Donnerstag, 25. April 2024

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Russische Hyperschallrakete
Experte: Verteidigung momentan fast unmöglich

Es sei extrem schwierig für das gegnerische Radar, die neue russische Hyperschallrakete überhaupt zu erkennen, sagte der Sicherheitsexperte Ulrich Kühn im Dlf. Russland setze mit "Kinschal" einen schnellen und manövrierfähigen Raketentyp ein - da müsse man erst mal lernen, wie man sich dagegen verteidigt.

Ulrich Kühn im Gespräch mit Arndt Reuning | 21.03.2022
Ein russisches Militärflugzeug in der Luft. Am Rumpf ist eine weiße Rakete befestigt.
Eine Maschine der russischen Luftwaffe fliegt bei der russischen Militärparade zum Tag des Sieges beladen mit einer ballistischen Luft-Boden-Rakete «Kinschal». (Pavel Golovkin/AP/dpa)
In der Ukraine ist nach Angaben Moskaus zum ersten Mal ein neuer Waffentyp zum Einsatz gekommen. Das russische Verteidigungsministerium hat mitgeteilt, dass zwei Ziele in der Ukraine mit einer Hyperschallrakete angegriffen wurden: Ein unterirdisches Waffendepot der ukrainischen Luftwaffe sowie ein Treibstofflager seien zerstört worden. "Kinschal" ist der Name des Waffensystems - übersetzt: der Dolch.
Eine Verteidigung gegen dieses schnell fliegende System sei "zum momentanen Zeitpunkt fast unmöglich", sagte Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg im Dlf. Je schneller ein System sei und je mehr es manövrieren könne, desto schwieriger werde es dann für die Gegenseite, dieses auszuschalten.
Arndt Reuning: Wie funktioniert denn diese Hyperschallwaffe?
Ulrich Kühn: Nun, bei dieser Hyperschallwaffe Kinschal - übersetzt: der Dolch - handelt es sich um eine sogenannte semi-ballistische Rakete, die von einem Flugzeug aus abgeschossen wird. Man muss sich das so vorstellen: Da ist ein Kampfflieger, unter dem ist eine spezielle Rakete moniert, in diesem Falle die Kinschal, die wird dann ausgeklinkt, startet dann nach einer gewissen Zeit selber, bewegt sich auf eine semi-ballistische, also eine abgesenkte ballistische Flugbahn. Sie bewegt sich dabei hauptsächlich innerhalb der Atmosphäre und erreicht Geschwindigkeiten im Hyperschallbereich, also über Mach 5 und ist dabei dann auch noch manövrierfähig.

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Reuning: Das ist das Alleinstellungsmerkmal, eine hohe Geschwindigkeit und eben diese Manövrierfähigkeit, die eben zum Beispiel nicht einer normalen ballistischen Bahn entspricht, die sich ja eigentlich auch sehr gut berechnen lässt.
Kühn: Ja, das ist richtig, das sind zwei der Charakteristika. Aber wichtig ist eben auch, dass sie sich bei dieser abgesenkten Bahn fast ausschließlich in der Atmosphäre bewegen kann. Damit wird es extrem schwierig für das gegnerische Radar, diese Rakete überhaupt zu erkennen. Und wenn sie denn dann die Rakete erkennen, ist es meist schon zu spät, das heißt, eine Verteidigung gegen dieses schnell fliegende System ist zum momentanen Zeitpunkt fast unmöglich.

"Neuer Raketentyp"

Reuning: Also, es gibt gar keine Systeme, die eine solche Hyperschallwaffe abfangen könnten?
Kühn: Es gibt natürlich Luftverteidigungssysteme, die auch gegen solche Systeme eingesetzt werden könnten. Aber ganz klar, Russland setzt hier einen neuen Raketentyp ein, und da müsste man erst mal lernen, wie man sich dagegen konkret verteidigen müsste.
Reuning: Können Sie sich denn vorstellen, warum Moskau gerade jetzt diese Hyperschallwaffen in der Ukraine eingesetzt hat, sind das taktische oder strategische Gründe – oder geht es hier einfach nur um die Machtdemonstration an sich?
Kühn: Ich glaube, da bewegen wir uns wirklich im Bereich der Spekulation, wir müssen es einfach sagen, wir wissen es nicht. Es gibt die von Ihnen erwähnten zwei Begründungen, die eine ist, hier geht es Russland darum, Macht zu demonstrieren, zu zeigen, wir haben ein hochmodernes System - und damit auch in Richtung Westen, also in Richtung der Nato zu blicken, um eben militärisch mächtig zu erscheinen. Dann gibt es Interpretationen, dass die russische Seite in diesem Krieg in der Ukraine inzwischen schon so viele Hochpräzisionsraketen eingesetzt hat, dass langsam die Depots leer werden und dass man auf dieses neue, sehr teure System jetzt setzen müsste. Das wäre dann wiederum ein Zeichen der Schwäche. Ich persönlich möchte nicht ausschließen, dass vielleicht sogar beide Begründungen zutreffen.
Reuning: Angegriffen wurde ein unterirdisches Waffendepot. Wie sieht es denn aus mit der Durchschlagskraft solcher Hyperschallwaffen, ist das auch ein Argument dafür, dass gerade in dieser Situation dieser Typ verwendet wurde?
Kühn: Das ist durchaus ein Argument, diese Waffe ist dann doch auch recht schwer, ziemlich groß und dafür eben wahnsinnig schnell. In dem Moment, wo man ein Objekt hat, das schwer ist und sehr schnell, kann das natürlich einiges durchschlagen. In den USA wurde dieser erstmalige Einsatz von Kinschal verglichen mit der sogenannten Mutter aller Bomben, das war eine konventionelle Bombe, die Donald Trump auch gegen die Taliban eingesetzt hatte vor ein paar Jahren. Wir sehen also hier, dass in dem Krieg definitiv auch wirklich neue und sehr durchschlagsfähige Militärtechnik eingesetzt wird.

Idee sei "nichts Neues"

Reuning: Sie haben jetzt die USA erwähnt, wie sieht es denn insgesamt international aus, welche Nationen verfügen über ähnliche Waffen oder arbeiten daran?
Kühn: Generell arbeiten an solchen Systemen vor allem auch die USA und China. Man muss dazu jetzt auch sagen, dass die Idee, eine ballistische Rakete auf ein Flugzeug zu packen und sie von dort starten zu lassen, jetzt nichts Neues ist. Das wurde schon in den 1960er- und 1970er-Jahren von den USA und der Sowjetunion gemacht. Es gibt inzwischen auch eine ganze Reihe von anderen, neuen Hyperschall-Raketen mit sogenannten hypersonischen Gleitflugkörpern, das ist dann die neueste Generation. Einen solchen Einsatz haben wir jetzt hier noch nicht gesehen, aber generell geht der Trend in den großen militärischen Nationen wie Russland, USA, China in diese Richtung.
Reuning: Und wie sieht es mit Abfangsystemen aus, wird auch daran gearbeitet?
Kühn: Natürlich, in dem Moment, wo man ein neues Raketensystem hat, wird man auch an Möglichkeiten arbeiten, wie man ein solches System denn ausschalten könnte oder sich dagegen verteidigen kann. Aber das Problematische bei Kinschal ist, dass es ja eben eine manövrierfähige Rakete ist. Auch das ist erst mal grundsätzlich nichts Neues, es gibt auch alte ballistische Interkontinentalraketen, die dann einzelne Sprengkörper haben, die beweglich sind, aber man muss schon sagen, je schneller ein System und je mehr es manövrieren kann, desto schwieriger wird es dann für die Gegenseite, dieses auszuschalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.