Samstag, 27. April 2024

Krieg in der Ukraine
Sechs Gründe, warum die russische Armee nur langsam vorankommt

Russland ist der Ukraine militärisch weit überlegen - und trotzdem kommt die russische Armee bei ihrer Invasion nur langsam voran. Die russische Führung hat ihre Invasion mit gravierenden strategischen Fehlern begonnen, außerdem fehlt es an Nachschub, sicherer Kommunikation und zunehmend auch an Kampfmoral.

21.03.2022
    Ein russischer Panzer
    Die russische Armee kommt mit ihrer Invasion schlechter voran als erwartet (IMAGO/SNA)
    Die meisten Sicherheitsexperten wurden vom russischen Angriff auf die Ukraine doppelt überrascht: Sie haben erstens nicht damit gerechnet, dass der russische Machthaber Wladimir Putin tatsächlich den Einmarsch in die gesamte Ukraine befehlen würde. Und zweitens haben sie angenommen, dass das russische Militär einen solchen Krieg schnell gewinnen würde. Doch der russische Vormarsch geriet schnell ins Stocken.
    Zum Verlauf des Krieges gibt es relativ wenige unabhängige und geprüfte Fakten. Experten gehen allerdings davon aus, dass bis zum 18.3.2022 bereits 4.000 bis 8.000 russische Soldaten gestorben sind. Auf einen getöteten Soldaten kommen in der Regel zwei Verwundete. Das heißt, dass bereits etwa zehn Prozent der ursprünglichen russischen Invasionstruppen nicht mehr gefechtsfähig sind.
    Welche Gründe gibt es für den unerwarteten Verlauf des Krieges?

    Völlig falsche Annahmen der russischen Führung

    Die russische Führung sei davon ausgegangen, dass sie den Krieg mit einem schnellen Vorstoß auf Kiew entscheiden könne, sagte Generalleutnant a. D. Heinrich Brauß am 21.3.2022 im Deutschlandfunk. Auf einen längeren Krieg seien die Truppen nicht vorbereitet gewesen. Nach drei Wochen Krieg müssten sie sich neu gruppieren. Anstatt eines kurzen Waffengangs drohe nun ein „blutiger Zermürbungskrieg“.
    Wegen der falschen Annahmen habe Russland den Krieg mit einer ungeeigneten Strategie begonnen, sagte der Journalist Thomas Wiegold, der seit vielen Jahren über Sicherheitspolitik berichtet, im Podcast "Sicherheitshalber" am 18.3.2022. Man habe strategische Kampfgruppen geschickt, die auf Unterstützung aus der zivilen Bevölkerung angewiesen gewesen sind. Statt auf Unterstützung seien die Streitkräfte auf Guerilla-Gegenwehr gestoßen. Damit habe man offensichtlich nicht gerechnet. Anders sei nicht zu erklären, warum russische Panzer ungeschützt durch ukrainische Dörfer gefahren sind und dort dann zu leichten Zielen für Panzerabwehrrakten wurden.

    Kaum Einsätze der russischen Luftwaffe

    Die Luftwaffe sollte eigentlich auch Schutz für die Bodentruppen bieten, doch russische Flugzeuge und Helikopter bleiben die meiste Zeit am Boden. Zum einen ist die ukrainische Flugabwehr schlagkräftiger als erwartet, was auch an Waffenlieferungen des Westens liegt. Mit Stinger- und Strela-Raketen, die vom Boden aus abgefeuert werden, konnten die ukrainischen Streitkräfte einige Helikopter und vereinzelt Kampfflugzeuge abschießen. Und nach US-Angaben hatte die ukrainische Luftwaffe am 13.3.2022 zudem auch noch 56 einsatzfähige Kampfjets.
    Außerdem ist die russische Luftwaffe anscheind in einem wesentlich schlechteren Zustand als westliche Experten vor Beginn des russischen Angriffskrieges angenommen hatten. Bilder zeigten, dass russische Flugzeuge teilweise mit zivilen GPS-Geräten navigieren würden, sagte Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München im Podcast "Sicherheitshalber" am 18.3.2022. In abgestürzten Wracks habe man sogar Zettel gefunden, auf die per Hand Koordinaten geschrieben waren. Der russischen Luftwaffe fehle anscheinend auch Präzisionsmunition, um eine größere Rolle im Luft-Boden-Krieg zu spielen.
    Der Stand der Landgewinne der russischen Invasion bis zum 21.3.2022 ist zu sehen.
    Russlands Angriff auf die Ukraine (21.03.2022) (dpa)

    Fehler in der russischen Kommunikation und Logistik

    Der russischen Armee fehlt es an verschlüsselten Funkgeräten. Teilweise telefonieren Soldaten tatsächlichen mit normalen Handys, die dann allerdings von der ukrainischen Seite abgehört werden. Und auch der Funkverkehr über militärische Funkgeräte kann teilweise von ukrainischen Amateur-Funkern abgehört werden, die die Informationen dann veröffentlichen. Sogar die Position eines russischen Generals soll wegen eines Handygesprächs geortet worden sein. Ukrainische Artillerie hat seinen Gefechtsstand daraufhin beschossen und ihn getötet.

