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"Ich bin und bleibe eine Liberale"

Anlässlich des 60. Geburtstages der Freien Demokraten hat die einstige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher von einem "langen Entfremdungsprozess" zwischen der Partei und ihr gesprochen. Bei den Liberalen habe es immer einen sehr ausgeprägten rechten und linken Flügel gegeben. Nach der Wende 1982 habe sie versucht, die liberale Mitte in der FDP wieder aufzubauen. Das sei nur partiell gelungen. Wegen eines antisemitischen Flugblatts von Jürgen Möllemann sei sie dann 2002 aus der Partei ausgetreten, erklärte Hamm-Brücher.

Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Friedbert Meurer | 12.12.2008
    Friedbert Meurer: Die FDP wird heute in Heppenheim ihre Gründungsväter und -mütter ehren, also diejenigen, die 1948 bei der Gründung der Partei da gewesen sind. Für was steht Heppenheim, der Gründungsort der FDP? - Der langjährige Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Mischnick, hat das einmal so beschrieben:

    Wolfgang Mischnick: Die Botschaft von Heppenheim war, dass die FDP die Partei ist, die den Gedanken der Freiheit für die Persönlichkeit in den Vordergrund stellt, den Gedanken des Rechtsstaates in den Vordergrund stellt, und darüber hinaus von Anfang an die Partei war, die die Einheit Deutschlands als eine der wichtigsten politischen Aufgaben ansah, weil die Liberalen von Vornherein der Meinung waren, nur ein einheitliches, ein Gesamtdeutschland wird für ein einheitliches Europa in der Mitte Europas der Friedenshort sein, den Europa braucht.

    Meurer: Wolfgang Mischnick, der langjährige Fraktionsvorsitzende der FDP. 2002 ist er verstorben. Er stand für die Gründungsgeneration der FDP, und das tut auch Hildegard Hamm-Brücher, von vielen lange als die große Dame der FDP bezeichnet. Guten Morgen, Frau Hamm-Brücher!

    Hildegard Hamm-Brücher: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: 1948 waren Sie ja schon in der FDP oder zum Zeitpunkt der Gründung Mitglied bei den Liberalen. Sie waren aber nicht in Heppenheim. Aus welchem Grund nicht?

    Hamm-Brücher: Nein. Ich war eine ganz junge, frisch gewählte Stadträtin in München und hatte weder das Geld, noch das Interesse, so eine Reise zu machen. Das war ja damals alles noch gar nicht üblich und sehr beschwerlich, und ich hatte genug zu tun hier in München mit den Aufgaben einer ganz jungen Stadträtin.

    Meurer: Haben Sie von München aus sich dafür interessiert, was in Heppenheim geschieht?

    Hamm-Brücher: Nein. Mich hat das eigentlich gar nicht so schrecklich interessiert. Herr Mischnick hat das sehr idealistisch geschildert. Es gab ja viel Krach und Hin und Her und Teile der Ostliberalen - die hießen damals ja gar nicht Liberale - reisten ab. Theodor Heuss hat dann einfach gesagt, ich bin bereit, dies zu beenden und als Vorsitzender zu kandidieren, und das war dann die Rettung eigentlich.

    Meurer: Was war denn der entscheidende Grund, dass es damals so viel Krach gegeben hat? Die sich abzeichnende Teilung?

    Hamm-Brücher: Es war alles mögliche. Es war die Frage des Umgangs mit der LDPD aus dem Osten und es war auch die Frage, wollten wir mehr nach rechts driften, oder wollten wir die liberale Mitte sein. Die Liberalen waren ja in der Weimarer Republik immer zwei Parteien und sind ganz geschrumpft und am Schluss auch gar nicht mehr viel übrig geblieben, und von den wenigen waren noch weniger, die sich jetzt wieder versammelten. Die Startchancen wären ohne Heuss und ohne Dehler fast minimal gewesen.

    Meurer: Sie selbst wollten damals, Frau Hamm-Brücher, ein freies, ein offenes Deutschland. Galt diese Auseinandersetzung oder vielleicht sogar diese Kampfansage dem Mief der 50er Jahre, oder mehr den Alt-Nazis?

    Hamm-Brücher: In den 50er Jahren kam das ja alles wieder zum Ausbruch. Unterdessen war Heuss Bundespräsident und die Galionsfigur sozusagen musste dann natürlich diesen Vorsitz abgeben, und dann ging die Auseinandersetzung, wo positionieren sich die FDP-Leute. Liberale nannten wir uns ja damals gar nicht. Dann kam der berühmte Emser Parteitag, in dem die beiden Gruppen sich sehr befehdeten. Das war 1952 mein erster Parteitag und da wäre ich dann beinahe wieder ausgetreten, weil das fand ich so schrecklich. Die Rechten hatten dann ein deutsches Programm und wir hatten ein liberales Manifest. Es war beinahe schon wieder ein Scheitern einer einheitlichen FDP.

