose Einzelfälle

Pizzly, Liger und einige andere Hybride mögen wie kuriose Einzelfälle erscheinen. Tatsächlich entstehen bestimmte Paarungen nur in Gefangenschaft oder durch gezielte Züchtung, zum Beispiel bei Haustieren oder Nutzpflanzen. Inzwischen zeigt sich allerdings: Hybridisierung ist auch in der freien Natur viel stärker verbreitet als bislang angenommen. Mit Hilfe moderner Genomanalyse untersuchen Forschende Erbgutproben im Labor und identifizieren dabei immer wieder neue Kreuzungen – bis hin zu solchen aus Blau- und Finnwal.
Versteckte Hybride im Gefriertank
Viele Tier-Hybride entstehen durch eine gezielte Kreuzung in Gefangenschaft. Doch auch in der Natur passiert das offenbar recht häufig. Oft sind Hybride dort aber nicht als solche zu erkennen, weil sie den Elternarten, von denen sie abstammen, sehr ähnlich sehen. Viele wurden erst in den vergangenen Jahren entdeckt, durch die molekularbiologische Analyse des Erbguts einzelner Tiere. Michael Lange hat sich in einem Labor umgesehen, in dem eigentlich unübersehbar große Hybride entdeckt wurden.
Maulesel (equus asinus x caballus) in einer Blumenwiese auf Mallorca
Maultiere und Maulesel sind wohl die bekanntesten Hybride - sie können sich nicht fortpflanzen (IMAGO / blickwinkel)
In manchen Fällen können sich Hybride selbst nicht fortpflanzen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Maulesel. In vielen Fällen können Hybride jedoch selbst Nachkommen zeugen – mit den Elternarten oder anderen Hybriden. Damit sprengen sie klassische Artkonzepte, bei denen Spezies reproduktiv geschlossene Einheiten darstellen. Neue Konzepte basieren daher auf evolutionären Linien, die sich auseinanderentwickeln, aber auch wieder zusammenlaufen können – nicht auf starr voreinander abgegrenzten Spezies.
Eine Unterwasser Nachtaufnahme eines Großflossen-Riffkalmars in Indonesien.
Aliens im Ozean - Der Geist der Kraken und Tintenfische
Im Ozean leben die Genies unter den Weichtieren: die Tintenfische. Sie haben ein gutes Gedächtnis, zeigen sehr flexibles Verhalten, sind neugierig und verspielt. Affen und auch Krähen denken als Wirbeltiere ähnlich wie Menschen. Die Oktopusse hingegen pflegen eine ganz eigene Spielart der Intelligenz.

Hybridisierung als wichtiger Prozess in der Evolution

Susanne Dobler, Professorin für Molekulare Evolutionsbiologie an der Universität Hamburg, macht klar, dass Hybridisierung in der Natur ein gewichtiger Faktor ist. Schätzungen zufolge könnte ein Drittel aller Pflanzenarten dadurch entstanden sein. Inzwischen sei außerdem klar, dass es auch bei Tieren sehr häufig zu Hybridisierung kommt. "Allerdings oftmals in der Form, dass die Art sich nicht gravierend verändert in ihrer Morphologie oder wie auch immer. Aber eben durch gelegentliche Hybridisierung Gene in das Genom einer Art hineingelangen, die dann dort stabilisiert werden können, wenn sie einen Vorteil verleihen."
Bedeutung der Hybridisierung in der Evolution
Welche Rolle Hybride für die Evolution und für die Entwicklung natürlicher und vom Menschen geprägter Ökosysteme spielen wird erst seit relativ kurzer Zeit intensiv erforscht. Zum Beispiel von Susanne Dobler, Professorin für Molekulare Evolutionsbiologie am Zoologischen Institut der Universität Hamburg.

Der Mensch fördert die Entstehung von Hybriden

Hybridisierung ist ein natürlicher Prozess, durch den Arten sich verändern und sogar neue Spezies entstehen können. In immer stärkerem Ausmaß wird sie allerdings auch durch den Menschen begünstigt, wenn Brücken und Kanäle oder das Abschmelzen des arktischen Eises zuvor getrenntlebende Arten in Kontakt bringen oder wir Spezies in Gebieten verbreiten, in denen diese ursprünglich nicht heimisch waren. Pizzlys werden in Nordamerika zum Beispiel zunehmend beobachtet, weil sich Eisbär und Grizzly durch den Klimawandel immer häufiger begegnen.
Pizzly Nanulak im Zoo Osnabrück
Auch wenn "Nanulak" im Zoo gezeugt wurde - Eisbären und Grizzlys paaren sich auch in freier Natur (imago/agefotostock/ArTerra Picture Library/Clément Philippe)
Was bedeutet diese Entwicklung für den Artenschutz? Sollten wir in bestimmten Fällen gezielt gegen Hybridisierung vorgehen, um Spezies zu schützen? Diese Frage stellt sich auch, wenn Haustiere mit wilden Verwandten Nachwuchs zeugen und diese so verdrängen könnten. In Deutschland betrifft das zum Beispiel Haus- und Wildkatze oder Hund und Wolf. Entsprechende Hybride überhaupt nachzuweisen, ist dabei nicht einfach und bedarf genetischer Untersuchungen von Haar- oder Kotproben.
Hybride aus Wild- und Haustieren: Nachweis durch Proben aus der Natur
Hybridisierung ist ein natürlicher Prozess und gehört zur Evolution. Anders sieht es aus, wenn sich gezüchtete Haustiere mit ihren wilden Verwandten fortpflanzen. So entstandene Hybride könnten zur Bedrohung werden für seltene Wildtiere, indem sie sie verdrängen. Solche Kreuzungen lassen sich heute mit moderner Genetik aufspüren.
Unabhängig davon, ob und wie der Mensch künftig gegen Kreuzungen aus Wild- und Haustieren vorgeht: Hybridisierung wird neben Mutation und Selektion ein wichtiger Prozess in der Evolution bleiben und dazu führen, dass sich evolutionäre Linien kreuzen. Und irgendwann könnten Pizzlys häufiger vorkommen als Eisbären.