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    Nicht nur die Kommunikation, auch die Logistik hakt. Die russische Armee hat schlicht zu wenige LKW, um das notwendige Material an die Front zu bringen. Die russischen Verbände sind mit ihrer großen Personenzahl und ihren schweren Waffen auf enorme Mengen an Treibstoff, Munition und auch Essen und Trinken angewiesen. Meist bewegen sich die Truppen daher nur bis zu 150 Kilometer weit in die Ukraine hinein. Man müsse bedenken, dass die Ukraine fast doppelt so groß ist wie Deutschland, sagte Generalleutnant a. D. Heinrich Brauß am 21.3.2022 im Deutschlandfunk. Die Logistik sei nicht darauf vorbereitet, auf Dauer derart lange Transportwege zu bewerkstelligen.
    Die schleppende Logistik bremst aber nicht nur den Vormarsch aus, sie führt auch zu Verlusten auf der russischen Seite. Ohne ausreichend Treibstoff werden Kampfverbände zu leichten Zielen, weil sie nicht zu größeren Bewegungen in der Lage sind. Fehlt dann auch noch Munition, wird es umso verheerender. Aufgrund der inzwischen doch erheblichen Verluste, müssen sich die russischen Streitkräfte zudem neu gruppieren, was wiederum zu Verzögerungen führt.

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    Die Kampfmoral der ukrainischen Truppen ist deutlich höher

    Die Kampfmoral der russischen Truppen nimmt unter den Belastungen zunehmend ab. Die Motivation der Soldaten leidet dabei auch unter der schlechten Versorgung. Teilweise sind zudem Wehrpflichtige im Einsatz, die nicht abschließend ausgebildet sind. Überwiegend sind allerdings Berufssoldaten im Einsatz.
    Ganz anders sieht es auf der ukrainischen Seite aus. Hier herrscht der unbedingte Wille vor, das Land und auch die Freiheit zu verteidigen. Kaum ein Ukrainer möchte unter russischer Fremdherrschaft leben, was dazu führt, dass die Soldaten und Freiwilligen extrem motiviert sind. Die ukrainische Armee verteidige mit viel „Heldenmut“, sagte Generalleutnant a. D. Heinrich Brauß am 21.3.2022 im Deutschlandfunk. Die Armee sei zudem deutlich besser vorbereitet gewesen als beim russischen Angriff im Jahr 2014.
    Ein ukrainischer Soldat läuft vor einem zerstört Wohnblock entlang.
    Bisher verteidigen die ukrainischen Streitrkäfte erfolgreicher als erwartet (picture alliance / ZUMAPRESS.com)

    Waffenlieferungen an die Ukraine

    Zahlreiche westliche Länder haben der Ukraine Waffen geliefert, auch Deutschland. Insbesondere Waffen, die gegen Panzer eingesetzt werden können, haben für die Abwehr der russischen Angriffe bisher eine entscheidende Rolle gespielt. Dazu gehören beispielsweise Javelin-Anti-Panzer-Raketen oder die Panzerfaust 3. Mit Stinger- und Strela-Raketen konnten die ukrainischen Streitkräfte aber auch Helikopter und vereinzelt Kampfflugzeuge abschießen.

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    Russische Armee wirkt nur teilweise modernisiert

    Ab 2008 hat Russland sein Militär umfassend reformiert und in der Folge auch regelmäßig Videos und Bilder von Hightech-Kriegsgerät gezeigt. Davon ist im Krieg gegen die Ukraine allerdings bisher nicht allzu viel zu sehen. In der Ukraine sei stattdessen salopp gesagt "viel alter Schrott" zu sehen, sagte Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München, im Podcast "Sicherheitshalber" am 18.3.2022.
    Unklar sei dabei nun, ob die russische Armee ihre moderneren Technologien bisher zurückhalte oder ob diese doch nicht so einsatzfähig seien, wie man angenomman habe. In Videos sei teilweise zu sehen, dass auch sehr moderne Geräte im Feld Mängel zeigen und liegen bleiben, sagte auch Frank Sauer im Podcast. So seien beispielsweise Panzir-Flugabwehrsysteme stehen geblieben wegen Mängeln an den Lagern der Reifen. Als sehr einsatzfähig hätten sich hingegen bisher die russischen Marschflugkörper und Raketensysteme gezeigt.
    Quellen: Marcus Pindur, Thielko Grieß, pto
    Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Titel des Beitrags präzisiert