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"Ich glaube, dass sich SPD und Grüne einfach verzockt haben"

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, ist überzeugt, dass seine Partei bei den vorgezogenen Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen erneut in den Düsseldorfer Landtag einzieht. Die rot-grüne Regierung in NRW habe sich im Vorfeld zu arrogant verhalten und sich daher verzockt.

Gregor Gysi im Gespräch mit Jürgen Liminski | 16.03.2012
    Jürgen Liminski: Manchmal hat man den Eindruck, als würde Politik nach dem Lebensmotto von Clint Eastwood gemacht, "Ich reite in die Stadt, der Rest wird sich finden". So mag es am Mittwoch gewesen sein, als die Abgeordneten in den Düsseldorfer Landtag kamen, und über den Rest diskutieren wir noch heute und vermutlich auch in den nächsten Wochen. Jetzt tun wir das mit Gregor Gysi, dem Vorsitzenden der Fraktion Die Linke im Bundestag. Zunächst mal guten Morgen, Herr Gysi.

    Gregor Gysi: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Gysi, Sie sind ein Mann des Humors. Ist Ihnen das Lachen am Mittwoch vergangen?

    Gysi: Na ein bisschen schon, weil das ja meinen ganzen Terminkalender umschmeißt. Was glauben Sie, wie groß Nordrhein-Westfalen ist und wenn ich da auf vielen Kundgebungen spreche et cetera. Aber im Kern war es ja vorhersehbar. Ich glaube, dass sich SPD und Grüne einfach verzockt haben.

    Liminski: Haben Sie jetzt Angst vor den Piraten oder vor dem Rausfliegen?

    Gysi: Nein, ich bin immer ein Zweckoptimist. Ich bin davon überzeugt, dass wir wieder einziehen, und dann kann ich auch mit Leidenschaft kämpfen. Jetzt muss ja alles schnell gehen, das ist bei der Linken immer gut. Wenn wir Zeit haben, lange zu diskutieren, machen wir das auch sehr lange, aber jetzt müssen zügig die Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden und so weiter.

    Aber wenn ich zum Verzocken was sagen darf? Es ist ja so: Unsere Fraktion hat gesagt, zu SPD und Grünen, wir wollen vier Änderungen. Wir wollen erstens ein Sozialticket einführen in Nordrhein-Westfalen, zweitens mehr Geld für Kitas, für den sozialen Wohnungsbau und für die Kommunen. Jetzt hätten die ja sagen können, na ja, passt mal auf, so wie ihr euch das vorstellt, geht es nicht, aber wir könnten euch hier den Schritt entgegenkommen und da einen Schritt entgegenkommen, um eine Enthaltung zu ermöglichen. Aber arrogant haben sie gesagt, interessiert uns gar nicht, weil sie davon ausgegangen sind, die FDP wird sich sowieso der Stimme enthalten, und sie haben es überhaupt nicht nötig, mit uns diesbezüglich auch nur zu reden und zu verhandeln. Und insofern, sage ich, haben sie sich verzockt. Und nun denken sie noch, sie kriegen die absolute Mehrheit. Warten wir es mal ab!

    Liminski: Wenn diese absolute Mehrheit nicht zu Stande kommt, wären Sie denn bereit zu einer Koalition mit Rot-Grün?

    Gysi: Also ich sage immer, es kommt immer auf die Bedingungen an. Natürlich: Wenn man sich verständigt und sagt, das ist unsere gemeinsame Politik, dann ja. Aber wir können uns dabei auch nicht aufgeben. Also es ist nicht so, dass wir einfach nur Politik von SPD und Grünen machen können, ohne eigenständige Dinge einzubringen, und das wissen sie auch. Aber wissen Sie, meine Erfahrung, ob ich jetzt Thüringen nehme, ob ich Sachsen-Anhalt nehme, ob ich Mecklenburg-Vorpommern nehme, immer wenn die SPD die Wahl hatte zwischen uns und der Union, hat sie die Eheschließung mit der Union bevorzugt. Sie will ja in dem Sinne gar nicht mehr links sein, sondern viel eher bürgerlich. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

    Liminski: Das heißt, Sie sind dann ziemlich isoliert?

    Gysi: Weiß ich gar nicht! Wissen Sie, wir sind ein wichtiges Korrektiv in der Gesellschaft. Ich nehme mal den Afghanistan-Krieg. Alle anderen Fraktionen waren für den Afghanistan-Krieg. Die einzigen, die gesagt haben, das ist eine Fehlentwicklung, waren wir. - Ich nehme mal die Rente ab 67. Alle anderen Fraktionen sind dafür, erst später Rente zu zahlen; die einzigen, die Gegenargumente vorbringen, sind wir. Und viele Teile in der Bevölkerung sind gegen den Afghanistan-Krieg, sind gegen die Rente erst ab 67. Wenn es uns zum Beispiel im Bundestag nicht gäbe, würden deren Argumente nicht mal mehr artikuliert werden. Das wäre doch ein Armutszeugnis für die Demokratie. Nein, und die SPD hat sich ja nur wegen unserer Existenz schon schwer verändert. Also ich finde schon, dass wir wichtig sind.