    Meurer: Diese zwei Teile, zieht sich das wie ein roter Faden durch die Geschichte der Liberalen?

    Hamm-Brücher: Ja. So ging es dann immer weiter. Dann kam diese Zeit mit Erich Mende und dann endlich kam dann in der zweiten Hälfte der 60er Jahre der liberale Aufbruch mit Karl-Hermann Flach, Dahrendorf, Maihofer und ich auch mit den Freiburger Thesen. Und dann kam die große Zeit, dass wir sozialliberale Koalition gemacht haben, und danach ging es wieder los und es ist eigentlich ein Spannungsverhältnis, das heute nicht akut ist, aber unterschwellig ist das so wie in allen Parteien. Bei der FDP war es aber eben sehr ausgeprägt, diese rechten Liberalen und dann die linken.

    Meurer: 1982 gab es heftige Kämpfe um die Wende. Die FDP verlässt die SPD, wechselt das Lager, bildet eine Koalition zusammen mit der Union und Helmut Kohl. Warum sind Sie eigentlich damals nicht ausgetreten?

    Hamm-Brücher: Ich bin damals nicht ausgetreten nach langen Überlegungen mit Freunden wie Gerhart Baum. Wir waren ja eigentlich alle die Dissidenten. Wir waren persönliche Freunde. Andere sind ausgetreten. Ich wollte eigentlich versuchen, dass wir unsere Linie wieder neu aufbauen, aber das ist dann nur partiell gelungen. Dann kam Möllemann und hat die ganze Partei eigentlich wieder in diesen Dissens gebracht, in diesen Konflikt gebracht.

    Meurer: Sie sind ja vor einigen Jahren dann doch aus der FDP ausgetreten. War das dann sozusagen mit 20-jähriger Verspätung die Entscheidung, die FDP zu verlassen?

    Hamm-Brücher: Ja, Herr Meurer. Man kann so sagen, das war ein langer Entfremdungsprozess, der dann nach 1982 eingesetzt hat. Ich wurde ja doch noch mal vom Parteivolk in den Bundesvorstand gewählt und war auch noch Mitglied des Präsidiums. Nach meinem 70. Geburtstag bin ich dann nicht mehr in den Bundestag gegangen und habe versucht, von der Ferne Bildungspolitik und Demokratiepolitik weiter zu beeinflussen. Dann wurde das alles sabotiert. Damals hatte Guido Westerwelle ja noch ganz dicke mit Möllemann das alles gemacht. Und eines konnte ich nicht ertragen aufgrund meiner Biographie, dass so ein offener Antisemitismus in der FDP Platz greift. Das war eben in diesem verrückten Wahlkampf, der dann uns ja kein sehr gutes Ergebnis, aber dann doch die Einsicht verschafft hat, dass wir das mit Möllemann nicht machen sollen. Aber dann hat er noch mal so ein antisemitisches Flugblatt gemacht, und das war mir dann zu viel.

    Meurer: Nun ist, wie wir wissen, Jürgen Möllemann mittlerweile tot. Die FDP, Frau Hamm-Brücher, hat Sie heute nach Heppenheim eingeladen. Warum gehen Sie nicht hin?

    Hamm-Brücher: Ja, ich bin eingeladen und ich bin auch sehr - nicht gebeten worden- , aber man hat mich gefragt, ob ich kommen würde. Ich habe eigentlich mit dem Generalsekretär vereinbart, dass man Grüße von mir ausrichten soll und dass ich einfach aus Alters- und Gesundheitsgründen diese komplizierte Reise nach Heppenheim nicht antreten kann.

    Meurer: Da schließt sich in gewisser Weise der Kreis wieder. - Sie wären schon gerne hingegangen?

    Hamm-Brücher: Ich wäre hingegangen, weil ich mich jetzt immer als eine frei schaffende Liberale bezeichne. Ich bin ja nicht feindlich zur FDP. Ich bin und bleibe eine Liberale, die einfach sich freigeschwommen hat, und finde, dass wir trotz allen Schwankungen doch eine liberale Partei in Deutschland brauchen.

    Meurer: Hildegard Hamm-Brücher. 87 Jahre ist sie alt, die große Dame der FDP, auch wenn sie nicht mehr Mitglied ist. Schönen Dank und auf Wiederhören. Alles Gute, Frau Hamm-Brücher.