    Liminski: Aber Sie haben ja doch manchmal ziemlich harte Forderungen. Ihr Kollege Lafontaine zum Beispiel will eine Einkommenssteuer von 75 Prozent für Einkommen ab einer Million einführen. Das sagt er in einem Interview heute. Ist das ein Programmpunkt, den Sie auch in diese Wahl, vielleicht auch in die Bundestagswahl mitbringen?

    Gysi: Na darüber werden wir noch diskutieren. Tatsache ist zunächst, dass wir einen höheren Spitzensteuersatz fordern, und zwar sehr radikal, einen von 53 Prozent, der unter Helmut Kohl galt, und Helmut Kohl war ja vieles, aber kein Linksextremist. Also kann ich nur sagen, warum können wir uns nicht darauf verständigen. Und bei über einer Million muss man ja tatsächlich auch über andere Sätze nachdenken. Sehen Sie mal, in der Krise haben wir 51.000 Vermögensmillionäre in Deutschland dazubekommen. Wir haben jetzt 810.000 Vermögensmillionäre und für ihr Vermögen haften die nicht mit einem halben Euro, trotz der Krise, obwohl es viele Spekulanten gab. Aber sagen wir mal das Elterngeld der Hartz-IV-Empfänger wird gestrichen. Ja wo gibt’s denn so was? Da muss es doch eine Partei geben, die ein soziales Gewissen hat und eine andere Steuergerechtigkeit fordert.

    Denn eines sage ich auch, das sage ich auch immer der SPD, den Grünen und den anderen: Wer soziale Gerechtigkeit fordert, ist nicht ehrlich, wenn er nicht gleichzeitig Steuergerechtigkeit fordert. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

    Liminski: Herr Gysi, nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Mit diesem Satz warb Victor Hugo vor 150 Jahren schon für soziale Reformen in Frankreich. Sie, Die Linke wirbt in der größten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit für soziale Reformen, aber die Zeit scheint nicht gekommen zu sein. Ist das nicht frustrierend?

    Gysi: Ach wissen Sie, im Leben ist so vieles frustrierend, wenn man sich die Aufgaben, die Ziele, die man hat, nimmt und dann sieht, was man wann wo wie erreicht hat. Aber wissen Sie, ich bin ein Kämpfer und es hat sich auch so vieles verändert, auch zum Positiven verändert. Ich könnte Ihnen jetzt Beispiele nennen, will ich aber gar nicht. Nur in einem haben Sie recht: Die Krise wird noch nicht genug ernst genommen. Das liegt daran, dass sie noch im Wohnzimmer ist. Aber sie wird in das Wohnzimmer kommen, und wir müssten wirklich Reformen machen, zum Beispiel die Trennung der Staaten von den privaten Finanzmärkten. Die Abhängigkeit, die dort organisiert ist, von amerikanischen Ratingagenturen, von großen privaten Banken, die zocken und zocken und sie verdienen auch, und das Ganze bezahlen immer die Leute in den Ländern, das ist nicht mehr hinnehmbar. Hier brauchten wir mal ein bisschen Mut in einer Regierung, dass man mal den Ackermännern die Stirn bietet und denen nicht nur hinterherrennt, wie man das heute erlebt.

    Liminski: Herr Gysi, Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, ...

    Gysi: Oh ja, Sie haben recht: Das ist eine Menge aufeinander.

    Liminski: Jetzt müssten Sie sagen, wir schaffen das alles. Wenn es aber nur für das kleine Saarland reicht, was dann? Gibt es dann wieder eine Führungskrise?

    Gysi: Nein! Wir wählen ja sowieso eine neue Parteiführung im Juni. Dafür brauchen wir überhaupt gar keine Ziele, das ist einfach vorgeschrieben. Wir können mit jeder Situation umgehen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir es dreimal schaffen, und zwar im Saarland sogar sehr gut schaffen, und in den beiden anderen Ländern müssen wir eben mit Leidenschaft kämpfen. Und wenn die Leidenschaft entsteht, dann entstehen Multiplikatoren, weil sich das überträgt, und wenn man Multiplikatoren hat, dann schafft man das auch. Also jetzt ran, jetzt kämpfen, jetzt Leidenschaft entwickeln und optimistisch sein.

    Liminski: Eine letzte Frage, Herr Gysi, und zwar zur Bundespräsidentenwahl. Hand aufs Herz: Wie hoch schätzen Sie die Chancen Ihrer Kandidatin ein?

    Gysi: Real schätze ich die ein. Ich weiß ja, wie die anderen Fraktionen sich entschieden haben, aber ich glaube, es war gut, diese Frau mal auch in den Vordergrund zu stellen und alle mal zu erinnern, was sie geleistet hat. Und wenn sie es nicht werden sollte, vielleicht schaffen wir es dann endlich, dass sie mal ein Bundesverdienstkreuz bekommt. Das ist mir aus einem Grunde wichtig: sie hat die höchsten Orden der USA, Israels und Frankreichs, nur in Deutschland keinen. Und das ist ein falsches Bild unseres Landes, und das müssen wir korrigieren.

    Liminski: Die Linke und die Lage in Nordrhein-Westfalen – das war der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi. Besten Dank für das Gespräch, Herr Gysi.

    Gysi: Bitte schön! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.